1898
Nr. 3
. JUGEND •
das dunkle Zeugs: Ob ich auch welche
wolle? — Sie hebt eine lange schwarze
Traube — I Gott bewahre! Erst ge-
keltert, — erst gegoren — und dann
auch: so weit dahinten hin zu lausen—!
Sie lacht guellhell auf: Schlafmützc!
Goldrothe Lichter blinkern auf dem
blonden Haarknoten, in den Herbst-
blättern, aus den Quellen. Der Purpur
erlischt gemach auf den Steinplatten
und den lilaweisten Levkojen. Und
Trallala — trala — la — lalla hoppt
ihr Lachen hinab über die Steinplatten
lvie der Quell, — in die Orangenbüsche,
— in die Rhododendren, — tieser in den
kühlen Schatten der Häuser — tralla —
ha ha! — fern verträllert, — verklingt
cs. — Eine Thür schlägt zu — —
„Herrgvttdonnerwetter! was krallen
Sie mich so an?"
„Mein Herr, Sie schliefen und sollen
unter den Tisch."
„Dies bezweifle ich entschieden, aber
cs ist genug, Herr Wirth. Es ist gerade
genug. Und im übrigen sind Sie ein
Engel, und da ist Ihr Geld. — Die
Männer in den bunten Röcken drüben
im Petcrsdom wissen gar nichts. Die
selige Pythia hat mir soeben alle Räthsel
gelöst. Man must sie halt nur ver-
stehn. Das war ja immer schon so-"
Und meine Lob- und AnerkcnnungS-
rede wäre woht noch länger geworden,
hätte er mich nicht mit sanfter Gewalt
aus die Straste geschoben und die Thüre
zugcschlosse». —
Me der Mondschein so schön aus den
Gassen liegt!
Nach einem guten Tröpflein am
Abend ist der Schädel am Morgen nur
Heller und frischer.
Wagengerassel. Die ersten Ausruser
brüllen und singen. Und hell und grell
schmettern die Stimmen der kleinen bar-
süstigen Jungen darein: Cermii Duo
cerini un soldoi Ich springe aus dem
aufquietschenden Bett und reiste die
Lädeit mis.
Da gleiten schon die Strahlen flach
über die Dächer an die höchsten Giebel.
Bon unten dainpst die feuchte, blaue
Morgenkühle heraus.
Nun bin ich unten und mache Laus-
schritt dahin, wo das Leben aus all den
Gästchen zusammentropst, zum Corsv.
11 messagerol — La fanfulla — a
— all I hallt schon von Weitem die wilde
Jagd.
Die Zeitungs-Jungen, -Männer und
-Weiber — rennen, überrennen sich.
Man kaust. Das Papier knistert in den
zugrapsendcn Händen. Sie stehen a
den Rinnsteinen und lesen. Die kleinen,
sieistbegicrigen Verkäuferinnen haben
kaum genügend Raum, sich nach ihren
Geschäften hiudurchzudrängeln. Frucht-
händler, Gemüseweiber von brauste»,
Hausierer aller Art beginnen ihre Rund-
gänge, Eselskarren mit Haufen von
Kohl, Wurzeln, Gemüsen beladen, knar-
ren in die Seitengassen. Schöne schlanke
Mädchen ans der Campagna, verschmitzte
alte Prachtvolle Männer gehen dabei.
Fremde: seine Herrlein, deutsche Ober-
lehrer mit zu engen Hosen, rothblonde
LadieS, lachende deutsche Pensionsflücht-
linge und dicke Mamas fahren mit vor
Jul. Diez (München).
Unternehmungslust strahlenden Gesich-
tern nach der Petcrskirche oder der Via
Appia. Die Gäule hinken ans ihren
zwei gesunden Beinen, als tväre das nur
so ein Carnevalsspast und stürzen einfach
alle hundert Meter einmal hin, als käme
ihnen das üustcrst fidel vor und als
geschähe das so aus purem Uebermuth.
Zwei Mädchen mit riesigen Zcugballcu
auf den Köpfen in rothcn und zeisiggrü-
nen Miedern wiegen vorüber, lachen und
plaudern miteinander, dicke Weiber
watscheln mit leichten Körben und schwc-
rem Busen zum Markt, und die jungen
Maler mit wallenden Lauseperrücken,
in Sammtröcken, mit Gesichtern, die von
keines Gedankens Blässe angekränkelt
sind, schlendern kühn hinaus, um sich
von ihrer Spccialität, dem Bogen des
Septimius Severus und der bunten
Schürze der Annita einmal beim Titus-
bogen zu erholen und sich auf eine so
ausnehmend neue Weise Geld zu ver-
dienen.
Schnell einen Schwarzen vor der
Thür des Cafe National!
Im Kopse dehnen sich mir schon die
Stadttheile um den Protestantischen Fried-
hof, aus denen das Landvolk herein-
strömt; — Ruinen, staubige lange
Straßen voll schmutziger Bettelkinder
und keifender Weiber. Nur dann und
wann legt sich die Nähe wie ein farben-
schillernder Schleier davor.
Hinter der piazza Colonna bricht
über die Dachrinnen eine breite Feuer
garbc in die enge Corsogasse. Darin
staubt und wirbelt es hellblau. Tauben
fliegen blitzend hindurch, Fensterscheibe»
blinkern, und unten im immer dichter
werdenden Menschengewirre, das den
hochwondigen engen Häuserspalt durch
kribbelt, leuchtet es einmal knallroth und
dann lilawcist auf.
Ich laufe den Corso hinunter.
Da stutze ich schon vor einer Mist,
die über das Phlegma, mit dem ihr
siebenjähriger Zögling einen fressenden
Gaul betrachtet, in Zuckungen gcräth
und ihre Schenkel klopft. Ein schönes
Bild! — Oh — hl There is time
enoughi sagt der kleine Gentleman,
legt die Hände auf den Rücken und
zählt die Rippen des trefflichen Rosses.
— Timt is an old horsei lind plötz-
lich tippt er sich an die Stirn und
erkundigt sich ernst, ob das noch das
Rost sei, aus dessen Rippe Gott die
Stute schuf. —
Die lange Dame wird roth und reistt
den gedankenreichen Jüngling fort.
lind weiter! lieber Märkte, an Ba-
zaren vorbei, die Treppen zum Capitol
hinauf.
Wie viel des Spaßhaften rund um-
her! Wie werthvoll das Kleinste. Man
sammelt es wie Edelsteine.
Goldlockiger Morgen, du bist ein
großer Zauberer! Der König im bun-
ten Reiche Sansara!
Und hier hätten wir ja auch deine»
Freund und Günstling, den Mann mit
dem weisen Kopf und dem Kinderherze»,
der da im engen Rock, die Schellen
kappe auf dem Kopfe und seinen Spiegel
lässig in der Hand ans der niederen
Mauer hockt, die die Bia dcl Campt
bnglio, einfastt! Wem du wohl willst,
dem gicbst du ihn zum Begleiter. Der
weist die verborgenen Adern zu finden,
Ul denen dn8 MMd nTHmt i'thpv h„a
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das dunkle Zeugs: Ob ich auch welche
wolle? — Sie hebt eine lange schwarze
Traube — I Gott bewahre! Erst ge-
keltert, — erst gegoren — und dann
auch: so weit dahinten hin zu lausen—!
Sie lacht guellhell auf: Schlafmützc!
Goldrothe Lichter blinkern auf dem
blonden Haarknoten, in den Herbst-
blättern, aus den Quellen. Der Purpur
erlischt gemach auf den Steinplatten
und den lilaweisten Levkojen. Und
Trallala — trala — la — lalla hoppt
ihr Lachen hinab über die Steinplatten
lvie der Quell, — in die Orangenbüsche,
— in die Rhododendren, — tieser in den
kühlen Schatten der Häuser — tralla —
ha ha! — fern verträllert, — verklingt
cs. — Eine Thür schlägt zu — —
„Herrgvttdonnerwetter! was krallen
Sie mich so an?"
„Mein Herr, Sie schliefen und sollen
unter den Tisch."
„Dies bezweifle ich entschieden, aber
cs ist genug, Herr Wirth. Es ist gerade
genug. Und im übrigen sind Sie ein
Engel, und da ist Ihr Geld. — Die
Männer in den bunten Röcken drüben
im Petcrsdom wissen gar nichts. Die
selige Pythia hat mir soeben alle Räthsel
gelöst. Man must sie halt nur ver-
stehn. Das war ja immer schon so-"
Und meine Lob- und AnerkcnnungS-
rede wäre woht noch länger geworden,
hätte er mich nicht mit sanfter Gewalt
aus die Straste geschoben und die Thüre
zugcschlosse». —
Me der Mondschein so schön aus den
Gassen liegt!
Nach einem guten Tröpflein am
Abend ist der Schädel am Morgen nur
Heller und frischer.
Wagengerassel. Die ersten Ausruser
brüllen und singen. Und hell und grell
schmettern die Stimmen der kleinen bar-
süstigen Jungen darein: Cermii Duo
cerini un soldoi Ich springe aus dem
aufquietschenden Bett und reiste die
Lädeit mis.
Da gleiten schon die Strahlen flach
über die Dächer an die höchsten Giebel.
Bon unten dainpst die feuchte, blaue
Morgenkühle heraus.
Nun bin ich unten und mache Laus-
schritt dahin, wo das Leben aus all den
Gästchen zusammentropst, zum Corsv.
11 messagerol — La fanfulla — a
— all I hallt schon von Weitem die wilde
Jagd.
Die Zeitungs-Jungen, -Männer und
-Weiber — rennen, überrennen sich.
Man kaust. Das Papier knistert in den
zugrapsendcn Händen. Sie stehen a
den Rinnsteinen und lesen. Die kleinen,
sieistbegicrigen Verkäuferinnen haben
kaum genügend Raum, sich nach ihren
Geschäften hiudurchzudrängeln. Frucht-
händler, Gemüseweiber von brauste»,
Hausierer aller Art beginnen ihre Rund-
gänge, Eselskarren mit Haufen von
Kohl, Wurzeln, Gemüsen beladen, knar-
ren in die Seitengassen. Schöne schlanke
Mädchen ans der Campagna, verschmitzte
alte Prachtvolle Männer gehen dabei.
Fremde: seine Herrlein, deutsche Ober-
lehrer mit zu engen Hosen, rothblonde
LadieS, lachende deutsche Pensionsflücht-
linge und dicke Mamas fahren mit vor
Jul. Diez (München).
Unternehmungslust strahlenden Gesich-
tern nach der Petcrskirche oder der Via
Appia. Die Gäule hinken ans ihren
zwei gesunden Beinen, als tväre das nur
so ein Carnevalsspast und stürzen einfach
alle hundert Meter einmal hin, als käme
ihnen das üustcrst fidel vor und als
geschähe das so aus purem Uebermuth.
Zwei Mädchen mit riesigen Zcugballcu
auf den Köpfen in rothcn und zeisiggrü-
nen Miedern wiegen vorüber, lachen und
plaudern miteinander, dicke Weiber
watscheln mit leichten Körben und schwc-
rem Busen zum Markt, und die jungen
Maler mit wallenden Lauseperrücken,
in Sammtröcken, mit Gesichtern, die von
keines Gedankens Blässe angekränkelt
sind, schlendern kühn hinaus, um sich
von ihrer Spccialität, dem Bogen des
Septimius Severus und der bunten
Schürze der Annita einmal beim Titus-
bogen zu erholen und sich auf eine so
ausnehmend neue Weise Geld zu ver-
dienen.
Schnell einen Schwarzen vor der
Thür des Cafe National!
Im Kopse dehnen sich mir schon die
Stadttheile um den Protestantischen Fried-
hof, aus denen das Landvolk herein-
strömt; — Ruinen, staubige lange
Straßen voll schmutziger Bettelkinder
und keifender Weiber. Nur dann und
wann legt sich die Nähe wie ein farben-
schillernder Schleier davor.
Hinter der piazza Colonna bricht
über die Dachrinnen eine breite Feuer
garbc in die enge Corsogasse. Darin
staubt und wirbelt es hellblau. Tauben
fliegen blitzend hindurch, Fensterscheibe»
blinkern, und unten im immer dichter
werdenden Menschengewirre, das den
hochwondigen engen Häuserspalt durch
kribbelt, leuchtet es einmal knallroth und
dann lilawcist auf.
Ich laufe den Corso hinunter.
Da stutze ich schon vor einer Mist,
die über das Phlegma, mit dem ihr
siebenjähriger Zögling einen fressenden
Gaul betrachtet, in Zuckungen gcräth
und ihre Schenkel klopft. Ein schönes
Bild! — Oh — hl There is time
enoughi sagt der kleine Gentleman,
legt die Hände auf den Rücken und
zählt die Rippen des trefflichen Rosses.
— Timt is an old horsei lind plötz-
lich tippt er sich an die Stirn und
erkundigt sich ernst, ob das noch das
Rost sei, aus dessen Rippe Gott die
Stute schuf. —
Die lange Dame wird roth und reistt
den gedankenreichen Jüngling fort.
lind weiter! lieber Märkte, an Ba-
zaren vorbei, die Treppen zum Capitol
hinauf.
Wie viel des Spaßhaften rund um-
her! Wie werthvoll das Kleinste. Man
sammelt es wie Edelsteine.
Goldlockiger Morgen, du bist ein
großer Zauberer! Der König im bun-
ten Reiche Sansara!
Und hier hätten wir ja auch deine»
Freund und Günstling, den Mann mit
dem weisen Kopf und dem Kinderherze»,
der da im engen Rock, die Schellen
kappe auf dem Kopfe und seinen Spiegel
lässig in der Hand ans der niederen
Mauer hockt, die die Bia dcl Campt
bnglio, einfastt! Wem du wohl willst,
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