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1898

JUGEND •

Nr. 2

Die Sonne war eben mit glühender Pracht
hinter den letzten Taunushöhen versunken.
Der Wald flammte noch einmal auf in der
ganzen berauschenden Farbenherrlichkeit des
Herbstes. Wie hell lodernde Lohe leuchteten
die Eichen in den Abendhimmel, wie zitternder
Feuerregen rieselte es von den langen schmeid-
igen Zweigen goldschimmernder Birken auf das
moosige Waldgrün hinab. Mich berauschte
der kräftige Duft frischwelkenden Laubes, das
noch nach Leben und nicht nach Moder riecht.
Da drüben aber, wo der Weg sich zum Ende
des Waldes wand, schlich bläuliche Dämmer-
ung durch das träumende Unterholz, während
hoch oben am Himmel der erste blitzende
Stern aus dem tiefen Bronzeblau hervorsprang.
Ich sah den Stern, und meine Lippen mur-
melten: „Ehrwürdiges Alter!“ Und als ich den
Ton vernahm, musste ich lächeln.

„Was lachst Du über das Alter?“ — kam
die vorwurfsvolle Frage.

Da trat ich jenseits des Waldes hinaus in’s
Freie. Der leichte, brenzliche Geruch ferner
Kartoffelfeuer zog über die nebelnde Fläche.
Jugenderinnerungen tauchten auf, ferne liebe
Erinnerungen aus der Kinderzeit, voll Freude
und Heiterkeit und muthwilligem Scherz. Und
trotzig, wie der richtige Flegel, sagte ich: „Das
Alter ist nicht ehrwürdig.“

„Was?“ fragte es lang gedehnt dagegen.

„Nein! Das Alter nicht. Es giebt ein ehr-
würdiges Alter und auch ein lächerliches. Alter
und Weisheit stehen in unserer Vorstellung
zusammen; die Weisheit, welche ein langes
Leben, eine grosse Summe von Erfahrungen
hinter sich hat, die Weisheit, welche lächelnd
Abschied nimmt vom Leben und sich von ihm

ohne Schmerz, aber auch ohne Groll löst, die
still und selbstverständlich dem Orte der Ruhe
zuschreitet. Das Alter aber, das an keinen
Abschied denkt, sich vor dem Grabe gar fürchtet,
das, dem Leben zudrängend, uns die Ohnmacht
und Gebrechlichkeit des Alters zeigt, das in
Thorheit und Selbstgefälligkeit loskollert: „Das
Gewidder soll Dich ho—o—le!“, ein solches
Alter ist nicht ehrwürdig, und mag es auch
noch so verborgen hausen, die Buben werden
es finden und ihren Spott damit treiben!“

„Dann gehörst Du ja auch noch zu den
Buben, den rechten Lausbuben. Du hast doch
auch Deinen Spott mit dem Greise getrieben.“
„Meinetwegen rechne mich dazu!“ sagte ich
laut, denn eben spürte ich wieder jenen brenz-
lichen Geruch, der einst schon in den Flegel-
jahren meine Nase weit angenehmer kitzelte,
als die Weihrauchwolken in der Kirche. „Ge-
lacht habe ich. Ja, das ist wahr. Und ich lache
noch jetzt, wenn ich an den Alten mit „soinem
Stoin dervor“ denke. Aber i c h lege ihm keinen
Stein vor’s Rad. Verstanden? Dazu muss man
ein wirklicher, fröhlich niederträchtiger Lausbub
sein. Und ich habe zwar noch die Fröhlich-
keit und gedenke sie mir auch zu bewahren,
aber die Niederträchtigkeit fehlt mir. Sie kam
mir mit der Zeit ganz bedenklich abhanden.“
„Nun denn: absolvo te a peccatis tuis,“
antwortete es wieder. „Aber etwas von der
Weisheit des Alters hatte der Alte doch. Er
prügelte den Lausbuben nicht dafür, dass er
ein Lausbub war, sondern donnerte nur gegen
ihn los. Ging seine Weisheit und Toleranz
nicht doch so weit, anzuerkennen, dass ein
Bub Bubenstreiche machte? Er prügelte doch
nicht, sondern schimpfte nur!“

„Ja — ja — er schimpfte nur!“

Und wieder musste ich lachen. Und zu
den Sternen empor, den ewigen Leuchten des
Weltalls, brüllte ich die herzbrechende Anklage
des Alten: „Legt mir der oinen Stoin dervor!“
Aber da, von den Sternen herab erklang
der niederschmetternde Ruf: „Das — Gewidder
— soll Dich — ho—o—o le!“

Matthieu Schwann.

Dereinst

Taucht um mich (nicht wünscht' ich's ®aß>) die schöne
Welt hinunter in die großen Schatten:

Beug' Dich über inich und sieh noch einmak,
Sieh mir fang, ich bitte Dich, in's Auge,

Daß der fieben Erde letztes Abbild
Eines mir mit Deinem AuEtz werde.

Han;, ja gan; allein mit Dir, mein Weib,
Wird dann, was noch in mir lebt, verweilen
And nur leben noch in Deinen 2ügen
And noch einmak Mes, rvas die Sonne
Wir gereist von ach, wie reichem Hüten,

Dir von Wund und Aug und Stirne lesen.
And wenn dann die Kühlen Schatten steigen,
So Vertrautes werd' ich noch erkennen,

And wenn tief die Dunkel drüber schwimmen,
Dank Dir lächelnd sink' ich in den Schlaf.

Ferd. Avenarius.

2Z
Index
Fidus: Mein Hündchen
Ferdinand Avenarius: Dereinst
 
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