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Nr. 1

JUGEND

1898

Regenwetter Radirung von George Gascoyne (Sittingbourne).

Alte Briefe

Pukatetl hat der Händler ihr geboten
Für die vergilbten Briefe ihres Todten.

Ein klein Vermögen. — Wo der Schach’rer nur
Von ihrer Noth und ihrem Schatz erfuhr,

Den sie nach jüng’rer Weiber list’ger Art
Manch ein Jahrzehnt nun schon im Schrein

bewahrt?

Und heute, weil sie hungerte und fror,

Weil sie zur Arbeit Muth und Kraft verlor,
Weil ihr im Fieber heiss die Augen brennen,
Soll sie vom Einz’gen, was sie liebt, sich trennen;
Soll sie das Letzte aus den Händen geben,
Was sie mit Glück verbindet noch und Leben... ?

Mit Glück und Leben...? Ach, ihr kurzes Glück
Liegt weit, weit, wie ein Kindertraum zurück!

Und doch, wenn Sonntags sie vom Kirchgang kam,
Das Zimmer schloss und aus dem Schreine nahm
Die gelben Blätter, Gott und Welt vergass
Und in den alten, lieben Sünden las —

War sie nicht jung dann? War sie glücklich

nicht?

Zerflossen nicht im alternden Gesicht
Die Sorgenfältchen? Glänzte nicht ihr Haar
In schwarzer Fülle weich und wunderbar?
Und wölbte sich die Brust nicht jung und rund,
Und bebt’ und zuckte nicht der frische Mund,
Als habe er nach glühendem Umfassen
Sein heimlich Lieb jetzt aus dem Arm gelassen ?..

Dukaten hat der Händler ihr geboten
Für jedes gelbe Blatt von diesem Todten.

Es war ein „hoher Herr“. Was lag daran!
Sie sah ihn nicht um seine Hoheit an;

Und was die Welt an Ehr' ihm gab und gibt,
Sie weiss es nicht — sie hat ihn nur geliebt.
Und wenn sie lauschend ihm am Munde hing,
Wie hohe Gnaden Wort und Blick empfing,
War er ihr Herr, ihr einz’ger König gar
Was kümmert sie’s, was er den Andern war!
Ob er daheim im Sessel von Damast
Für Reich und Krone den Entschluss gefasst;
Ob er umbuckelt vom Lakaientross
Auf Marmortreppen stieg zum Ahnenschloss;
Ob er im Kampf um kleinlichen Bedarf
Der Tagesnoth die Brust entgegenwarf;

Ob, wenn die Nacht ihr schwarzes Banner

schwang,

Sein einsam Licht aus der Mansarde drang —
Ob er verarmt, ob er vom Glück begabt,

Was galt das ihr — sie hat ihn lieb gehabt!. .

Dukaten hat der Händler ihr geboten
Für jedes gelbe Blatt von diesem Todten.

Was sind ihm diese Blätter wohl —? am Ende
Menschlicher Schwäche selt’ne Dokumente,
Schmutzig Papier mit krausen Federzügen,

Die glücklich jubeln und von Zukunft lügen . . .
Ihr aber sind sie Leben, Fleisch und Blut,
Seit seine liebe Hand darauf geruht.

Sie schaut die Züge, die bekannten, lieben,
Sie hört ihn reden, was er nur geschrieben,

Sie hört sein Lachen, seinen Gang und Schritt
Aus dem Papier — Was will der Fremde mit?
Ja so! Auf ihn, der sich ihr anvertraut,

Hat Neid und Staunen einer Welt geschaut.
Sie haben alle Winkel ausgespürt,

Wohin ihn Neigung je und Pflicht geführt;
Und der den letzten Winkel kennen will,

Der steht — zu spät — vor ihrer Thüre still,

Und bietet ihrer Armuth, ihrer Noth

Für den verrauschten Traum der Liebe — Brod!

Dukaten hat der Händler ihr geboten
Für die vergilbten Briefe dieses Todten.
Damit die müss’gen Gaffer alle lesen,

Dass sie einst jung, schön und geliebt gewesen,
Und dass der Mann, dess Zorn die Welt bewegt,
Sein müdes Haupt in ihren Schooss gelegt;
Dass alle Wünsche seiner stolzen Brust,

Die heimlichsten, sie längst voraus gewusst;
Dass Schwarzen Adler sie und Goldenes Vlies
Durch ihre Finger spielend gleiten liess,

Wenn er, vom Tanz erschöpft und faden Reden,
Zu später Stunde bei ihr eingetreten
Und sie geküsst, geherzt in wilder Gluth
Und im Verlangen dann und Uebermuth
Dort auf dem Schränkchen zwischen bill’gen Vasen
Die kleine Lampe plötzlich ausgeblasen ....

Die kleine Lampe!.. Sieh, sie brennt noch heut’!
Und wo sie sanft ihr mattes Licht zerstreut,
Steht jetzt die Alte, löst die blasse Schnur
Vom Päcklein Briefe. Einen einz’gen nur

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George Gascoyne: Regenwetter
Rudolf Presber: Alte Briefe
 
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