1898
JUGEND
Nr. 4
zu werden in jenen gelobten Ländern, wo
die reissenden Thiere, nunmehr die Ge-
nossen des Menschen, zu feierlichen Gast-
mälern geladen zu sein schienen. Sie
wählte ihre Bissen ohne Prahlerei, gleich-
sam vom Wunsche getrieben, sich über
minder natürliche Gelüste, als die ihren
es waren, erhaben zu zeigen.
Ein nackter Christ, wie zum Hohn mit
einer eisernen Kugelpeitsche bewaffnet,
tauchte über dem Elephantenrücken auf,
von unsichtbaren Henkern vorwärts ge-
trieben. Er glitt in dem gestockten Blute
aus und fiel kopfüber zur Erde. Höhnende
Lachsalven trieben ihn wieder auf. Er
ergriff die Peitsche, und ein Lächeln kräu-
selte seine fahlen Lippen. Er wollte sich
jener nicht bedienen, selbst gegen das
Thier nicht, das ihn zerfleischen sollte.
Er setzte sich hin und heftete die hellen
Augensterne auf die Feindin. Diese machte
mit der Tatze eine spielende Geberde,
eine Geberde, die sagen sollte: „Ich bin
befriedigt!“ — Sie streckte sich aus, mit
halbgeschlossenen Lidern und wedelte
verblüfft mit dem Schweife. Ein stiller
Zweikampf neugieriger Blicke: der Christ,
trotz der gewollten Lässigkeit seines ganzen
Wesens nach dem Geheimniss des Thier-
bändigers suchend, der höchsten Gewalt
des blossen Willens über die Bestie, und
das freie Thier, das sich zu erkennen
müht, welche Art von Macht dieser Species
eigen, wenn sie nackt ist.
Ein grauenhaftes Geschrei weckte sie
beide aus ihrer seltsamen Träumerei. Sie
waren jetzt der Mittelpunkt des blutigen
Festes und Niemand, gar Niemand begriff
die Art ihrer Unterhaltung. Plötzlicher
Zorn erfüllte alle Zuschauer. Man rief
die Thierkämpfer herbei, Pferde kamen
im Galopp auf den Elephanten zu, dessen
schwere Masse nun fortgeschleppt wurde,
die Gegner aber, einander gegenüberge-
stellt, fuhren fort, sich Aug in Auge zu
überwachen. Der Christ verweigerte den
Kampf und der Panther fand, da er keinen
Hunger mehr hatte, nicht den Muth, zu zer-
fleischen. Einer der Thierkämpfer stürzte
sich auf ihn los und bedrohte ihn mit
seinem Schwerte. Mit einem anmuthigen
Satze wich das Thier dem Stosse aus,
und der Christ bewahrte sein melanchol-
isches Lächeln. Da erhob sich Geheul
von allen Seiten. Das Unwetter brach
dräuend los. Die Hetzer stürzten sich
auf das Thier, das sich launenhaft als das
schwächere anstellte. Man legte Lanzen
über Feuerherde, man brachte in Pech
getränkte, mit brennenden Flaumfedern
umhüllte Wurfspiesse herbei, man rief
die Hunde, welche abgerichtet waren, den
Stieren die Sehnen zu durchbeissen, man
füllte Gefässe mit siedendem Oele. Der
Hass Aller wendete sich mit einem Male
jener jungen Närrin zu, die sich zögernd
die Lenden mit dem Schweife schlug,
gleichsam fragend, was wohl all’ diese
Kriegsvorbereitungen zu bedeuten hätten.
Die Hetzer Hessen ihr keine Zeit, zu sich
zu kommen. Sie warfen sich auf sie und
es entstand eine wilde Jagd durch die
59
JUGEND
Nr. 4
zu werden in jenen gelobten Ländern, wo
die reissenden Thiere, nunmehr die Ge-
nossen des Menschen, zu feierlichen Gast-
mälern geladen zu sein schienen. Sie
wählte ihre Bissen ohne Prahlerei, gleich-
sam vom Wunsche getrieben, sich über
minder natürliche Gelüste, als die ihren
es waren, erhaben zu zeigen.
Ein nackter Christ, wie zum Hohn mit
einer eisernen Kugelpeitsche bewaffnet,
tauchte über dem Elephantenrücken auf,
von unsichtbaren Henkern vorwärts ge-
trieben. Er glitt in dem gestockten Blute
aus und fiel kopfüber zur Erde. Höhnende
Lachsalven trieben ihn wieder auf. Er
ergriff die Peitsche, und ein Lächeln kräu-
selte seine fahlen Lippen. Er wollte sich
jener nicht bedienen, selbst gegen das
Thier nicht, das ihn zerfleischen sollte.
Er setzte sich hin und heftete die hellen
Augensterne auf die Feindin. Diese machte
mit der Tatze eine spielende Geberde,
eine Geberde, die sagen sollte: „Ich bin
befriedigt!“ — Sie streckte sich aus, mit
halbgeschlossenen Lidern und wedelte
verblüfft mit dem Schweife. Ein stiller
Zweikampf neugieriger Blicke: der Christ,
trotz der gewollten Lässigkeit seines ganzen
Wesens nach dem Geheimniss des Thier-
bändigers suchend, der höchsten Gewalt
des blossen Willens über die Bestie, und
das freie Thier, das sich zu erkennen
müht, welche Art von Macht dieser Species
eigen, wenn sie nackt ist.
Ein grauenhaftes Geschrei weckte sie
beide aus ihrer seltsamen Träumerei. Sie
waren jetzt der Mittelpunkt des blutigen
Festes und Niemand, gar Niemand begriff
die Art ihrer Unterhaltung. Plötzlicher
Zorn erfüllte alle Zuschauer. Man rief
die Thierkämpfer herbei, Pferde kamen
im Galopp auf den Elephanten zu, dessen
schwere Masse nun fortgeschleppt wurde,
die Gegner aber, einander gegenüberge-
stellt, fuhren fort, sich Aug in Auge zu
überwachen. Der Christ verweigerte den
Kampf und der Panther fand, da er keinen
Hunger mehr hatte, nicht den Muth, zu zer-
fleischen. Einer der Thierkämpfer stürzte
sich auf ihn los und bedrohte ihn mit
seinem Schwerte. Mit einem anmuthigen
Satze wich das Thier dem Stosse aus,
und der Christ bewahrte sein melanchol-
isches Lächeln. Da erhob sich Geheul
von allen Seiten. Das Unwetter brach
dräuend los. Die Hetzer stürzten sich
auf das Thier, das sich launenhaft als das
schwächere anstellte. Man legte Lanzen
über Feuerherde, man brachte in Pech
getränkte, mit brennenden Flaumfedern
umhüllte Wurfspiesse herbei, man rief
die Hunde, welche abgerichtet waren, den
Stieren die Sehnen zu durchbeissen, man
füllte Gefässe mit siedendem Oele. Der
Hass Aller wendete sich mit einem Male
jener jungen Närrin zu, die sich zögernd
die Lenden mit dem Schweife schlug,
gleichsam fragend, was wohl all’ diese
Kriegsvorbereitungen zu bedeuten hätten.
Die Hetzer Hessen ihr keine Zeit, zu sich
zu kommen. Sie warfen sich auf sie und
es entstand eine wilde Jagd durch die
59