1898
- JUGEND >
Nr. 5
Air Geschichte t>ott her pfeife
unö bm Kaffee
?^fie alte Frau Stammerin war tro
achtzig Jahre nach eine stramme Weibs-
person und hielt, zumal in ihrem Hause, ein
gar strenges Regiment. Sie hatte es ver-
standen, ihren einzigen Sahn in einer Weise
zu erziehen, datz er ihr wie am Schnürchen
ging, heute so wie vor siinszig Jahren, und
auch ihre Schwiegertochter mutzte nach ihrer
Pseise tanzen.
Die alte Frau Stammerin war seinerzeit
unter ebenso strenger Zucht bei ihren Eltern
ausgewachsen und rechtschassen und gediegen
dabei geworden; dasSprichwortihresLaters:
,,Holz und Kinder mutz man biegen, io lang
Ite jung sind", das war auch ihr Wahlspruch
geworden, und sie bog sich ihren Mathias
ganz gehörig; so gut, datz er selbst als altern-
der Mann nicht einmal mehr gerade wurde/
Im Dorse munkelte »ran, die resolute Frau
Stammerin habe ztvar auch ihren Mann, —
Gott Hab' ihn selig, — ein wenig unter dem
Pantoffel gehabt und hätte das dürre Männ-
lein ordentlich „karnieselt"; aber wie gesagt,
das munkelte man blos; dagegen war man
von der strengen Erziehung des Mathias un-
gemein besriedigt, denn man war übereinge-
kommen, der Junge habe ein bischen leichtes
Blut und grotze Anlagen zum Thunichtgut,
hatte man ihn doch bereits in seinem vier-
zehnten Lebensjahre einmal hinter der Kirchen-
thür erwischt, wie er sich gedorrte Krautblätter
zusainmendrehte und rauchte. Entjetziicb! Da-
mals batte ihn der Herr Pfarrer eigenhändig
seiner Mutter am Ohr zugesührt, die ihn mit
»i die Hüsten gestemmten Armen und unheil-
drohenden Gewitterblicken empsing. Dann be-
kam er einen langen Sermon iind hernach
noch eine längere Tracht Prügel. „Und, Ma-
thias," hatte die Mutter geschlossen, „datz
Dil's nur iveiht, ein sür allemal: eine Pseise
kommt mir nie net in's Haus!"
Und natürlich, gerade das Rauchen wurde
Matthias' höchste Leidenschaft. Aber es war
nie eine Pseise m's Haus gekonunen. „Wenn
die Mutter einmal nicht mehr sein tvird!" war
sein steter Trost.
Als er sich dann verheirathete, — er nahm
aus Wunsch der Mutter die Ebner Nandl, des
Nachbarn Dirndl, weil sie fand, datz die
Grundstücke so hübsch aneinandergrenzte», —
da zog sich die Alte scheinbar von der Wirth-
schatt in's Oberstübchen zurück. Aber nur
icheinbar, denn sie führte ihr strammes Re-
giment unbeirrt weiter und ruhte nicht, bis
die junge Frau sich ganz in ihren Willen
fügte. Nichts geschah, von dem sie nicht
wußte. nichts ohne ihre Einwilligung und
Erlaubnitz. Sie schlurfte im Hause herum
und steckte ihre Rase in alles.
Wenn die Schwiegertochter zu größeren
Einkäufen in die Stadt fuhr, legte sie der
Mutter den Bestellzettel vor. Die Alte durch-
ging die einzelnen Posten mit peinlicher Ge-
nauigkeit, summirte sie, krabbelte aus denc
verschmierten Lederbeutel in der Truhe das
nöthige Geld aus Heller und Psenmg zu-
sammen, und nicht um einen Deut mehr
und was ihr unnütz oder theuer schien, wurdc
unbarmherzig gestrichen. So mancher be-
scheidene Haüssrauenwunsch der Tochter wa>
auf diese Weise schon hingemordet worden
Wenn sie sich hei ihrem Mann darübei
beklagte, so tröstete er sie: „Wenn die Muttei
einmal nicht mehr ist!" Und bald war aucl
ihr geheimes Hoffen und Denken: „Wenn du
Mutter nicht mehr sein wird!"
Kinder bekamen die jungen Leute keine
es war, als ob der harte, wenig wohlwollend
Blick der Alten die Frau nnsrnchtbar gemach
hätte. —
. Nun waren sie seit zwanzig Jahren her
heirathet. Der Mann sünszig, hie Frau vier-
zig alt. Eines Tages kam die Schwieger
tochter der Frau Stanunerin nach Hause, wick
eile aus dem Zipsel ihres Taschentüchels ein
Dutzend schwarzer, duftender Körner, stieu ne
Ernst Liebsrmann (München).
mt Mörser, brühte sie ab, versetzte sie mit
Milch und stellte den Trank schlietzliä, zag-
haft der Alten vor.
„Kost' die Frau Mutter; 's is a Kaffee!"
Die Frau Mutter hatte noch nie Kaffee
getrunken; sie beäugelte erst mitztrauisch das
schwarze Gebräu, dann kostete sie herablassend
und zimperlich davon.
„Hm, — was is das?"
„A Kaffee!"
„Kaffee? — Hin!"
Und sie trank mit sichtlichem Behagen mehr.
Muthig gemacht, wagte die Schwieger-
tochter eine Erzählung.
„Ja, das trinkens jetzt, im Dorf statt der
Suppen in der Fruah; und die Luckhasin hat
mir a paar Körndl für d' Frau Mutter zum
Kosten mitgeben!"
Die Alte hatte die Schale beinahe geleert,
schob sie aber jetzt entrüstet von sich.
„Ah so! Alsdann a so a Neumodi von die
Stadtleut, a theuers Stadtg'süsf, soll bei »ns
eing'führt werd'n! Na, na, mei Liabe, dös
schlag Dir nur aus dem Kopf!"
„Sie trinkens jetzt scho überall im Dorf
statt der Suppen..." wandte die Schwieger-
tochter ängstlich nochmals ei».
„Was geht mi 's Dorf an! Schau da her!
I bin bei der Suppen alt ivord'n und Hab
mei Lebtag nix anders kennt; jetzt kommet
auf amal a „Kaffee" oder ivie's haßt, auf!
Nix is!" schloss sie barsch und nachdrücklich,
„da bin i die Frau, und so lang i leb_"
Die Tochter ging ohne zu muclsen mit
gebeiigtem Hals zur Thür hinaus.
„Na warte," dachte sie verbissen, „bis Du
nur einmal nicht mehr bist!"
Und schwieg und wartete. —
Die Jahre vergingen. Die Alte war fiin‘«
undachtzig geworden. Auf den Krückstock ge-
stützt, schlich sie durch's Haus. Still und
resignirt lieft das Ehepaar alles über sich e>-
gehen. Aber in beiden schwoll der Wunsch
nach Pfeife und Kaffee geradezu krankhaft.
„Wenn die Mutter einmal nicht mehr ist!"
vertrösteten sie sich gegenseitig oft und oft.
Aber die Alte wollte nicht sterben. Sie
ivurde neunzig. Sie schlich nicht mehr durch's
HauS, daran hinderte sie die Gicht. Aber sie
liest sich von ihrem Sohn im Fahrstuhl durch
Küche, Hans und Feld rollen. Sie wurde
zweiundneunzig, siinsnndnennzig Jahre alt,
und siebenundneunzig in ungeschwächter Gei-
stesfrische. Die Eheleute ein paar alte, stille
Leutchen von siebenzig und sechzig Jahren.
Endlich eines Tages säst die Mutter wachs-
gelb mit halbgeschlossenen Lidern, unterbenen
gciu mit t/iuuyc|u/iKj|v.4ivu rf^vw.v _
es glasig hervorschimmerte, steif im Sessel.
Der Mann kratzte sich hinterm Ohr, die Frau
hielt den Schürzenzipfel an's Äug': Die
Mütter war tobt.
Sie zogen ihr das schon lang vorbereitete
Tvdtenkleid an, setzten ihr die schwarze Witwen -
Haube auf den kahlen Schade! und knüpften
die Bänder unter dem aufwärts gebogenen
Kinn, das schon fast die Nase berührte.
Grost, läng und majestätisch lag die Leiche
nunmehr auf dem Brett.
Tie beiden suchten in der Truhe nach dem
Lederbentel und berechneten die Kosten des
Begräbnisses: I. Klasse mit drei Glocken und
Sarg dreißig Gulden. Dann der Todten-
beschauer, das Mahl, „der Teixl, der Teixl,
's Sterben kommt a net billig!"
Der Mann zog sein Feiertagsgewand an
und machte sich auf den Weg, den Sterbefall
anzunielden. Bei der Thür kehrte er noch
einmal um.
„Du, Alte," sagte er, „gib mir an Gulden,
i nimm mir's glei vom Thomerl mit, die
silberb'schlagene Pfeif'n, die i mir schon lang
ausg'sncht Hab, — er laßt mir's billig!"
„Ja, und Du!", rief ihm die Frau nach,
„wannst vor der Greistier Sefferl vorbeigehst,
schau mir um an Kilo brennten Kaffee, aber
vom guaten! Die Sefferl weist' schon!"
Und es war ihnen beiden so froh und freu-
dig zu Muthe, als ginge jetzt für sie eigent-
lich daS Leben erst an! —
Fannie Kröger.
- JUGEND >
Nr. 5
Air Geschichte t>ott her pfeife
unö bm Kaffee
?^fie alte Frau Stammerin war tro
achtzig Jahre nach eine stramme Weibs-
person und hielt, zumal in ihrem Hause, ein
gar strenges Regiment. Sie hatte es ver-
standen, ihren einzigen Sahn in einer Weise
zu erziehen, datz er ihr wie am Schnürchen
ging, heute so wie vor siinszig Jahren, und
auch ihre Schwiegertochter mutzte nach ihrer
Pseise tanzen.
Die alte Frau Stammerin war seinerzeit
unter ebenso strenger Zucht bei ihren Eltern
ausgewachsen und rechtschassen und gediegen
dabei geworden; dasSprichwortihresLaters:
,,Holz und Kinder mutz man biegen, io lang
Ite jung sind", das war auch ihr Wahlspruch
geworden, und sie bog sich ihren Mathias
ganz gehörig; so gut, datz er selbst als altern-
der Mann nicht einmal mehr gerade wurde/
Im Dorse munkelte »ran, die resolute Frau
Stammerin habe ztvar auch ihren Mann, —
Gott Hab' ihn selig, — ein wenig unter dem
Pantoffel gehabt und hätte das dürre Männ-
lein ordentlich „karnieselt"; aber wie gesagt,
das munkelte man blos; dagegen war man
von der strengen Erziehung des Mathias un-
gemein besriedigt, denn man war übereinge-
kommen, der Junge habe ein bischen leichtes
Blut und grotze Anlagen zum Thunichtgut,
hatte man ihn doch bereits in seinem vier-
zehnten Lebensjahre einmal hinter der Kirchen-
thür erwischt, wie er sich gedorrte Krautblätter
zusainmendrehte und rauchte. Entjetziicb! Da-
mals batte ihn der Herr Pfarrer eigenhändig
seiner Mutter am Ohr zugesührt, die ihn mit
»i die Hüsten gestemmten Armen und unheil-
drohenden Gewitterblicken empsing. Dann be-
kam er einen langen Sermon iind hernach
noch eine längere Tracht Prügel. „Und, Ma-
thias," hatte die Mutter geschlossen, „datz
Dil's nur iveiht, ein sür allemal: eine Pseise
kommt mir nie net in's Haus!"
Und natürlich, gerade das Rauchen wurde
Matthias' höchste Leidenschaft. Aber es war
nie eine Pseise m's Haus gekonunen. „Wenn
die Mutter einmal nicht mehr sein tvird!" war
sein steter Trost.
Als er sich dann verheirathete, — er nahm
aus Wunsch der Mutter die Ebner Nandl, des
Nachbarn Dirndl, weil sie fand, datz die
Grundstücke so hübsch aneinandergrenzte», —
da zog sich die Alte scheinbar von der Wirth-
schatt in's Oberstübchen zurück. Aber nur
icheinbar, denn sie führte ihr strammes Re-
giment unbeirrt weiter und ruhte nicht, bis
die junge Frau sich ganz in ihren Willen
fügte. Nichts geschah, von dem sie nicht
wußte. nichts ohne ihre Einwilligung und
Erlaubnitz. Sie schlurfte im Hause herum
und steckte ihre Rase in alles.
Wenn die Schwiegertochter zu größeren
Einkäufen in die Stadt fuhr, legte sie der
Mutter den Bestellzettel vor. Die Alte durch-
ging die einzelnen Posten mit peinlicher Ge-
nauigkeit, summirte sie, krabbelte aus denc
verschmierten Lederbeutel in der Truhe das
nöthige Geld aus Heller und Psenmg zu-
sammen, und nicht um einen Deut mehr
und was ihr unnütz oder theuer schien, wurdc
unbarmherzig gestrichen. So mancher be-
scheidene Haüssrauenwunsch der Tochter wa>
auf diese Weise schon hingemordet worden
Wenn sie sich hei ihrem Mann darübei
beklagte, so tröstete er sie: „Wenn die Muttei
einmal nicht mehr ist!" Und bald war aucl
ihr geheimes Hoffen und Denken: „Wenn du
Mutter nicht mehr sein wird!"
Kinder bekamen die jungen Leute keine
es war, als ob der harte, wenig wohlwollend
Blick der Alten die Frau nnsrnchtbar gemach
hätte. —
. Nun waren sie seit zwanzig Jahren her
heirathet. Der Mann sünszig, hie Frau vier-
zig alt. Eines Tages kam die Schwieger
tochter der Frau Stanunerin nach Hause, wick
eile aus dem Zipsel ihres Taschentüchels ein
Dutzend schwarzer, duftender Körner, stieu ne
Ernst Liebsrmann (München).
mt Mörser, brühte sie ab, versetzte sie mit
Milch und stellte den Trank schlietzliä, zag-
haft der Alten vor.
„Kost' die Frau Mutter; 's is a Kaffee!"
Die Frau Mutter hatte noch nie Kaffee
getrunken; sie beäugelte erst mitztrauisch das
schwarze Gebräu, dann kostete sie herablassend
und zimperlich davon.
„Hm, — was is das?"
„A Kaffee!"
„Kaffee? — Hin!"
Und sie trank mit sichtlichem Behagen mehr.
Muthig gemacht, wagte die Schwieger-
tochter eine Erzählung.
„Ja, das trinkens jetzt, im Dorf statt der
Suppen in der Fruah; und die Luckhasin hat
mir a paar Körndl für d' Frau Mutter zum
Kosten mitgeben!"
Die Alte hatte die Schale beinahe geleert,
schob sie aber jetzt entrüstet von sich.
„Ah so! Alsdann a so a Neumodi von die
Stadtleut, a theuers Stadtg'süsf, soll bei »ns
eing'führt werd'n! Na, na, mei Liabe, dös
schlag Dir nur aus dem Kopf!"
„Sie trinkens jetzt scho überall im Dorf
statt der Suppen..." wandte die Schwieger-
tochter ängstlich nochmals ei».
„Was geht mi 's Dorf an! Schau da her!
I bin bei der Suppen alt ivord'n und Hab
mei Lebtag nix anders kennt; jetzt kommet
auf amal a „Kaffee" oder ivie's haßt, auf!
Nix is!" schloss sie barsch und nachdrücklich,
„da bin i die Frau, und so lang i leb_"
Die Tochter ging ohne zu muclsen mit
gebeiigtem Hals zur Thür hinaus.
„Na warte," dachte sie verbissen, „bis Du
nur einmal nicht mehr bist!"
Und schwieg und wartete. —
Die Jahre vergingen. Die Alte war fiin‘«
undachtzig geworden. Auf den Krückstock ge-
stützt, schlich sie durch's Haus. Still und
resignirt lieft das Ehepaar alles über sich e>-
gehen. Aber in beiden schwoll der Wunsch
nach Pfeife und Kaffee geradezu krankhaft.
„Wenn die Mutter einmal nicht mehr ist!"
vertrösteten sie sich gegenseitig oft und oft.
Aber die Alte wollte nicht sterben. Sie
ivurde neunzig. Sie schlich nicht mehr durch's
HauS, daran hinderte sie die Gicht. Aber sie
liest sich von ihrem Sohn im Fahrstuhl durch
Küche, Hans und Feld rollen. Sie wurde
zweiundneunzig, siinsnndnennzig Jahre alt,
und siebenundneunzig in ungeschwächter Gei-
stesfrische. Die Eheleute ein paar alte, stille
Leutchen von siebenzig und sechzig Jahren.
Endlich eines Tages säst die Mutter wachs-
gelb mit halbgeschlossenen Lidern, unterbenen
gciu mit t/iuuyc|u/iKj|v.4ivu rf^vw.v _
es glasig hervorschimmerte, steif im Sessel.
Der Mann kratzte sich hinterm Ohr, die Frau
hielt den Schürzenzipfel an's Äug': Die
Mütter war tobt.
Sie zogen ihr das schon lang vorbereitete
Tvdtenkleid an, setzten ihr die schwarze Witwen -
Haube auf den kahlen Schade! und knüpften
die Bänder unter dem aufwärts gebogenen
Kinn, das schon fast die Nase berührte.
Grost, läng und majestätisch lag die Leiche
nunmehr auf dem Brett.
Tie beiden suchten in der Truhe nach dem
Lederbentel und berechneten die Kosten des
Begräbnisses: I. Klasse mit drei Glocken und
Sarg dreißig Gulden. Dann der Todten-
beschauer, das Mahl, „der Teixl, der Teixl,
's Sterben kommt a net billig!"
Der Mann zog sein Feiertagsgewand an
und machte sich auf den Weg, den Sterbefall
anzunielden. Bei der Thür kehrte er noch
einmal um.
„Du, Alte," sagte er, „gib mir an Gulden,
i nimm mir's glei vom Thomerl mit, die
silberb'schlagene Pfeif'n, die i mir schon lang
ausg'sncht Hab, — er laßt mir's billig!"
„Ja, und Du!", rief ihm die Frau nach,
„wannst vor der Greistier Sefferl vorbeigehst,
schau mir um an Kilo brennten Kaffee, aber
vom guaten! Die Sefferl weist' schon!"
Und es war ihnen beiden so froh und freu-
dig zu Muthe, als ginge jetzt für sie eigent-
lich daS Leben erst an! —
Fannie Kröger.