Nr. 1
JUGEND
1898
nicht vefstehen; Du Iheilst endlich die Schneebälle
und Kirschen aus, wie ein König Provinzen ver-
theiit, und mit einem Mule klingt Dir in den
Dhren ein leiser, friedevoUer Mozart.
„Wie sehr lach' ich die Groszen aus,
Die Blutvergießer, Helden, Prinzen.
Denn mich beglückt ein kleines Haus,
Sie nicht einmal Provinzen."
Wenn die Worte auch nicht so ganz zu Deiner
Seele stimmen — die Musik stimmt. Und wenn
Du auch einer bist, der an werkeltagen nöthigen-
falls seine Feinde beim Kragen nimmt und mit
den Köpfen zusammenschlägt und der an Sonn-
tagen mit leuchtendem Trotz in den Augen denkt,
daß er sich diese süßen Minuten erkämpfen mußte
wenn Du all' das weichmäulige, ahnungslose
Glück um Dich herumlungern siehst, dann merkst
Du dummer Kerl doch, daß Dir vor lauter Freude
die Augen feucht werden, entsinnst Dich aber noch
rechtzeitig, daß Sentimentalität auch mitunter eine
Folge von Hummerragout und Liebfrauenmilch
sein kann. Und wenn Du Dich auf's Ruhebett
gestreckt hast und Deine traumberauschte Seele
zwischen Schlaf und Leben schwankt, dann spürst
Du noch auf Deinem Mund den reinen Kuß
Deines Jüngsten, die letzte, ambrosische Speise von
diesem Sonntagsmahl am Tisch des Lebens.
Aber ein echter Mensch darf nicht in Haus
und Familie versimpeln, und darum soll er des
öfteren auch im Freundeskreise essen und trinken.
Ein Lebenskünstler hat gesagt, eine rechte Tisch-
gesellschaft dürfe nicht unter der Zahl der Grazien
bleiben und die Zahl der Musen nicht überschreiten.
Lin feines Wort! Denn bei weniger als dreien
erhält sich nur schwer die leichte Beweglichkeit der
Unterhaltung, der anmuthig wechselnde Reigen
der Gedanken; bei mehr als neunen legt sich gar
zu leicht der Druck der Masse auf den Einzelnen
und macht seine Produktivität befangen. Richt,
daß es nicht auch einmal zehn sein dürften; wenn
z. B. der zehnte ein Musaget ist, so wird man
nicht engherzig sein. Ratürlich heißt das alles
nicht, daß man als alleinstehender Herr mit neun
Damen speisen soll. Z, 4, S Damen und ebenso-
viele Herren, lauter frohe und treue, eß- und trink-
bare Gemüther, in einem Gabinot partioulier
zusammen: diese Vorstellung wird immer eine ge-
wisse Macht über mich besitzen, wenn auch auf
der anderen Seile die. Tugend steht und mir mit
einem Bündel Mohrrüben winkt. Ratürlich hat
auch ein Diner oder Souper unter lauter Herren
seinen Reiz; das Menu wird dann eben etwas
anders, wenn die Herzen und Geister einer Ge-
sellschaft gut zu einander abgestimmt sind, wird
schnell ein schöner Zusammenklang da sein. Frei-
lich: wenn es das Unglück durchaus will, kann
auch ein solches Symposion ledern verlaufen. Der
deutsche Geist hat zuweilen seine trotzigen Mücken
und weigert sich dann wohl einen ganzen Abend
lang mit verstockter, boshafter Freude, irgend et-
was herzugeben. Lr hat Stunden und Tage der
Lethargie, die nur um so größer wird, je mehr
man sie zu bannen sucht. Der deutsche Genius
muß seinen guten Tag haben. Linen solchen
guten Tag kann man ihm aber in der Regel ver-
schaffen, ivenn man ihm ellvas Gutes zu trinken
gibt. Darum ist es empfehlenswerth, gleich zu
Anfang eines Mahles mehrfach einen guten Schluck
zu nehmen. „Jawohl," rufen die Abstinenzler
mit der ihnen eigenthümlichen Lieblosigkeit „die
Herrschaften müssen sich eben ihren „Geist" erst
vom Alkohol leihen!" Bitte, meine Verehrtesten,
Leute wie wir sind nicht um Geist verlegen in
der Stille unseres Arbeitszimmers, wo wir Zeit
haben. Aber in munterer Gesellschaft kann man
nicht sagen: „Ach bitte, warten Sie einen Augen-
blick, mir wird schon eine schlagende Antwort
einfallen!" Der Deutsche ist nicht eigentlich schlag-
fertig. Lr gibt die wunderbarsten, humorvollsten
und tiefsten Antworten von der Welt, wenn man
ihm zehn Minuten Zeit läßt. Lben darum ward
ihm ja der Hochheimer zum Gehilfen gegeben. —
Rach Beendigung der Mahlzeit bin ich sehr für
eine halbstündige Trennung der Geschlechter, wenn
auch der menschliche Esser niemals so viel ißt,
daß er nicht sehr gut und ohne Schaden noch
ellvas zu sich nehmen könnte, vielmehr schon das
allereinfachste Raffinement ihm gebietet, weniger
unb dafür öfter zu essen, er sich auch für etivaige
Eventualitäten immer eine Möglichkeit, ihnen ge-
recht zu werden, offen lassen wird, so — jetzt
kommt der Rachsatz — ist doch die Zeit unmittel-
bar nach dem Essen wenig geeignet zu eleganten
oder heroischen Attitüden des Körpers oder Geistes.
Man verdaut nicht gut in der Stellung des bel-
vederischen Apoll oder des gigantenbekämpfenden
Zeus von Pergamon. Pos! ccenam stabis —
das andere ist Unsinn in körperlicher wie geistiger
Beziehung. Darum sorge ein guter Arrangeur
für die nöthige Anzahl bequemer Fauteuils. In
solchem Sessel sitzend, nimmt man dann den Kaffee
und einen Lognac oder einen Lhartreuse oder einen
Benediktiner oder dergl. in kteinen Schlücken zu
sich. Zum Likör gibt inan kurze, konzentrirte
Epigramtne, zum Kaffee ein paar behagliche, aber
gefälligst gleichwohl pointirte Anekdoten.
Und dann die Zigarre! Ja — was soll ich
euch darüber sagen? Hier erlahmt meine Kraft.
Ls ist von ernsten Männern behauptet worden,
ein Diner — auch das reichste und schönste —
habe nur einen Sinn als Vorbereitung auf die nach-
folgende Zigarre. Der geneigte Leser wird bei
unbefangener Prüfung zugeben, daß ich Essen und
Trinken keineswegs gering achte; aber wenn man
jene Behauptung mit Ernst und Gründlichkeit vor
mir vertreten würde — ich weiß nicht, ob ich ihr
nicht zuftimmen müßte. Die Zigarre macht den
Strich unter das Diner und zieht die Summe.
Aber in ihrein Rauche sind die konsistenten Freuden
des Mahles aufgelöst in duftende Träume; der
biderbe Wildschweinskopf hat seine Lrdenschwcre
verloren und steigt als ein silbernes Wölkchen selig
empor; die Geister des Weines hüllen sich neckisch
in verwehende, aromatische Schleier, werfen sic
ivieder ab und tanzen mit leisem wiegen und Drehen
«n UNS vorüber. Run speist eigentlich erst der
intimere Mensch in uns; das innerste, scheueste
Ich, das am Tage sich verborgen hält und dem
das Feste und Flüssige zu brutal war, koinmt an
die Dberfläche und saugt sich mit gierigen Rüstern
Rahrung und Wohlgeschmack aus Erinnerungen.
Rach solch einer halben Stunde kehrt man
in das gemeinsame Zimmer zurück, wo man schon
von einer tiefgründigen und milden Bowle erwartet
wird. Solch eine Bowle hat ihre großen Vorzüge
vor dem Linzeltrinken aus Flaschen — abgesehen
vom Stoff natürlich —: sie gewährt einen Mittel-
punkt, der die Blicke und die zersialternden Geister
immer wieder anzieht wie eine einsame Blume die
Schmetterlinge; sie bildet für die Gesellschaft gleich-
sam ein zentrales Heiligthum. Das Trinken, dem
während des Diners durch das Essen natürlich Ab-
bruch geschah, kommt jetzt zu seinem vollen Rechte,
wenn nun ein echter Dichter unter der Gesellschaft
ist, und er hat ein Manuskript, und dieses Manu-
skript ist kurz und gut, so darf er damit heraus-
rücken. Und wenn ein echter Musiker da ist, so
darf er ein wenig spielen oder singen. Ich gebe
diese Lrlaubniß nur unter den schwersten Bedenken;
denn ich weiß, Sö°/° meiner Leser werden nun
wieder, statt der Diners mit Kunstgenüssen, Konzerte
und Vorlesungen mit kleinen scherzhaften Er-
frischungen veranstalten. Ich sage nicht, daß die
Kunstgenüsse „nur zur Abwechselung" da sein
sollen; einer solchen Brutalität bin ich nicht fähig.
Rein, es soll ein richtiges Gleichgewicht sein zwischen
Sinnlichem und Geistigem. Aber zu einem solchen
Gleichgewicht genügen auch ein paar Lieder oder ein
kurzes Rovellchen. Denn ein ganz ganz kleines
echtes Kunstwerkchen wiegt schon das theuerfte
Diner mit zehn Gängen und ebenso vielen weinen
auf. Das schreibe ich für die protzen. Die lesen
JUGEND
1898
nicht vefstehen; Du Iheilst endlich die Schneebälle
und Kirschen aus, wie ein König Provinzen ver-
theiit, und mit einem Mule klingt Dir in den
Dhren ein leiser, friedevoUer Mozart.
„Wie sehr lach' ich die Groszen aus,
Die Blutvergießer, Helden, Prinzen.
Denn mich beglückt ein kleines Haus,
Sie nicht einmal Provinzen."
Wenn die Worte auch nicht so ganz zu Deiner
Seele stimmen — die Musik stimmt. Und wenn
Du auch einer bist, der an werkeltagen nöthigen-
falls seine Feinde beim Kragen nimmt und mit
den Köpfen zusammenschlägt und der an Sonn-
tagen mit leuchtendem Trotz in den Augen denkt,
daß er sich diese süßen Minuten erkämpfen mußte
wenn Du all' das weichmäulige, ahnungslose
Glück um Dich herumlungern siehst, dann merkst
Du dummer Kerl doch, daß Dir vor lauter Freude
die Augen feucht werden, entsinnst Dich aber noch
rechtzeitig, daß Sentimentalität auch mitunter eine
Folge von Hummerragout und Liebfrauenmilch
sein kann. Und wenn Du Dich auf's Ruhebett
gestreckt hast und Deine traumberauschte Seele
zwischen Schlaf und Leben schwankt, dann spürst
Du noch auf Deinem Mund den reinen Kuß
Deines Jüngsten, die letzte, ambrosische Speise von
diesem Sonntagsmahl am Tisch des Lebens.
Aber ein echter Mensch darf nicht in Haus
und Familie versimpeln, und darum soll er des
öfteren auch im Freundeskreise essen und trinken.
Ein Lebenskünstler hat gesagt, eine rechte Tisch-
gesellschaft dürfe nicht unter der Zahl der Grazien
bleiben und die Zahl der Musen nicht überschreiten.
Lin feines Wort! Denn bei weniger als dreien
erhält sich nur schwer die leichte Beweglichkeit der
Unterhaltung, der anmuthig wechselnde Reigen
der Gedanken; bei mehr als neunen legt sich gar
zu leicht der Druck der Masse auf den Einzelnen
und macht seine Produktivität befangen. Richt,
daß es nicht auch einmal zehn sein dürften; wenn
z. B. der zehnte ein Musaget ist, so wird man
nicht engherzig sein. Ratürlich heißt das alles
nicht, daß man als alleinstehender Herr mit neun
Damen speisen soll. Z, 4, S Damen und ebenso-
viele Herren, lauter frohe und treue, eß- und trink-
bare Gemüther, in einem Gabinot partioulier
zusammen: diese Vorstellung wird immer eine ge-
wisse Macht über mich besitzen, wenn auch auf
der anderen Seile die. Tugend steht und mir mit
einem Bündel Mohrrüben winkt. Ratürlich hat
auch ein Diner oder Souper unter lauter Herren
seinen Reiz; das Menu wird dann eben etwas
anders, wenn die Herzen und Geister einer Ge-
sellschaft gut zu einander abgestimmt sind, wird
schnell ein schöner Zusammenklang da sein. Frei-
lich: wenn es das Unglück durchaus will, kann
auch ein solches Symposion ledern verlaufen. Der
deutsche Geist hat zuweilen seine trotzigen Mücken
und weigert sich dann wohl einen ganzen Abend
lang mit verstockter, boshafter Freude, irgend et-
was herzugeben. Lr hat Stunden und Tage der
Lethargie, die nur um so größer wird, je mehr
man sie zu bannen sucht. Der deutsche Genius
muß seinen guten Tag haben. Linen solchen
guten Tag kann man ihm aber in der Regel ver-
schaffen, ivenn man ihm ellvas Gutes zu trinken
gibt. Darum ist es empfehlenswerth, gleich zu
Anfang eines Mahles mehrfach einen guten Schluck
zu nehmen. „Jawohl," rufen die Abstinenzler
mit der ihnen eigenthümlichen Lieblosigkeit „die
Herrschaften müssen sich eben ihren „Geist" erst
vom Alkohol leihen!" Bitte, meine Verehrtesten,
Leute wie wir sind nicht um Geist verlegen in
der Stille unseres Arbeitszimmers, wo wir Zeit
haben. Aber in munterer Gesellschaft kann man
nicht sagen: „Ach bitte, warten Sie einen Augen-
blick, mir wird schon eine schlagende Antwort
einfallen!" Der Deutsche ist nicht eigentlich schlag-
fertig. Lr gibt die wunderbarsten, humorvollsten
und tiefsten Antworten von der Welt, wenn man
ihm zehn Minuten Zeit läßt. Lben darum ward
ihm ja der Hochheimer zum Gehilfen gegeben. —
Rach Beendigung der Mahlzeit bin ich sehr für
eine halbstündige Trennung der Geschlechter, wenn
auch der menschliche Esser niemals so viel ißt,
daß er nicht sehr gut und ohne Schaden noch
ellvas zu sich nehmen könnte, vielmehr schon das
allereinfachste Raffinement ihm gebietet, weniger
unb dafür öfter zu essen, er sich auch für etivaige
Eventualitäten immer eine Möglichkeit, ihnen ge-
recht zu werden, offen lassen wird, so — jetzt
kommt der Rachsatz — ist doch die Zeit unmittel-
bar nach dem Essen wenig geeignet zu eleganten
oder heroischen Attitüden des Körpers oder Geistes.
Man verdaut nicht gut in der Stellung des bel-
vederischen Apoll oder des gigantenbekämpfenden
Zeus von Pergamon. Pos! ccenam stabis —
das andere ist Unsinn in körperlicher wie geistiger
Beziehung. Darum sorge ein guter Arrangeur
für die nöthige Anzahl bequemer Fauteuils. In
solchem Sessel sitzend, nimmt man dann den Kaffee
und einen Lognac oder einen Lhartreuse oder einen
Benediktiner oder dergl. in kteinen Schlücken zu
sich. Zum Likör gibt inan kurze, konzentrirte
Epigramtne, zum Kaffee ein paar behagliche, aber
gefälligst gleichwohl pointirte Anekdoten.
Und dann die Zigarre! Ja — was soll ich
euch darüber sagen? Hier erlahmt meine Kraft.
Ls ist von ernsten Männern behauptet worden,
ein Diner — auch das reichste und schönste —
habe nur einen Sinn als Vorbereitung auf die nach-
folgende Zigarre. Der geneigte Leser wird bei
unbefangener Prüfung zugeben, daß ich Essen und
Trinken keineswegs gering achte; aber wenn man
jene Behauptung mit Ernst und Gründlichkeit vor
mir vertreten würde — ich weiß nicht, ob ich ihr
nicht zuftimmen müßte. Die Zigarre macht den
Strich unter das Diner und zieht die Summe.
Aber in ihrein Rauche sind die konsistenten Freuden
des Mahles aufgelöst in duftende Träume; der
biderbe Wildschweinskopf hat seine Lrdenschwcre
verloren und steigt als ein silbernes Wölkchen selig
empor; die Geister des Weines hüllen sich neckisch
in verwehende, aromatische Schleier, werfen sic
ivieder ab und tanzen mit leisem wiegen und Drehen
«n UNS vorüber. Run speist eigentlich erst der
intimere Mensch in uns; das innerste, scheueste
Ich, das am Tage sich verborgen hält und dem
das Feste und Flüssige zu brutal war, koinmt an
die Dberfläche und saugt sich mit gierigen Rüstern
Rahrung und Wohlgeschmack aus Erinnerungen.
Rach solch einer halben Stunde kehrt man
in das gemeinsame Zimmer zurück, wo man schon
von einer tiefgründigen und milden Bowle erwartet
wird. Solch eine Bowle hat ihre großen Vorzüge
vor dem Linzeltrinken aus Flaschen — abgesehen
vom Stoff natürlich —: sie gewährt einen Mittel-
punkt, der die Blicke und die zersialternden Geister
immer wieder anzieht wie eine einsame Blume die
Schmetterlinge; sie bildet für die Gesellschaft gleich-
sam ein zentrales Heiligthum. Das Trinken, dem
während des Diners durch das Essen natürlich Ab-
bruch geschah, kommt jetzt zu seinem vollen Rechte,
wenn nun ein echter Dichter unter der Gesellschaft
ist, und er hat ein Manuskript, und dieses Manu-
skript ist kurz und gut, so darf er damit heraus-
rücken. Und wenn ein echter Musiker da ist, so
darf er ein wenig spielen oder singen. Ich gebe
diese Lrlaubniß nur unter den schwersten Bedenken;
denn ich weiß, Sö°/° meiner Leser werden nun
wieder, statt der Diners mit Kunstgenüssen, Konzerte
und Vorlesungen mit kleinen scherzhaften Er-
frischungen veranstalten. Ich sage nicht, daß die
Kunstgenüsse „nur zur Abwechselung" da sein
sollen; einer solchen Brutalität bin ich nicht fähig.
Rein, es soll ein richtiges Gleichgewicht sein zwischen
Sinnlichem und Geistigem. Aber zu einem solchen
Gleichgewicht genügen auch ein paar Lieder oder ein
kurzes Rovellchen. Denn ein ganz ganz kleines
echtes Kunstwerkchen wiegt schon das theuerfte
Diner mit zehn Gängen und ebenso vielen weinen
auf. Das schreibe ich für die protzen. Die lesen