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Nr. 4

JUGEND

1898

Angelo Jank (Mönchen).

von Sterbenden verlegte Bahn. Das Thier
floh, von einem abergläubischen Entsetzen

gepackt-das war wohl das Ende der

Welt! In buntem Gemenge wälzten und
stiessen Verfolgte wie Verfolger Menschen-
wie Thierleichname um und um, begleitet
von dem dröhnenden Gelächter des Volkes,
dessen Spannung bei diesem neuen Possen-
spiel schliesslich nachzulassen begann.
Von allen Plätzen aus bewarf man das be-
sinnungslose Thier mit Steinen, Früchten,
Waffen; Patrizierinnen schleuderten Ge-
schmeide, das, die Luft durchschneidend,
pfiff und zischte, und der Kaiser selbst,
aufrecht stehend, bewarf es mit silbernen
Münzen. Mit einem letzten verzweifelten
Satze flüchtete das wutschnaubende, mit
Pfeilen besetzte, von Flammen umzüngelte
Thier in seinen offen gebliebenen Käfig.
Das Gitter fiel zu, und die finstere Falle ver-
sank wieder in die unterirdischen Gelasse.

Tage und Nächte verflossen, entsetz-
liche. Von Zeit zu Zeit stiess die Panther-
jungfrau ein klägliches Winseln aus, ein
Klageruf war’s an die Sonne, die sie nicht
mehr erblicken sollte. Da sie das Gespött
des Cirkus geworden, liess man sie alle
Martern erdulden. Sie habe als feiges Ge-
schöpf, sagte man, den Kampf verweigert
und könne nun nicht mehr Anspruch
machen auf den Rang eines edlen Thieres.
Der Wärter dieser wilden Häftlinge, ein
sehr alter Sklave, ohne Mitleid, gab ihr
nur den Abfall der anderen Zwinger: be-
reits abgenagte Knochen, faule, verpestete
Stoffe, die man bei ihr anhäufte wie in
einer Cloake. Einige Burschen hatten ihr,
um sich einen Spass zu machen, den
Schweif an den Erdboden genagelt, bis
sie ihn endlich mit einem schmerzhaften
Ruck, ein Stück Haut zurücklassend, vom
Nagel fortgerissen hatte. Der alte Sklave
machte sich ein Vergnügen daraus, ihr
Trotz zu bieten, indem er ihr eine Hand
hinhielt, während er ihr mit der anderen
Schwefel in die Augen streute. Er ver-
brannte ihr ein Ohr vollständig an der
prasselnden Flamme einer Fackel. Der
Luft, des Lichtes beraubt, den Rachen
immer mit blutigem Geifer gefüllt, heulte

sie klagend, einen Ausweg suchend, schlug
mit dem Schädel an die Stäbe ihres
Zwingers und riss den Erdboden mit ihren
Klauen auf. Weil sie zu grauenerregend
jammerte, kam der Befehl, sie vor Hunger
ganz und gar verenden zu lassen. Einen
würdigen Tod wie das Erwürgen oder den
Lanzenstoss in’s Herz gab es für sie nicht
mehr. Sie wurde vergessen, der alte Wäch-
ter ging ganz einfach mit seiner Fackel
nicht mehr bei ihr vorüber. Das Thier
begriff. Es verstummte, legte sich in einer
letzten stolzen Pose hin und, nachdem es
seinen verstümmelten Schweif um sich
gelegt, die von Brand zerfressenen Tatzen
gekreuzt hatte, erwartete es, die Augen
schliessend, träumend seine Agonie.

Oh! Die Wälder, die im Sturm gekracht!
Die ungeheueren Sonnen,die rosenfarbenen
Monde, die Vögel, die um Regen weinen,
das Grün, die frischen Quellen, die leichte
junge Beute, deren Leben man mit einem
Athemzuge einschlürfen kann! Die grossen
Flüsse, die ihre Spiegel ausbreiten, wo
die wilden Thiere, die sich darüber neigen,

sich von Sternen bekränzt erblicken-

Allmählich war das Hirn des sterbenden
Thieres von den alten Visionen geblendet.
Oh! das Glück, dort, weit, die Freiheit!
Ein Anfall toller Verzweiflung rief ihr ihr
Schicksal vor Augen: sie sah auch den
purpurgefleckten Goldsand der Arena, die
graue Masse des aufgeschlitzten Elephan-
ten, das harte Lächeln des Christen und
endlich die wüthenden Rufe der Hetzer,
die Martern, alle die Martern! Die Schnauze
auf die beiden, gekreuzten Tatzen gelegt,

schien sie zu schlafen-vielleicht

war sie schon todt.

Da plötzlich erhellte sich das Dunkel
ihres Zwingers. Dort oben glitt eine Fall-
thür zurück und, wie vom Himmel in diese
Hölle herabsteigend, wo das verdammte
Thier kauerte, erschien eine weisse,
schlanke Gestalt, ein Weib. Sie trug in
einem heraufgenommenen Zipfel ihrer
Tunika das Viertel eines Zickleins, und
auf ihrer Achsel stützte der rechte Arm
ein volles Gefäss. Das Thier richtete
sich auf — dies weisse Geschöpf, es war

die Tochter des alten Wärters: „Thier,“
sagte sie, während Sonnenlichter, so blond
wie ihr Goldhaar, hinter ihr her wirbelten,
„Thier, ich habe Mitleid mit Dir. Dn
wirst nicht sterben.“ Sie löste eine Kette,
stiess das Gitter auf, liess das Stück des
Zickleins auf die Schwelle des Zwingers
fallen und setzte sachte das volle Wasser-
gefäss hin. — Da zog sich das Thier auf
seine Lenden zusammen, die noch immer
geschmeidig geblieben waren, machte sich
ganz klein, um das Mädchen nicht zu er-
schrecken, belauerte es einen Augenblick
mit den beiden phosphoreszirenden Augen,
die wie Abgründe eingesunken waren,
sprang ihm mit einem Satz an den Hals

und erdrosselte es — — — —-• —'

(Deutsch von CI. Theumann.)

Der Geschichtschreiber

^ß,ad) dem Gewaltigen begehrt dein Sh»"'
Nach Thar und Urrheilsspruch im Weltgericht
Nach all den großen Linien der
Die du verfolgst mit Lust und mit Gcwi»">

Indeß ich immer auf der Suche bin
Mit meines Witzes kürzcrstrahligem Lich^ ,
Nach Menschlichem in dieses Seins Ged'^
Daraus ich lächelnd meine Stoffe spinn ■

Und wenn dein Stift in hohen Worten sch'^^
wie kühn Napoleon im Pulverdampf
Dahin gesprengt — selbst Rlio lauschte h'1’

wird mir der Held zum Menschenkind gci»^/
weil er ein vicrtelstündchen vor dem Ran'"
Den Bartschccr wünschte, der ihn glatt bald e

Hugo

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Hugo Salus: Der Geschichtsschreiber
Angelo Jank: Zeichnung zum Text "Der Panther"
[nicht signierter Beitrag]: Vignette
 
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