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1898

JUGEND

Nr. 1

®erfteb’ ich, wenn ihr Madeirasauce mit den gräß-
i'chsten Verwünschungen von euch weist und die
Dattin, die sie euch vorseyt, sammt ihrer Brut
hmausstoßt in's Elend.

Esten und Trinken sind gesellige Thätigkeiten.
Esten und Trinken sind etwas so Köstliches, daß
der edle Mensch sie nicht allein genießen mag.
sich wenigstens habe kein verständniß für den ein-
samen Ester und für den „stillen Suff": vielleicht
>st hier die Grenze meiner Begabung. Man muß
doch beim Esten Jemand haben, den man begeistert
aastehen kann: „Nehmen Sie 'mal von dieser Seite
des Bratens!“ man muß doch beim Trinken
wenn anders es einem ernst ist um's Trinken
Jemand haben, den man nachher umarmen kann!
üch weiß ja, daß man beim einsamen Trinken -
das ich natürlich auch versucht habe — in einen
Abgrund voll purpurner Träume versinken, mit
leicht aufgestützten Fingerspitzen sich über die Milch-
straße schwingen kann wie über einen Gartenzaun;
aber danach muß man doch Jemand haben, den man
iurchtbar auf die Schulter haut mit den Worten:
»verdammt, Kerl, ich Hab' eben ein wundervolles
Gedicht konzipirt!" und mit dem man dann auf
das neue Werk eine neue Flasche trinkt!

freilich - rveit energischer als die einsamen
Bmers wird der estende und trinkende Kultur-
mensch die Mastendiners von sich weisen, ganz be-
ionders solche, die unter dem Präsidium hoher
Persönlichkeiten stattsinden. Mit solchen Leuten
Mt schlecht Kirschen essen, weil sie es oft nicht bis

)u den Früchten kommen lasten. Sie, für die
das Diner - '

'icjjften Regierungs

3U den allergewöhnlichsten und alltäg-

shandlungen gehört, heben nicht

selten schon vor dem Käse die Tafel auf, und das
verträgt ein Rervenmensth einfach nicht. Ich
schweige ganz davon, daß ein Ester von Gefühl
sich einen vornehm sarkastischen Roquefort, einen
mondlichtweichen Gervais, einen gemüthstiefen
Holländer, einen hingebend pikanten Lamembert
nur mit bitterem Weh aus dem Herzen reißt. Es
ist ja nicht um den Käse; es ist das marternde
Gefühl, daß dieses Diner ewig ein Torso bleiben,
daß es nie ein vollendetes, abgerundetes, langsam
ausklingendes Kunstwerk sein wird. Ls ist eine
brutal zerriffene Musik, die eben alle Sinne weich
umsponnen hatte, als Jemand eine aufgeblasene
Tüte mit der Jaust zerknallte. Gefühlvoller Leser,
Du weißt aus Deiner Kindheit, wie es thut, wenn
man ein ganzes Pfund Kirschen verzehrt hat und
nun die allerletzte in den Schmutz fällt. Du hättest
gern die Hälfte der Kirschen verschenkt; aber die
letzte, die Du langsam in Deinen Sinnen vergehen
lasten wolltest wie die letzte Minute eines zuge-
meffenen Glücks: sie durfte Dir nicht genommen
werden. Run schmeckte Dir nachträglich das ganze
Pfund nicht mehr; denn auf Deiner Junge, in
Deinem Herzen blieb eine unaufgelöste Dissonanz.
Ich wenigstens liebte schon als Knabe die abge-
rundeten Mahlzeiten und die Dramen mit Schluß.

Ich empfehle auf das wärmste die Diners im
engen Familienkreise. Schon um ihretwillen lohnt
sich das Heirathen. Denke Dir z. B. einen Sonn-
tagmittag im Sommer; die Fenster sind offen; die
Sonne blickt herein und liest mit behaglichem
Schmunzeln und mit mütterlichem Stolz auf einer
Flasche das Wort „Liebfrauenmilch", neben Dir sitzt
die liebe Frau Dein» Hauses, vom obersten Haar-

löckchen bis zum äußersten Schuhspiychen appetit-
lich zum Einbeißen, und um den Tisch herum
sitzen dann noch 5, S, 7 oder mehr Kinder, mit
lüstern geöffneten Mäulern nach der Fruchtschale
schielend: denn ihnen ist das ganze Diner eine
etwas umständliche Vorbereitung auf Kirschen und
Erdbeeren. Du bist in einem fortwährenden päda-
gogischen Konflikt: läßt Du sie reden, so verstehst
Du bald vor Lärm den Gänsebraten nicht mehr;
verbietest Du ihnen den Mund — ja, wer mag
an seinem Tisch auf das Geplauder von Kindern
verzichten? Bei Tische haben sie ja die produktiv-
sten Einfälle. Also beschränkt man sich auf ein
periodisch wiederholtes Donnerwort: „Jetzt haltet
aber den Schnabel und eßt, sonst kriegt ihr keine
Schneebälle!"

„Hurraaah, heut gibt's Schneebälle!" Du
hast damit nur einen größeren Lärm entfacht und
mußt noch diverse gerührte Umarmungen und Küste
über Dich ergehen lasten. Du beruhigst sie end-
lich, indem Du jedes an Deinem Glase nippen
läßt; sie erklären alle mit heuchlerisch verdrehten
Augen, es schmecke prachtvoll, obwohl es feststeht,
daß ihren Kinderzünglein diese milde Milch Unserer
lieben Frauen noch viel zu herbe ist und sie sich
mit Arm und Bein dagegen wehren würden, wenn
sie sie trinken sollten. Du zerlegst den Braten,
willst Deiner Frau das allerschönste Stück auf den
Teller legen; sie erklärt auf das entschiedenste, daß
Du es effen müßtest, ein Streit, der immer mit
einem Siege der Frau endet, weshalb es Dir auch
so leicht wird, ihr das beste Stück anzubieten.
Du trinkst dann mit Deiner Frau auf irgend
etwas Schönes und Heiliges, das Kinder noch
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Karl Itschner: Eisbahn
 
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