Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 5

JUGEND

1898

wumitammmtmBBBRi

UWWWkWWWWNWUWWWW

Auf der Terrasse

’S war Abends spät. Ich sass bei einem Schwarme,

WWWWWWWDWWWM_

— Man zahlte, ging.

Nur einer plaudert’ fort;
Und just im Gehen fing

Hans Christiansen (Paris).

. . . In Qual wahrhaftig sah ich auf;

Da schaut’, ich tief den Himmel überhangen,
Nur noch als goldnen Knauf

Der sich aus Müssiggang die Zeit vertrieb,
Tief in die Nacht. Mir war das warme
Golddunkel der Terrasse lieb. —

Sie blickten selten zu mir her;

Forsch Hessen sie die Zigarretten qualmen,

Der Wein war leer,

Zwei sogen Eiskaffee aus dünnen Halmen.

— Ich hatte lange nicht auf sie gehört.

Mich lockte die Musik vom fernen Hügel,

Ein lindes Weltvergessen regt’ die Flügel,

Und in die Dämmrung starrt’ ich traumbethört.
Tief unten Licht an Licht aus dunkler Stadt;
Ein dünnes Nebelmeer
Drüber her,

Wie zarter Mondha'uch, blass und schlummer-
matt.

. . . O Frieden! — —

— Sieh, da weckte mich ein Wort,

Noch unbegriffen zwar, — allein es rührte
Mich zu bekannt, als dass ich nicht sofort
In mir den Drang zu lauschen spürte.

Das war’s: „Moderne Litteratur!“

- Rasch riss das Wort aus zauberischer Schöne
Mich in der C egenwart zertret’ne Spur
Und löscht’ die Töne.

. . . Ich horchte weiter. — Fast wie ein Spion,
Der einen Trupp erlauscht von Hochverbrechern
Und still sich hält, im Herzen schnöden Hohn —
So schielt’ ich zu den Sprechern.

Zwei stritten sich, die andern sassen stumm.
Ein Blick, -— ich sah: glacierte Tröpfe!

Wie hoben sie die superklugen Köpfe
Und schwenkten sie im Kreis herum!

. . . Von Zola sprachen sie, von Ibsen auch!
Natürlich, ja, — das konnte mir genügen!
Ist’s doch des Durchschnitts allgemeiner Brauch,
In zwei, drei Namen Alles einzufügen! . . .

Er wieder an: „Das ist mein letztes Wort:
Die Kunstform fehlt uns ganz;

Wir sind nur Epigonen;

Warum? — Weil wir am Schwanz
Versunkner Zeiten v, ohnen!“ —

Hinaus. —- Und still war’s um mich her. —
. . . Auflachend jauchzte in der Ferne
Die Tanzmusik. Der Himmel schwer
Umräucherte mit Nebeldampf die Sterne . . .

— —- Seltsam! oft hält ein thöricht Wort
Uns mehr als Geistesspruch den Sinn befangen;
So hing mir jenes an mit Klammerzangen,
Und wie ein Holzwurm frass es in mir fort,
„Die Kunstform fehlt“; — mir schien, ich

musst’ es glauben!

Wahrheit auch in des Tölpels Mund!

Die Phrase drehte sich im Kopf mir rund
Und quälte mich mit Bohren und mit Schrauben!
. . . „Und,“ frug ich mich, „wärst du nicht
selbst der Mann,
Das neue Kleid der neuen Kraft zu sticken ?
Berufen ist, wer’s kann!

Wohlauf und lass dein Handwerk blicken! . . .
. . . Gleich morgen setz’ dich hin, . . .

Du musst der Zeit Bedürfniss ausstudieren, . . .

. . . Der alten Gleise Sinn

Vor allem gründlich revidieren! —

Das Kunststück ist nicht gross: ein bischen

Addition, . . .

Ideen kann ein Philosoph dir borgen, . . .

. . . So hast du’s schon! . . .

Und alles wehre — wird die Zeit besorgen!

— — Dann tratst du hin und sprächest

zu den Laffen:

Voilä, mes amis!!

— Du musst doch eine neue Kunstform schaffen,
Sonst wärst du kein Genie!“ -

Den Mond herglühend vom Gebirge pranget».
So still, so mild; — sein röthlich Geisterlicht
Quoll trüb herunter, durch den Dunst verblendet,
Sein Angesicht,

Das grosse, schien im Spott mir zugewendet. —
. . . Er sprach: „So hat der Grübelgeist,

Mein Sohn* dich wieder mal betrogen,

Dich schnöd in seinen Bann gezogen,

Der Gaukler, der so viel verheisst!

— Es lügt der Knirps, ihr schafft mit

eurem Hirne,

Ihr Menschen, klügelnd ein Gebot,

Aus dem ihr doch mit knapper Noth
Herspinnt die eignen Lebenszwirne! —

Blick auf! — Wo in der Nächte Hut
Sich stumm die Horizonte grüssen
Und zu verwelkter Lenze Füssen
Der Schlummerkeim der Herbste ruht:

D a sauge Kraft, Ermüdeter vom Qualme
Des Räucherwerks um Bank und Buch,

Dann kehrst du, ohne Zauberfluch,

Ins alte Land mit einem neuen Psalme!

. . . Hei wär’ mir recht! Sich spitzig

beim Kaffee

Das Kommende erklügeln und ergattern!

Hei wär’ mir recht! — im Unkensumpfe

schnattern,

Und droben quillt und braust die See!

O Thorheit! Thorheitsiiberfluss! —

. . . Adieu! ich steig’ in meine Klause!

Hier noch mein Kuss; sei’s dir der Weisheit

Kuss!“ —

— Sein Licht verlosch . . .

. . . Und durch den Nebel schritt ich bang

nach Hause.
FRITZ LENNAR.
Register
Hans Christiansen: Zeichnung ohne Titel
Fritz Lennar: Auf der Terrasse
 
Annotationen