1898
JUGEND
Nr. 3
urch alle Töne tönet — Im süssen Erdentraum — Ein leiser Ton gezogen
Ludwig Raders (München).
Für den, der heimlich lauschet. (Tisch.)
Gesühlsdilettanten; ein Rom schlechtst flastrig, wi
und eng und auch cin wenig schmutzig. Di
Volk von Rom bunt, zerlumpt, leichtlebig, far
verlaust, heiß und echt, den liebenswürdigste
Betrug auf den Lippen, in den Atigen, — m
schön, schon wie die Götter der Erde.
Das gottbegnadete Rom des Pöbels! Ma
gherita ging unten.
Die vollen Brüste bebten bei sedem Scho
in dem gelben Kattun mit den schwarzen Tupfe
Sie hatte aschblonde Haare, schwarze Augen ui
so ein überlegenes Profil, als würde sie de
Märchenprinzen von Marokko ohne Gewissen
bisse ein Schnippchen schlagen; aber ihre Schn
waren zierlich und blank wie die kecke Stint
und wenn sie die Hände herausfordernd in d
Hüsten stemmte, mochte sie gewiß sein, sie s
die wundervollste Wäscherin Roms, die je zwisch,
den Bäumen an der Stadtmauer ihre Lein>
spannte.
„Margherita!"
Sie blickte gleichgemuth herauf, rief ihre
Gruß und ging.
An der Oessnung des blauen Gäßchens nah
ihr Schatz sie um die Hüste, und sie lachte. Dar
liefen beide in das Gässchen.
Ich dachte mir, dieser Bursche weis; se
Glück zu packen. Und welch ein Glück!. I
kannte ihn doch? Er war irgendwie bei de
Kvrrektionsarbeiten des Tiber beschäftigt, do
unten rvo tagsüber das braurre Menschenhäuslei
zwischen den riesigen weiften Quaderwänden nv
den gelben Wassern kribbelte, wo die Insel mit
ihren Häusern gleich einem Haufen aufeinander-
gestapelter Cigarrenkisten mit grünen Bäumchen
und mit bunten Wäschefahnen aufwächst und an
den Ufern in den halbniedergerissenen Hänser-
komplexen sich armselige Grünkram- rnrd Spiri-
tuosenhändler eingenistet haben.
Was für eine Narrheit ist es nur, so sei»
Leben lang in Gedanken und Stimmungen herum-
zuwühlen und aus dem, was andere sind und
leben und wünschen, sich seine Gebilde zu er-
dichten! —
Eine stürmische Sehnsucht kam über mich!
Schaffen ititb Leben und Lieben! — Ein jüngster
Tag mit aufgerissenen Gräbern und eine Hölle
voll Titanen für diese goldne Ruhe!
Ich reckte die Arme gen Himmel.
Dann, als ich mir alles überlegt hatte, was
ich hier und dort beginnen, und was mir dieses
und jenes bringen könne, und mein Wese» und
meine Vergangenheit vernünftig an jenen z>vej
glücklichen Leuten da unten gemessen hatte, da
dachte id): möge es denn sein, wie es sein will und
muß. Wie man's ansieht, — das ist der Punkt.
So ging ich über den Tiber nach einer kleinen
Osteria, setzte mich hinter den nackten, vielbe-
gossenen Tisch auf den strohgeflochtenen Stuhl
und lieft den goldenen Fraskati funkeln — einen
halben Liter, und dann noch einen und dann
vielleicht noch mehr.
O! Endlich wird man selig, das wußte ich,
und endlich müde; und wenn man heimgeht,
scheint der weifte Mond an das Kapitol, und die
Künstler ziehen Arm in Arm singend und recht
betrunken aus den Osterien rechts und links nach
der Via Margutta hinüber.
Ich drehte mein Glas, starrte auf den hüpfen-
den Goldlichtsleck auf der Tischplatte und träumte.
Ich sah einen Levkojengarten im Feuerschein.
Dort führt unter Weinlauben ein Steig aus
schlecht behauenen Steinplatten auswärts. Ein
dünner Quell hüpft goldblitzend daneben nieder.
Die Reben auf den Hölzern oben haben wenige
braunrothe Blätter, aber dicke schwarze Trauben
hängen daran.
Auf den Platten steigt die hübsche Margherita
herab. Im flachen Korbe trägt sie von den schwar-
zen Trauben, schöne, hier und dort dunkelpurpnr-
rothleuchtende, und sie lacht.
Sie lacht, daß ihre Zähne und das Weifte
ihrer Augen im Abendgold funkeln, in das sie
schaut. Sie sieht mich, wartet und läßt sich ein
bischen den Hof machen. Sie thut auch ein bis-
chen stolz, und wird dann, als sie anfüngt das
langweilig zu finden, vertraulich und leichtsinnig.
Sie frage, — so redet sie, — ah, sie frage
nichts nach Leuten. Sie wolle lustig sein, und
dann und wann ginge sie in die Kirche. Das
gefalle ihr so. So die bunten Scheiben und der
Weihranch, der sich durch die Sonnenleitern hell-
blau wölke, und die glitzernden Priester, und die
Bilder mit dem schönen, weißen, pseilgespickten
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JUGEND
Nr. 3
urch alle Töne tönet — Im süssen Erdentraum — Ein leiser Ton gezogen
Ludwig Raders (München).
Für den, der heimlich lauschet. (Tisch.)
Gesühlsdilettanten; ein Rom schlechtst flastrig, wi
und eng und auch cin wenig schmutzig. Di
Volk von Rom bunt, zerlumpt, leichtlebig, far
verlaust, heiß und echt, den liebenswürdigste
Betrug auf den Lippen, in den Atigen, — m
schön, schon wie die Götter der Erde.
Das gottbegnadete Rom des Pöbels! Ma
gherita ging unten.
Die vollen Brüste bebten bei sedem Scho
in dem gelben Kattun mit den schwarzen Tupfe
Sie hatte aschblonde Haare, schwarze Augen ui
so ein überlegenes Profil, als würde sie de
Märchenprinzen von Marokko ohne Gewissen
bisse ein Schnippchen schlagen; aber ihre Schn
waren zierlich und blank wie die kecke Stint
und wenn sie die Hände herausfordernd in d
Hüsten stemmte, mochte sie gewiß sein, sie s
die wundervollste Wäscherin Roms, die je zwisch,
den Bäumen an der Stadtmauer ihre Lein>
spannte.
„Margherita!"
Sie blickte gleichgemuth herauf, rief ihre
Gruß und ging.
An der Oessnung des blauen Gäßchens nah
ihr Schatz sie um die Hüste, und sie lachte. Dar
liefen beide in das Gässchen.
Ich dachte mir, dieser Bursche weis; se
Glück zu packen. Und welch ein Glück!. I
kannte ihn doch? Er war irgendwie bei de
Kvrrektionsarbeiten des Tiber beschäftigt, do
unten rvo tagsüber das braurre Menschenhäuslei
zwischen den riesigen weiften Quaderwänden nv
den gelben Wassern kribbelte, wo die Insel mit
ihren Häusern gleich einem Haufen aufeinander-
gestapelter Cigarrenkisten mit grünen Bäumchen
und mit bunten Wäschefahnen aufwächst und an
den Ufern in den halbniedergerissenen Hänser-
komplexen sich armselige Grünkram- rnrd Spiri-
tuosenhändler eingenistet haben.
Was für eine Narrheit ist es nur, so sei»
Leben lang in Gedanken und Stimmungen herum-
zuwühlen und aus dem, was andere sind und
leben und wünschen, sich seine Gebilde zu er-
dichten! —
Eine stürmische Sehnsucht kam über mich!
Schaffen ititb Leben und Lieben! — Ein jüngster
Tag mit aufgerissenen Gräbern und eine Hölle
voll Titanen für diese goldne Ruhe!
Ich reckte die Arme gen Himmel.
Dann, als ich mir alles überlegt hatte, was
ich hier und dort beginnen, und was mir dieses
und jenes bringen könne, und mein Wese» und
meine Vergangenheit vernünftig an jenen z>vej
glücklichen Leuten da unten gemessen hatte, da
dachte id): möge es denn sein, wie es sein will und
muß. Wie man's ansieht, — das ist der Punkt.
So ging ich über den Tiber nach einer kleinen
Osteria, setzte mich hinter den nackten, vielbe-
gossenen Tisch auf den strohgeflochtenen Stuhl
und lieft den goldenen Fraskati funkeln — einen
halben Liter, und dann noch einen und dann
vielleicht noch mehr.
O! Endlich wird man selig, das wußte ich,
und endlich müde; und wenn man heimgeht,
scheint der weifte Mond an das Kapitol, und die
Künstler ziehen Arm in Arm singend und recht
betrunken aus den Osterien rechts und links nach
der Via Margutta hinüber.
Ich drehte mein Glas, starrte auf den hüpfen-
den Goldlichtsleck auf der Tischplatte und träumte.
Ich sah einen Levkojengarten im Feuerschein.
Dort führt unter Weinlauben ein Steig aus
schlecht behauenen Steinplatten auswärts. Ein
dünner Quell hüpft goldblitzend daneben nieder.
Die Reben auf den Hölzern oben haben wenige
braunrothe Blätter, aber dicke schwarze Trauben
hängen daran.
Auf den Platten steigt die hübsche Margherita
herab. Im flachen Korbe trägt sie von den schwar-
zen Trauben, schöne, hier und dort dunkelpurpnr-
rothleuchtende, und sie lacht.
Sie lacht, daß ihre Zähne und das Weifte
ihrer Augen im Abendgold funkeln, in das sie
schaut. Sie sieht mich, wartet und läßt sich ein
bischen den Hof machen. Sie thut auch ein bis-
chen stolz, und wird dann, als sie anfüngt das
langweilig zu finden, vertraulich und leichtsinnig.
Sie frage, — so redet sie, — ah, sie frage
nichts nach Leuten. Sie wolle lustig sein, und
dann und wann ginge sie in die Kirche. Das
gefalle ihr so. So die bunten Scheiben und der
Weihranch, der sich durch die Sonnenleitern hell-
blau wölke, und die glitzernden Priester, und die
Bilder mit dem schönen, weißen, pseilgespickten
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