Nr. 5
JUGEND
1898
Die gewaschene Noth
Von Zeno.
Melancholisch und verdrossen ging ich einst
* * einen Weg, den ich gehen musste. Kam
an einen Bach, war ein Steg darüber, sass ein
Weib drauf, in dichten Gewändern, finster, hart,
höhnisch, 'bitter, frierend — ganz wie ich.
„Mach Platz 1“ sag ich.
„Schaff Platz 1“ knurrt sie.
Ich stosse sie an; sie rührt sich nicht; ich
renne sie an; und pralle zurück; ich rüttle an
ihr — sie hockt wie gewachsener Fels.
„Wer bist Du denn?“ frag ich verwundert.
„Käthe!“ sagt sie.
Ich denke hin und her, endlich frag ich:
„Gehörst Du zu mir?“
„Ja!“ sagte sie.
„Dann — bist Du die Noth!“
Ein kurzes Lachen.
„Die Noth? Weiss nicht, warum die Men-
schen mich immer die Noth rufen: ich bin
die — Lust!“
Nun lache ich, giftig, wie ein Hund bellt.
„Die Lust? Da scheinst Du Dich heute
noch nicht gewaschen zu haben!“
„Wie, wenn die Ungewaschenheit bei Dir
läge?“ fragte sie ironisch.
Ich erröthe. Sollte sie mir ansehen, dass
ich — — Ich war heute Morgens so un-
lustig, dass ich — — aber das sagt kein
Mensch gern.
„Da ist Wasser!“ macht sie spöttisch, und
ich fühle einen Drang, mich — nun — mich
zu waschen. Ich kniee nieder und netze das
Gesicht; da packt mich ein Durst nach mehr
Frische. Die Kleider fliegen mir vom Leibe
— ein Kopfsprung — hinab auf den klaren
Grund, zu den blanken Kieseln da — zu dem
grünen Gewirr dort — hinauf, auf die sonnige
Oberfläche — ein paar Schwimmstösse links,
ein paar rechts — ein paar mal herum und
trocken und klar hab’, das Weib, jung, frisch,
rosig, blitz- und sieghaft das Gewand von den
Schultern geworfen, und blickt mich mit einem
diabolischen Spott an, der etwas Seliges an
sich — oder hab’ ich es an mir? — und
weidet sich an meiner Verwirrung, in die sich
schon Unternehmungsgeist mischt. Dann reicht
sie mir lächelnd die Hand:
„haben wir uns
ge-
„Nun,“ fragt sie,
waschen? —“
Und ich hob sie auf die Arme, wie eine
Feder — eine wundersame Feder: sie schien
mich hinaufzureissen — nicht um mir Platz
auf der Brücke zu machen, sondern um sie
mit auf den vorher so säuern Weg zu nehmen,
und es war eine Lust, mit der lieblichen Last
durch die lachenden Auen zu schreiten, zu
rennen, zu fliegen, zu — — oh, ich kenne
die Gangarten nicht mehr alle-— es war
eine Lust, die sich — oder halt: es war die
Noth, die sich gewaschen hatte!
70
B. Pankok (München).
JUGEND
1898
Die gewaschene Noth
Von Zeno.
Melancholisch und verdrossen ging ich einst
* * einen Weg, den ich gehen musste. Kam
an einen Bach, war ein Steg darüber, sass ein
Weib drauf, in dichten Gewändern, finster, hart,
höhnisch, 'bitter, frierend — ganz wie ich.
„Mach Platz 1“ sag ich.
„Schaff Platz 1“ knurrt sie.
Ich stosse sie an; sie rührt sich nicht; ich
renne sie an; und pralle zurück; ich rüttle an
ihr — sie hockt wie gewachsener Fels.
„Wer bist Du denn?“ frag ich verwundert.
„Käthe!“ sagt sie.
Ich denke hin und her, endlich frag ich:
„Gehörst Du zu mir?“
„Ja!“ sagte sie.
„Dann — bist Du die Noth!“
Ein kurzes Lachen.
„Die Noth? Weiss nicht, warum die Men-
schen mich immer die Noth rufen: ich bin
die — Lust!“
Nun lache ich, giftig, wie ein Hund bellt.
„Die Lust? Da scheinst Du Dich heute
noch nicht gewaschen zu haben!“
„Wie, wenn die Ungewaschenheit bei Dir
läge?“ fragte sie ironisch.
Ich erröthe. Sollte sie mir ansehen, dass
ich — — Ich war heute Morgens so un-
lustig, dass ich — — aber das sagt kein
Mensch gern.
„Da ist Wasser!“ macht sie spöttisch, und
ich fühle einen Drang, mich — nun — mich
zu waschen. Ich kniee nieder und netze das
Gesicht; da packt mich ein Durst nach mehr
Frische. Die Kleider fliegen mir vom Leibe
— ein Kopfsprung — hinab auf den klaren
Grund, zu den blanken Kieseln da — zu dem
grünen Gewirr dort — hinauf, auf die sonnige
Oberfläche — ein paar Schwimmstösse links,
ein paar rechts — ein paar mal herum und
trocken und klar hab’, das Weib, jung, frisch,
rosig, blitz- und sieghaft das Gewand von den
Schultern geworfen, und blickt mich mit einem
diabolischen Spott an, der etwas Seliges an
sich — oder hab’ ich es an mir? — und
weidet sich an meiner Verwirrung, in die sich
schon Unternehmungsgeist mischt. Dann reicht
sie mir lächelnd die Hand:
„haben wir uns
ge-
„Nun,“ fragt sie,
waschen? —“
Und ich hob sie auf die Arme, wie eine
Feder — eine wundersame Feder: sie schien
mich hinaufzureissen — nicht um mir Platz
auf der Brücke zu machen, sondern um sie
mit auf den vorher so säuern Weg zu nehmen,
und es war eine Lust, mit der lieblichen Last
durch die lachenden Auen zu schreiten, zu
rennen, zu fliegen, zu — — oh, ich kenne
die Gangarten nicht mehr alle-— es war
eine Lust, die sich — oder halt: es war die
Noth, die sich gewaschen hatte!
70
B. Pankok (München).