Nr. 1
JUGEND
1893
Max Liebenwein (München).
mich zwar nicht; aber man muß dennoch etwas für
ihre Bildung zu khun versuchen.
Wenn die angelische Stimme der Kunst hinein-
klingt in den Gesang Eurer Gläser, dann werdet
Ihr mit stillen Blicken einander sagen: Brüder und
Schwestern, wie glücklich sind wir! wir dürfen
mit sicherem Behagen von den Gütern des Lebens
verschwenden; denn unerschöpfliche Reichthümer der
Freude ruhen ja noch in den Kornkammern unserer
Seele!
Und über Schüsseln und Becher hinaus klingt
jene Stimme, wenn Du nun nach Hause gehst
oder fährst, alle fernen und Sinne wohlig er-
regt. Am schönsten, wenn Du unter sternenklarem
Himmel dahinfährst! Du möchtest hinausspringen
und den Wagen ziehen, um nur arbeiten zu können;
Du möchtest den Schlaf verschmähen, um nur
gleich an eines der sieben Werke zu gehen, die
dir im Busen schwellen. Du gehst dann in der
Segel doch schlafen, weil eine unerwartete Müdig-
keit eintritt. Aber am Morgen siehst Du Dein
Tagewerk mit sonnigen Augen an. C> Arbeit nach
dem Genuß - welch ein Genuß bist Du!
Und Du, fauler Schlemmer, der Du nun unter
Berufung auf mich hingehen möchtest, um Dein
Leben in Diners, Soupers und Dejeuners einzu-
theilen, Du bist schön dumm, wenn Du mir glaubst,
was ich geschrieben habe. Für Dich ist das alles
eitel Lug und Wind. Ich leugne nicht, daß Wein
und Austern Dir schmecken können. Aber ewig
vergeblich suchst Du an den Whitstable Natives
die salzige Irische des Meeres, wie uns sie erquickt,
und niemals erscheint Deinem Auge, wie wir sie
gesehen, die süßduftende, weiße Blume von Lhabsis!
Splitter
So ist alle Arbeit in der Welt auf das
weiseste vertheilt; Der eine hält edle Reden,
und der Andre handelt danach. Eos.
Die Mystiker
Wohl ringt ein tiefer Geist mit
tausend Dunkelheiten,
Doeft wird er durchs Gestrüpp zu
freien flöhen sehreiten.
Du aßer willst mit Lust ins
'Dickicht Dich verirren —
Das Ällzulilare suchst Du künst-
lich zu verwirren.
Otto Erich Hartleben.
Ein mit dem Gebrauch des Fahrrades ver-
bundener Vvrtheil ist merkwürdiger Weise bisher
gänzlich übersehen worden; Das Fahrrad gibt
eine wahrhaft glanzende Gelegenheit zur Schaff-
ung und Verleihung neuer, wohlklingender Titel,
an denen doch bei uns wahrhaftig kein Ueberfluß
ist. Schon der Anfänger, der sich noch nicht auf
die Straße hinauswagt, könnte den ganz an-
nehmbaren Titel „Hofradler" resp. „Geheimrad-
ler" resp. „Geheimer Hofradler" bekommen und
sobald er ohne Unterstützung balauciren konnte,
dürste er zum „Wirklichen Geheimradler" auf-
rncken. Wer zu seiner Gesundheit iühre, könnte
„Sanitätsradler" iverden. Detailreisende, die sich
des Biehcles bedienten, waren für den Titel
„Kvmmcrzienradler" vorzuschlagen, Gesandte da-
gegen, die ihr Gelverbe im Umherreisen betreiben,
zu „Legationsradlern" zu ernennen. Wer ein-
mal wegen Radelns ohne Laterne in Polizei-
strafe verfallen wäre, hätte nach modernen jurist-
ischen Anschauungen Anspruch auf den Titel eines
„Kriminalradlers", wer fünfmal eine solche Strafe
gezahlt hätte, würde dagegen „Steuer-", „Etats-"
oder „Finanzradler" heißen. Bei dem erfreulich
aulvachsendcn Schreib- und Papierwesen unserer
Tage ist die Anstellung von „Archiv-" und „Kanz-
lciradlern" nur eine Frage der Zeit. Für einen
Militärradfahrer, ivelcher sich ausgezeichnet hat,
wäre der Titel „Kriegsradler" natürlich sehr zu
empfehlen; ein schneidiger Geistlicher, der nicht
in einer radfeindlichen Diöcese wohnt und in
seinem Beruf das Bicyelcktc benützt, lvird aus
die Bezeichnung „Kirchcnradler" Anspruch haben;
ist er protestantischer Confession, so lvird man
ihn auch „Consistorialradler" nennen können.
Der ueuzeitgcmäße Dienstmann auf dem Stahl-
roß wird sich wesentlich lieber „Commisssons-
radler" als „Packträger" nennen lassen, der Waid-
mann, der auf dem Rade in den grünen Wald
fährt, wird die Bezeichnung „Forstradler" nicht
ungern vernehmen. Für einen Mann, der sich
selber kein Rad hält und nur das eines zur Zeit
raduntüchtigen Freundes führt, nmrc der Titel
„Verwaltungsradler" angemessen; nicht minder
passend würde die Bezeichnung „Gemeinderadler"
für den sein, der sich nicht über den Burgfrieden
seiner Heimathgemeiude hinaustraut; wer cs wagt,
ctivas lveiter zu schweifen, kann den Titel „Di-
skriktsradler" führen mtb nach und nach zum
„Kreis-" und „Provinzialradler" avanciren; ein
Mann, dem es auf ein paar Hundert Kilometer
nicht ankommt und der das deutsche Reich im Sattel
durchquert, wird den Ehrennamen „Reichsradlcr"
verdienen, lind so lveiter, und so weiter! Auch
bescheidenere Gemüther würde» als „Sladtradler"
und „Landradler" innere Befriedigung finden;
Millionen und aber Millionen könnte man glück-
lich machen. Selbst wer die große Ausgabe
für ein Stahlroß scheute, sich dafür auf einen
einfachen Rohrstuhl setzte und mit den Beinen
strampelte, könnte es auf diesem Wege znin
„Oekonomieradler" bringen. forgeur.
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Max Liebenwein (München).
mich zwar nicht; aber man muß dennoch etwas für
ihre Bildung zu khun versuchen.
Wenn die angelische Stimme der Kunst hinein-
klingt in den Gesang Eurer Gläser, dann werdet
Ihr mit stillen Blicken einander sagen: Brüder und
Schwestern, wie glücklich sind wir! wir dürfen
mit sicherem Behagen von den Gütern des Lebens
verschwenden; denn unerschöpfliche Reichthümer der
Freude ruhen ja noch in den Kornkammern unserer
Seele!
Und über Schüsseln und Becher hinaus klingt
jene Stimme, wenn Du nun nach Hause gehst
oder fährst, alle fernen und Sinne wohlig er-
regt. Am schönsten, wenn Du unter sternenklarem
Himmel dahinfährst! Du möchtest hinausspringen
und den Wagen ziehen, um nur arbeiten zu können;
Du möchtest den Schlaf verschmähen, um nur
gleich an eines der sieben Werke zu gehen, die
dir im Busen schwellen. Du gehst dann in der
Segel doch schlafen, weil eine unerwartete Müdig-
keit eintritt. Aber am Morgen siehst Du Dein
Tagewerk mit sonnigen Augen an. C> Arbeit nach
dem Genuß - welch ein Genuß bist Du!
Und Du, fauler Schlemmer, der Du nun unter
Berufung auf mich hingehen möchtest, um Dein
Leben in Diners, Soupers und Dejeuners einzu-
theilen, Du bist schön dumm, wenn Du mir glaubst,
was ich geschrieben habe. Für Dich ist das alles
eitel Lug und Wind. Ich leugne nicht, daß Wein
und Austern Dir schmecken können. Aber ewig
vergeblich suchst Du an den Whitstable Natives
die salzige Irische des Meeres, wie uns sie erquickt,
und niemals erscheint Deinem Auge, wie wir sie
gesehen, die süßduftende, weiße Blume von Lhabsis!
Splitter
So ist alle Arbeit in der Welt auf das
weiseste vertheilt; Der eine hält edle Reden,
und der Andre handelt danach. Eos.
Die Mystiker
Wohl ringt ein tiefer Geist mit
tausend Dunkelheiten,
Doeft wird er durchs Gestrüpp zu
freien flöhen sehreiten.
Du aßer willst mit Lust ins
'Dickicht Dich verirren —
Das Ällzulilare suchst Du künst-
lich zu verwirren.
Otto Erich Hartleben.
Ein mit dem Gebrauch des Fahrrades ver-
bundener Vvrtheil ist merkwürdiger Weise bisher
gänzlich übersehen worden; Das Fahrrad gibt
eine wahrhaft glanzende Gelegenheit zur Schaff-
ung und Verleihung neuer, wohlklingender Titel,
an denen doch bei uns wahrhaftig kein Ueberfluß
ist. Schon der Anfänger, der sich noch nicht auf
die Straße hinauswagt, könnte den ganz an-
nehmbaren Titel „Hofradler" resp. „Geheimrad-
ler" resp. „Geheimer Hofradler" bekommen und
sobald er ohne Unterstützung balauciren konnte,
dürste er zum „Wirklichen Geheimradler" auf-
rncken. Wer zu seiner Gesundheit iühre, könnte
„Sanitätsradler" iverden. Detailreisende, die sich
des Biehcles bedienten, waren für den Titel
„Kvmmcrzienradler" vorzuschlagen, Gesandte da-
gegen, die ihr Gelverbe im Umherreisen betreiben,
zu „Legationsradlern" zu ernennen. Wer ein-
mal wegen Radelns ohne Laterne in Polizei-
strafe verfallen wäre, hätte nach modernen jurist-
ischen Anschauungen Anspruch auf den Titel eines
„Kriminalradlers", wer fünfmal eine solche Strafe
gezahlt hätte, würde dagegen „Steuer-", „Etats-"
oder „Finanzradler" heißen. Bei dem erfreulich
aulvachsendcn Schreib- und Papierwesen unserer
Tage ist die Anstellung von „Archiv-" und „Kanz-
lciradlern" nur eine Frage der Zeit. Für einen
Militärradfahrer, ivelcher sich ausgezeichnet hat,
wäre der Titel „Kriegsradler" natürlich sehr zu
empfehlen; ein schneidiger Geistlicher, der nicht
in einer radfeindlichen Diöcese wohnt und in
seinem Beruf das Bicyelcktc benützt, lvird aus
die Bezeichnung „Kirchcnradler" Anspruch haben;
ist er protestantischer Confession, so lvird man
ihn auch „Consistorialradler" nennen können.
Der ueuzeitgcmäße Dienstmann auf dem Stahl-
roß wird sich wesentlich lieber „Commisssons-
radler" als „Packträger" nennen lassen, der Waid-
mann, der auf dem Rade in den grünen Wald
fährt, wird die Bezeichnung „Forstradler" nicht
ungern vernehmen. Für einen Mann, der sich
selber kein Rad hält und nur das eines zur Zeit
raduntüchtigen Freundes führt, nmrc der Titel
„Verwaltungsradler" angemessen; nicht minder
passend würde die Bezeichnung „Gemeinderadler"
für den sein, der sich nicht über den Burgfrieden
seiner Heimathgemeiude hinaustraut; wer cs wagt,
ctivas lveiter zu schweifen, kann den Titel „Di-
skriktsradler" führen mtb nach und nach zum
„Kreis-" und „Provinzialradler" avanciren; ein
Mann, dem es auf ein paar Hundert Kilometer
nicht ankommt und der das deutsche Reich im Sattel
durchquert, wird den Ehrennamen „Reichsradlcr"
verdienen, lind so lveiter, und so weiter! Auch
bescheidenere Gemüther würde» als „Sladtradler"
und „Landradler" innere Befriedigung finden;
Millionen und aber Millionen könnte man glück-
lich machen. Selbst wer die große Ausgabe
für ein Stahlroß scheute, sich dafür auf einen
einfachen Rohrstuhl setzte und mit den Beinen
strampelte, könnte es auf diesem Wege znin
„Oekonomieradler" bringen. forgeur.
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