Franz Christophe (München).
}Inti-!I^in de siede
Olun aber muß einem dringenden Bedürfniß
abgeholfen werden: Wir wollen einen neuen Bund
gründen, einen Bund mit zwei Fronten,
Zweck des Vereins ist erstens, diejenigen auf's —
Haupt zu schlagen, die mit verlogenem Gezeter und
frechem Hohn unsere Zustände am Ende des Jahr-
hunderts als die schlimmsten seit der Sintfluth oder
seit der Erschaffung des Ichthyosaurus ausschreien.
Zum Zweiten aber wollen wir den Iammer-
menschen an den Kragen, die mit dem Schlag-
wort vom Jahrhunderte alle geistige, sittliche und
körperliche Versunkenheit und Verkommenheit, alle
ihre phrasenreiche Hohlheit verbrämen wollen.
Wir wollen zu Felde ziehen gegen die Fin de
siäcle-philister und die Fin de siöcle-Gecken.
Wir lassen uns weder so, noch anders unsere Zeit
schmutzig machen, denn sie ist zum mindesten nicht
schlechter, als irgend eine andere war. Lumpen
und Hanswurste hat es immer gegeben; nur ihre
Spezialitäten wechseln und ihre Schneider.
Wird die Welt überhaupt um ein Titelchen
anders aussehen am nächsten Säkulumsmorgen?
Was ist das für ein inferiorer Gedanke, daß die
Spannkraft des Menschengeschlechts immer gerade
nach dem Kalender ein Jahrhundert aushalten,
dann erlöschen und wieder von neuem anheben
soll, daß der Perpendikel der Weltuhr immer
100X365 Tage zu einer Schwingung braucht!
Ls wird gar nichts verändert sein mit dem
neuen Jahrhundert, als vielleicht das, daß die
vorgedruckten Auittungs-, Wechsel- und Akten-
Formulare mit > 8 .. . entwerthet sind, daß etliche
Lontrakte ablaufen und daß ein entsetzliches Duan-
tum von Zahrhundert-Wende-Gedichten und blöd-
sinnigen Postkarten verbrochen werden wird. Sonst
soll Alles beim Alten bleiben, soweit das Alte gut ist.
Und darum lassen wir den Philistern ebenso
wenig das Recht, was ihnen nicht zusagt mit dem
Ramen „fin de siäcle“ zu brandmarken, als die
Dekadenten sich unterstehen sollen, zu thun, als sei
nun schon so wie so Alles eins und verlohne es
sich nicht mehr der Mühe, wegen des schäbigen
Rest's vom Jahrhundert noch einmal die Dinge
kräftig in die Hand zu nehmen. L> die Zeinen!
Da die Schwefelwolken nun doch schon einmal
über Sodom und Gomorrha stehen, meinen sie,
sollte man sie nur ruhig noch die Sehenswürdig-
keiten und Zerstreuungen dieser liebenswürdigen
Drtschaften weiter genießen lassen!
Rein! Rieder mit Allen, die das Wort vom
Zahrhundertende zum Schwindel mißbrauchen! wir
haben die Erhaltung der Energie über die Sylvester-
nacht 189? hinaus verdammt nöthig, denn die
Weltgeschichte wird mit der Aenderung der drei
letzten Ziffern der Jahreszahl nicht das Tausendstel
einer Sekunde still stehen. Und um 100 Jahre
später, wenn auch noch die erste Ziffer wechselt,
wird das auch nur im allerhöchsten Falle eine
Luriosität sein und im Uebrigen nicht einmal eine
Läsur in dem ungeheuren Streckvers von Klio's Lied.
Wir lassen uns unsere Zeit nicht verekeln! Lin
anständiger Vogel besudelt das Rest nicht, das ihn
warm hält, und ein anständiger Kerl ist auch mit
seiner Zeit solidarisch, nicht blos mit seiner Familie,
seiner Stadtvertretung, seinem Wahlverein und seinen
Vereinsbrüdern der „Harmonie". Er ist eins mit
seiner Zeit und paßt in sie. Höchstens ein Stück
vorausgehen darf er ihr — wenn er weiß, wie
man das macht.
Klägliche Dunkelmenschen, die immer auf's
Ende des Jahrhunderts schmähen, wenn irgend ein
Gräuel im Tagblatt steht, wenn irgendwo irgend
eine kolossale Dummheit oder wenn gar einmal
eine kolossale.Gescheidheit passirt! Die Sorte meint
Wunder was für ein Heldenwerk gethan zu haben,
wenn sie jeder Aenderung der Dinge ihr Jammer-
geschrei entgegenzetert und ihre Knüppel Jedem
zwischen die Beine schmeißt, der was Reues sagt
oder thut. Sie meint, wunder wie witzig sie ist, wenn
sie jede Lächerlichkeit der Streber in Kunst und Leben
als „modern" und „fin de siäcle“ brandmarkt.
Und welche böse versteckte Lüge spricht daraus:
Modern ist Jener, der sehend und reif in seiner
Zeit steht, nicht der, welcher ihr Affe ist!
„Moderne Trachten l" höhnen sie, sobald sie einen
großen Damenhut sehen, oder weite Aermel —
als ob es nie Reifröcke, Pluderhosen, Schnabel-
schuhe, oder spanische Mieder gegeben hätte. Mo-
derne Ehe! — Ratürlich. von der Aufführung
biblischer Patriarchen ganz abgesehen und der ver-
ewigten Majestäten Meffalina und Faustina, es
hat früher keine Licisbei gegeben und im OKittel-
alter keine Ritter, die dem einkehrenden Gastfreund
ihre Hausehre leihweise als kleine Aufmerksamkeit
mit ins Schlafzimmer gaben. „Moderne Malerei!"
schreien sie, wenn Liner recht schmiert. Ls hat
ja nie eine neu auftauchende künstlerische Richtung
ihre Rarren mit im Gefolge gehabt, nur heutzu-
tage kommt das vor! „Moderne Sitten" —
Ratürlich! Und die ärgste Verkommenheit in groß-
städtischen Lasterhöhlen ist kaum ein blasser Schatten
von dem Sündenraffinement vergangener Zeiten!
„Echt modern!" schreien sie, wenn ein Schwindler
seine Gimpel auf recht kräftigen Leim lockt! Teyel,
Laglioftro, Pater Gaßner und rutti quanti haben
ja nicht gelebt! Und so weiter mit Grazie! Das
Ururalte heißt fin de siäcle! Wie thöricht! Im
Punkt des Schlechten ist Richts mehr originell!
Richt einmal eine findesidcle-Dummheit gibt's, die
nicht schon anticipando Überboten wäre: wenn
heute ein deutscher Standesherr gen Trient aus-
zieht, um den Freimaurerteufel zu fangen und
Scheiterhaufen für die Logenbrüder zu errichten,
so ist er schließlich auch nicht ärger, als die alte
Dame in Lonstanz, die zu Hussens Scheiterhaufen
Holz herbeischleppte, um dem lieben Gott ein Ver-
gnügen zu machen!
Rein! „Modern" ist kein Schimpfwort!
Aber es soll auch kein prahlwort sein im
Munde jener Rückenmärker der Lultur, die sich
was darauf einbilden, wenn sie ihre Kniee nicht
mehr strecken können. Die große, allgemeine
Müdigkeitsbruderschaft der Dekadenten verunglimpft
unsere Zeit fast noch mehr als die Gesellschaft der
Schimpfer und Rörgler. Die da nichts sind und
nie was werden können, thun so, als hätten sie
aus geheimen Duellen eine solche Richtachtung
alles Bestehenden geschöpft, eine so tiefe Vernein-
ungsweisheit, daß sie sich der Menschheit gar nim-
mer annehmen mögen, ob sie's auch könnten!
Ihre von der großen Ermüdung und Erschütterung
gefaßten Seelen gehen im saloppen Schlafrock ein-
her, weil's ja doch Abend ist und nimmer Tag
werden wird; und sie thun so matt, als könnten
sie nur mit Mühe und Roth das Maul aufmachen
zum Gähnen. Diejenige Hälfte an ihnen, die
fröhlich darauf loslumpt, bis Sardanapals Palast
niederbrennt, ist noch die Bessere. Drollig genug
übrigens. Auch das vollkommen schweingewordene
Laster hat sich das gleiche Schlagwort ausgesucht:
„fin de siöcle!"
Der Teufel hole jene lustigen Lebegreise und
traurigen Sterbejungen — aber ich glaube nicht,
daß er sie mag! Sie sind nicht einmal so recht
herzhaft schlecht und Gott sei Dank, sie werden
auch nichts Schlimmes anrichten; sie werden sammt
ihrem Schlagwort aus der Lultur verschwinden.
Jetzt nehmen sie sich freilich spaßhaft genug aus,
die virtuosen des Unzulänglichen, die aus der Roth
ihrer Jämmerlichkeit eine Tugend machen möchten:
Stimmung! Stimmung. Richt zugreifen, nichts
anpacken! Rur andeuten! Können ist eine
Schande, Schaffen ist schon viel zu grob, vollenden
ist eine Gemeinheit. Rur Empfinden! Hier ein
orangengelber Fleck und dort hinten ein süßlila-
mattgraugelber Strich — das ist ein Bild! Dben
links ein „D weh", dann eine Seite voll Gedanken-
striche und unten rechts ein „D jeh"! - Das
ist Poesie! Andeuten, ahnen lassen, nicht Mehr!
Solch ein Männlein hat Rerven wie Parmesan-
käsfäden. vibrirten sie ein bischen zu stark, so
gingen sie entzwei. Und nicht lachen: lachen ist
roh! Lächeln sogar ist banal. Höchstens ein
schwächerer Grad von Leiden ist erlaubt und das
ist schon das ercessivste Maß von Heiterkeit, das
sich ein Fin de siecle-Rerven-Empfindungs-Kunst-
mensch pur sang leisten darf! Und phanlasie
muß er haben, Phantasie, wie man sie nach starkem
Rasenbluten oder nach einer Morphiumeinspritzung
hat, mit Dhrensausen und krankhaften Farben-
empfindungen, Traumdelirium des im tiefsten
Schlummer liegenden Intellekts! Denn das Un-
bewußte, das ist das ganz Große in der Kunst!
Je größer der Dusel und das Dhrensausen, je
dicker der Rebel, desto gewaltiger der OUann!
Um wie viel angenehmer ist die einfache, glatte
Dummheit, die nichts prätendirt, weil sie nichts
kann! Und um wie viele Siriusmeilen steht das
wirkliche Talent höher, das sich etwas absurd ge-
bärdet in Iugendgährung!
Und dazu der Größenwahn jener Helden! Statt
vor Katzenjammer umzukommen, frisiren sie sich noch
als Götter. Die Götter des Rirwana. Sie haben das
Richts entdeckt! Sie sind wie die letzten zitternden
Harfengänge, welche die Hand des Weltgeist's noch
aus Sen Saiten ruft. Immer leiser und leiser
und jetzt schnarcht es schon, das Jahrhundert!
Weg auch mit diesen Kerls! Unsere Zeit ist
nicht alt, nicht müde! Wir leben nicht unter den
letzten Athemzügen einer ersterbenden Epoche, wir
stehen am Morgen einer kerngesunden Zeit, es
ist eine Lust zu leben!
Und es ist auch eine Lust zu kämpfen, mit denen,
die uns das lachende Leben nicht gönnen wollen!
Jung ist die Welt! Dem Starken gehört sie
und dem Guten. Dem Guten auch und mehr
denn je; denn die gewaltigen Dinge, die wir in
der Zukunft zu thun haben, wollen zum großen
Theile mit dem Herzen gethan sein. Und dem
Frohen gehört die Welt; gerade der, dem das Her;
voll ist von der Sorge um die, welche mit ihm
auf Erden wandeln und leiden, der darf auch
wieder aus vollem Herzen lachen über das Lustige.
Lin Lump hat kein Recht auf das heilige Lachen.
Und dem Klugen gehört die Welt, dem Klugen,
der Wege findet und den vor Wegen nicht schwindelt,
die Kluge fanden vor ihm. Und dem Tupfern
gehört sie, der sich vorwärts schlägt durch Dick
und Dünn und nichts fürchtet, als den Gott in
sich, mag er ihn nun Gewissen nennen oder
anders. Vorwärtsgehen, Mitkommen heißt es. Wer
hinten bleibt, erstickt im Sumpfe. Und die pikel-
häringe, die mit ihrem Rarrengeschrei einher-
hüpfen und meinen, sie führten den Zug, die bleiben
ja doch liegen, wenn ihnen der Athem ausgeht,
und verenden am Wege. —
Und wenn wir jetzt einen Bund gründen, um
Alle die auf's Haupt zu schlagen, die im Ramen
des „fin de siöele" so oder anders sündigen wider
den heiligen Geist der Zeit, so wird sich dabei
Eins zeigen: Daß dieser Bund auf's Haar ein
Bund der anständigen Leute ist!
Und ein Bund der Jugend.! O.
}Inti-!I^in de siede
Olun aber muß einem dringenden Bedürfniß
abgeholfen werden: Wir wollen einen neuen Bund
gründen, einen Bund mit zwei Fronten,
Zweck des Vereins ist erstens, diejenigen auf's —
Haupt zu schlagen, die mit verlogenem Gezeter und
frechem Hohn unsere Zustände am Ende des Jahr-
hunderts als die schlimmsten seit der Sintfluth oder
seit der Erschaffung des Ichthyosaurus ausschreien.
Zum Zweiten aber wollen wir den Iammer-
menschen an den Kragen, die mit dem Schlag-
wort vom Jahrhunderte alle geistige, sittliche und
körperliche Versunkenheit und Verkommenheit, alle
ihre phrasenreiche Hohlheit verbrämen wollen.
Wir wollen zu Felde ziehen gegen die Fin de
siäcle-philister und die Fin de siöcle-Gecken.
Wir lassen uns weder so, noch anders unsere Zeit
schmutzig machen, denn sie ist zum mindesten nicht
schlechter, als irgend eine andere war. Lumpen
und Hanswurste hat es immer gegeben; nur ihre
Spezialitäten wechseln und ihre Schneider.
Wird die Welt überhaupt um ein Titelchen
anders aussehen am nächsten Säkulumsmorgen?
Was ist das für ein inferiorer Gedanke, daß die
Spannkraft des Menschengeschlechts immer gerade
nach dem Kalender ein Jahrhundert aushalten,
dann erlöschen und wieder von neuem anheben
soll, daß der Perpendikel der Weltuhr immer
100X365 Tage zu einer Schwingung braucht!
Ls wird gar nichts verändert sein mit dem
neuen Jahrhundert, als vielleicht das, daß die
vorgedruckten Auittungs-, Wechsel- und Akten-
Formulare mit > 8 .. . entwerthet sind, daß etliche
Lontrakte ablaufen und daß ein entsetzliches Duan-
tum von Zahrhundert-Wende-Gedichten und blöd-
sinnigen Postkarten verbrochen werden wird. Sonst
soll Alles beim Alten bleiben, soweit das Alte gut ist.
Und darum lassen wir den Philistern ebenso
wenig das Recht, was ihnen nicht zusagt mit dem
Ramen „fin de siäcle“ zu brandmarken, als die
Dekadenten sich unterstehen sollen, zu thun, als sei
nun schon so wie so Alles eins und verlohne es
sich nicht mehr der Mühe, wegen des schäbigen
Rest's vom Jahrhundert noch einmal die Dinge
kräftig in die Hand zu nehmen. L> die Zeinen!
Da die Schwefelwolken nun doch schon einmal
über Sodom und Gomorrha stehen, meinen sie,
sollte man sie nur ruhig noch die Sehenswürdig-
keiten und Zerstreuungen dieser liebenswürdigen
Drtschaften weiter genießen lassen!
Rein! Rieder mit Allen, die das Wort vom
Zahrhundertende zum Schwindel mißbrauchen! wir
haben die Erhaltung der Energie über die Sylvester-
nacht 189? hinaus verdammt nöthig, denn die
Weltgeschichte wird mit der Aenderung der drei
letzten Ziffern der Jahreszahl nicht das Tausendstel
einer Sekunde still stehen. Und um 100 Jahre
später, wenn auch noch die erste Ziffer wechselt,
wird das auch nur im allerhöchsten Falle eine
Luriosität sein und im Uebrigen nicht einmal eine
Läsur in dem ungeheuren Streckvers von Klio's Lied.
Wir lassen uns unsere Zeit nicht verekeln! Lin
anständiger Vogel besudelt das Rest nicht, das ihn
warm hält, und ein anständiger Kerl ist auch mit
seiner Zeit solidarisch, nicht blos mit seiner Familie,
seiner Stadtvertretung, seinem Wahlverein und seinen
Vereinsbrüdern der „Harmonie". Er ist eins mit
seiner Zeit und paßt in sie. Höchstens ein Stück
vorausgehen darf er ihr — wenn er weiß, wie
man das macht.
Klägliche Dunkelmenschen, die immer auf's
Ende des Jahrhunderts schmähen, wenn irgend ein
Gräuel im Tagblatt steht, wenn irgendwo irgend
eine kolossale Dummheit oder wenn gar einmal
eine kolossale.Gescheidheit passirt! Die Sorte meint
Wunder was für ein Heldenwerk gethan zu haben,
wenn sie jeder Aenderung der Dinge ihr Jammer-
geschrei entgegenzetert und ihre Knüppel Jedem
zwischen die Beine schmeißt, der was Reues sagt
oder thut. Sie meint, wunder wie witzig sie ist, wenn
sie jede Lächerlichkeit der Streber in Kunst und Leben
als „modern" und „fin de siäcle“ brandmarkt.
Und welche böse versteckte Lüge spricht daraus:
Modern ist Jener, der sehend und reif in seiner
Zeit steht, nicht der, welcher ihr Affe ist!
„Moderne Trachten l" höhnen sie, sobald sie einen
großen Damenhut sehen, oder weite Aermel —
als ob es nie Reifröcke, Pluderhosen, Schnabel-
schuhe, oder spanische Mieder gegeben hätte. Mo-
derne Ehe! — Ratürlich. von der Aufführung
biblischer Patriarchen ganz abgesehen und der ver-
ewigten Majestäten Meffalina und Faustina, es
hat früher keine Licisbei gegeben und im OKittel-
alter keine Ritter, die dem einkehrenden Gastfreund
ihre Hausehre leihweise als kleine Aufmerksamkeit
mit ins Schlafzimmer gaben. „Moderne Malerei!"
schreien sie, wenn Liner recht schmiert. Ls hat
ja nie eine neu auftauchende künstlerische Richtung
ihre Rarren mit im Gefolge gehabt, nur heutzu-
tage kommt das vor! „Moderne Sitten" —
Ratürlich! Und die ärgste Verkommenheit in groß-
städtischen Lasterhöhlen ist kaum ein blasser Schatten
von dem Sündenraffinement vergangener Zeiten!
„Echt modern!" schreien sie, wenn ein Schwindler
seine Gimpel auf recht kräftigen Leim lockt! Teyel,
Laglioftro, Pater Gaßner und rutti quanti haben
ja nicht gelebt! Und so weiter mit Grazie! Das
Ururalte heißt fin de siäcle! Wie thöricht! Im
Punkt des Schlechten ist Richts mehr originell!
Richt einmal eine findesidcle-Dummheit gibt's, die
nicht schon anticipando Überboten wäre: wenn
heute ein deutscher Standesherr gen Trient aus-
zieht, um den Freimaurerteufel zu fangen und
Scheiterhaufen für die Logenbrüder zu errichten,
so ist er schließlich auch nicht ärger, als die alte
Dame in Lonstanz, die zu Hussens Scheiterhaufen
Holz herbeischleppte, um dem lieben Gott ein Ver-
gnügen zu machen!
Rein! „Modern" ist kein Schimpfwort!
Aber es soll auch kein prahlwort sein im
Munde jener Rückenmärker der Lultur, die sich
was darauf einbilden, wenn sie ihre Kniee nicht
mehr strecken können. Die große, allgemeine
Müdigkeitsbruderschaft der Dekadenten verunglimpft
unsere Zeit fast noch mehr als die Gesellschaft der
Schimpfer und Rörgler. Die da nichts sind und
nie was werden können, thun so, als hätten sie
aus geheimen Duellen eine solche Richtachtung
alles Bestehenden geschöpft, eine so tiefe Vernein-
ungsweisheit, daß sie sich der Menschheit gar nim-
mer annehmen mögen, ob sie's auch könnten!
Ihre von der großen Ermüdung und Erschütterung
gefaßten Seelen gehen im saloppen Schlafrock ein-
her, weil's ja doch Abend ist und nimmer Tag
werden wird; und sie thun so matt, als könnten
sie nur mit Mühe und Roth das Maul aufmachen
zum Gähnen. Diejenige Hälfte an ihnen, die
fröhlich darauf loslumpt, bis Sardanapals Palast
niederbrennt, ist noch die Bessere. Drollig genug
übrigens. Auch das vollkommen schweingewordene
Laster hat sich das gleiche Schlagwort ausgesucht:
„fin de siöcle!"
Der Teufel hole jene lustigen Lebegreise und
traurigen Sterbejungen — aber ich glaube nicht,
daß er sie mag! Sie sind nicht einmal so recht
herzhaft schlecht und Gott sei Dank, sie werden
auch nichts Schlimmes anrichten; sie werden sammt
ihrem Schlagwort aus der Lultur verschwinden.
Jetzt nehmen sie sich freilich spaßhaft genug aus,
die virtuosen des Unzulänglichen, die aus der Roth
ihrer Jämmerlichkeit eine Tugend machen möchten:
Stimmung! Stimmung. Richt zugreifen, nichts
anpacken! Rur andeuten! Können ist eine
Schande, Schaffen ist schon viel zu grob, vollenden
ist eine Gemeinheit. Rur Empfinden! Hier ein
orangengelber Fleck und dort hinten ein süßlila-
mattgraugelber Strich — das ist ein Bild! Dben
links ein „D weh", dann eine Seite voll Gedanken-
striche und unten rechts ein „D jeh"! - Das
ist Poesie! Andeuten, ahnen lassen, nicht Mehr!
Solch ein Männlein hat Rerven wie Parmesan-
käsfäden. vibrirten sie ein bischen zu stark, so
gingen sie entzwei. Und nicht lachen: lachen ist
roh! Lächeln sogar ist banal. Höchstens ein
schwächerer Grad von Leiden ist erlaubt und das
ist schon das ercessivste Maß von Heiterkeit, das
sich ein Fin de siecle-Rerven-Empfindungs-Kunst-
mensch pur sang leisten darf! Und phanlasie
muß er haben, Phantasie, wie man sie nach starkem
Rasenbluten oder nach einer Morphiumeinspritzung
hat, mit Dhrensausen und krankhaften Farben-
empfindungen, Traumdelirium des im tiefsten
Schlummer liegenden Intellekts! Denn das Un-
bewußte, das ist das ganz Große in der Kunst!
Je größer der Dusel und das Dhrensausen, je
dicker der Rebel, desto gewaltiger der OUann!
Um wie viel angenehmer ist die einfache, glatte
Dummheit, die nichts prätendirt, weil sie nichts
kann! Und um wie viele Siriusmeilen steht das
wirkliche Talent höher, das sich etwas absurd ge-
bärdet in Iugendgährung!
Und dazu der Größenwahn jener Helden! Statt
vor Katzenjammer umzukommen, frisiren sie sich noch
als Götter. Die Götter des Rirwana. Sie haben das
Richts entdeckt! Sie sind wie die letzten zitternden
Harfengänge, welche die Hand des Weltgeist's noch
aus Sen Saiten ruft. Immer leiser und leiser
und jetzt schnarcht es schon, das Jahrhundert!
Weg auch mit diesen Kerls! Unsere Zeit ist
nicht alt, nicht müde! Wir leben nicht unter den
letzten Athemzügen einer ersterbenden Epoche, wir
stehen am Morgen einer kerngesunden Zeit, es
ist eine Lust zu leben!
Und es ist auch eine Lust zu kämpfen, mit denen,
die uns das lachende Leben nicht gönnen wollen!
Jung ist die Welt! Dem Starken gehört sie
und dem Guten. Dem Guten auch und mehr
denn je; denn die gewaltigen Dinge, die wir in
der Zukunft zu thun haben, wollen zum großen
Theile mit dem Herzen gethan sein. Und dem
Frohen gehört die Welt; gerade der, dem das Her;
voll ist von der Sorge um die, welche mit ihm
auf Erden wandeln und leiden, der darf auch
wieder aus vollem Herzen lachen über das Lustige.
Lin Lump hat kein Recht auf das heilige Lachen.
Und dem Klugen gehört die Welt, dem Klugen,
der Wege findet und den vor Wegen nicht schwindelt,
die Kluge fanden vor ihm. Und dem Tupfern
gehört sie, der sich vorwärts schlägt durch Dick
und Dünn und nichts fürchtet, als den Gott in
sich, mag er ihn nun Gewissen nennen oder
anders. Vorwärtsgehen, Mitkommen heißt es. Wer
hinten bleibt, erstickt im Sumpfe. Und die pikel-
häringe, die mit ihrem Rarrengeschrei einher-
hüpfen und meinen, sie führten den Zug, die bleiben
ja doch liegen, wenn ihnen der Athem ausgeht,
und verenden am Wege. —
Und wenn wir jetzt einen Bund gründen, um
Alle die auf's Haupt zu schlagen, die im Ramen
des „fin de siöele" so oder anders sündigen wider
den heiligen Geist der Zeit, so wird sich dabei
Eins zeigen: Daß dieser Bund auf's Haar ein
Bund der anständigen Leute ist!
Und ein Bund der Jugend.! O.