Nr. 5
• JUGEND
1898
Liselotte
Liselotte, Liselotte, willkommen bei uns,
Guten Tag, Liselotte I
wie gefällt cs Dir denn bei uns,
Liebe Liselotte?
Du triffst zwar kein Stück am rechten Play,
Verzeih, Liselotte,
's ist Reinmachen heute. Das ist eine Hatz,
Ach, Liselotte I
wir verbessern grad' ein wenig die Welt,
's muß sein, Liselotte.
Da wird alles auf den Kopf gestellt,
Alles, Liselotte.
Aber morgen ist's bei uns blitzeblank,
Ja, Liselotte,
Die Welt so nett wie ein Puppcnschrank,
Freu' Dich, Liselotte l
Aber, Liselotte, Du weinst doch nicht?
Liebe Liselotte!
Die Welt ist so schlimm wirklich nicht.
Muth, Liselotte!
Gustav Falke.
Zonnlagmorgen
Einem Pädagogen nacherzählt.
?Her Llementarlehrer an der 7. Bezirksschule,
4^6 Moritz Hellriegel, hielt Heuer mit seinen
ganz Kleinen zusannnen sein erstes Examen
ab. Als sie in den großen Schulsaal geführt
wurden, hatten die Knirpse das unbestimmte
Gefühl, daß sie sich an diesem merkwürdig-
feierlichen Tage zum ersten Male in ihrem
Leben in aller Fort» öffentlich blamireu konnten.
Hellriegel hatte von diesem kommenden Zustande
das bestimmte Gefühl, das war so der ganze
Unterschied. Denn blaß waren die Kleinen,
manche fast grünlich, wie die verstaubten Vor-
hänge an den Fenstern des Saales, und Hell-
riegel sah unter seinem schlichtgescheitelien
Haare auch nicht gerade blühend aus, da er
das Podium bestieg.
Zur Rechten im Saale eine Reihe von
Lollegen, die neidlos dem Konimenden cnt-
gegenfahen, hinten an der Wand besorgte
Mütter mit seltsamen Hüten und Schulter-
tüchern.
„wie," sagte sich Hcllriegel, der Roman-
tiker, „solltest Du nicht einen Griff thun in
das iutiinste Seelenlchcn dieser Kinder und
so mit leichter Mühe die Pforten öffnen zu
dieser Stunde?" Und da er die Mütter sitzen
sah in ihrem bangetlden Stolze, stieg ihm ein
Thema ans, das alle Innigkeit des Familien-
lebens umschloß. Und es stand klar geschrieben
vor seiner Seele: Lin Sonutagmorgen in der
Familie. „Der Vater," so jubelte es tu ihm,
«ja der Vater, der ernste, schaffende. der seinem
Tagewerk nachgeht, während sein Knabe zum
ersten Male öffentlich Zeugniß ablegen soll einer
erfüllten, kleinen Pflicht, er soll mir hier als der
beredte Führer dienen."
Und cs wurde Hcllriegel plötzlich ganz leicht
um's Herz, und er beugte sich ein wenig über
das Pult vor und stützte die Ellbogen leicht
auf und legte die Hände zusauitnen und sagte
mit gewinnender Freundlichkeit:
H. Eichrodt (Karlsruhe).
„ Seht, meine lieben Knaben, die Mutter
hat Euch heute Eure schönsten Kleider ange-
zogen und hat Euch einen weißen Kragen vor-
gebunden, und Eure Schuhe sind so blank ge-
putzt, und Jeder hat wohl ein frisches, sauberes
Taschentuch bei sich — ist das nicht, als wäre
es ein Sonntag heute? Ein Sonntag, wo der
Vater nicht zur Arbeit geht, und wo die Mutter
etwas Gutes kocht mit Apfelmus zum Mittag-
essen, und wo Ihr mit den Eltern spazieren
gehen dürft.
Nun wollen wir einmal, weil wir so unsere
schönen Kleider anhabcn, denken, cs sei ei»
solcher Sonntag heute. Und Ihr sollt inir er-
zählen, was Ihr da zu Hause thnt und treibt,
und mit was Ihr Luch beschäftigt, wenn der
Vater bei Euch sitzt. Nun, so erzähle mir ein-
mal, Franz Haferkorn — erhebe Dich hübsch
von Deinem Platze, wenn ich Dich ausruse —
also da steht der Vater früh vielleicht um sieben
Uhr auf, nicht wahr? Und —"
„Nee!" sagt Franz Haserkorn ziemlich ent-
schieden.
„Nun, so sagen wir meinetwegen, er steht
um acht Uhr auf."
„Nee, der schteht »in «eine aufI"
„Also gut, um neun Uhrl Nun, was thnt
er daun?"
Haserkorn schweigt lange.
„Nun, was thnt denn der Vater, wenn
er aufgcstanden ist, und wenn er bei Dir ist?"
„Er wäscht fiel? 1"
„Ja, ja, das müssen wir ja alle thun, das
meine ich nicht. Also wenn der Vater sich
nun gewaschen hat —"
„Dann schimpt'el" unterbricht Haserkorn
den blonden Lehrer.
„Nu aber," lenkt der ein, „der Vater
schimpft ja doch nicht immer!"
„G, ja," versichert Haserkorn, der ganz
aufzuthauen scheint, „dann schimxt'e immer,
da sucht'e seine Schuhe!"
Ls scheint Hellriegel fast rathsam, zu einem
anderen Knaben überzugehen, aber er bemerkt
das unterdrückte Lachen in der Lehrer-Reihe
— einer der jüngeren Lollcgen ist roth wie
ein Krebs und schier den: Ersticken nahe. Das
reizt ihn, ob er nicht doch noch das rechte
„Sesam öffne Dich" finden möge für diese
Kindesseele. Und er wird noch freundlicher,
daß seine Brillengläser eine unendliche Milde
verstrahlen und sagt ZN seinen: kleinen Stoiker:
„Ivenn nun aber der Vater sich gewaschen
hat, und er hat seine Schuhe gesunden, dann
wird er sich vielleicht Dein Schulbuch zeigen
lassen, nicht wahr? (vder er wird mit Dir
zum Fenster hinausschauen, wo die Sonne hell
hereinscheint, oder er geht vielleicht mit Dir
in den Hof binunter, oder auf die Miesen,
oder in den Wald?"
„Nee," sagt Franz Haserkorn, „da kommt
Meithke riewer, da schxieln se sechsunsechzigl"
F. Langheinrich.
Der höfliche Rekrut
Lieutenant (während der Jnstrukiions-
stunde): Schmidt, wer sind Deine direkt Vor-
gesetzten?
Rekrut Schmidt: Meine direkt Vorge-
setzten sind: Herr Major Strecker.. Herr Haupt-
mann Mayr... Herr Premierlieutenant well-
ner.... und Ihre Wenigkeit, Herr Leit'
nant.
8o
• JUGEND
1898
Liselotte
Liselotte, Liselotte, willkommen bei uns,
Guten Tag, Liselotte I
wie gefällt cs Dir denn bei uns,
Liebe Liselotte?
Du triffst zwar kein Stück am rechten Play,
Verzeih, Liselotte,
's ist Reinmachen heute. Das ist eine Hatz,
Ach, Liselotte I
wir verbessern grad' ein wenig die Welt,
's muß sein, Liselotte.
Da wird alles auf den Kopf gestellt,
Alles, Liselotte.
Aber morgen ist's bei uns blitzeblank,
Ja, Liselotte,
Die Welt so nett wie ein Puppcnschrank,
Freu' Dich, Liselotte l
Aber, Liselotte, Du weinst doch nicht?
Liebe Liselotte!
Die Welt ist so schlimm wirklich nicht.
Muth, Liselotte!
Gustav Falke.
Zonnlagmorgen
Einem Pädagogen nacherzählt.
?Her Llementarlehrer an der 7. Bezirksschule,
4^6 Moritz Hellriegel, hielt Heuer mit seinen
ganz Kleinen zusannnen sein erstes Examen
ab. Als sie in den großen Schulsaal geführt
wurden, hatten die Knirpse das unbestimmte
Gefühl, daß sie sich an diesem merkwürdig-
feierlichen Tage zum ersten Male in ihrem
Leben in aller Fort» öffentlich blamireu konnten.
Hellriegel hatte von diesem kommenden Zustande
das bestimmte Gefühl, das war so der ganze
Unterschied. Denn blaß waren die Kleinen,
manche fast grünlich, wie die verstaubten Vor-
hänge an den Fenstern des Saales, und Hell-
riegel sah unter seinem schlichtgescheitelien
Haare auch nicht gerade blühend aus, da er
das Podium bestieg.
Zur Rechten im Saale eine Reihe von
Lollegen, die neidlos dem Konimenden cnt-
gegenfahen, hinten an der Wand besorgte
Mütter mit seltsamen Hüten und Schulter-
tüchern.
„wie," sagte sich Hcllriegel, der Roman-
tiker, „solltest Du nicht einen Griff thun in
das iutiinste Seelenlchcn dieser Kinder und
so mit leichter Mühe die Pforten öffnen zu
dieser Stunde?" Und da er die Mütter sitzen
sah in ihrem bangetlden Stolze, stieg ihm ein
Thema ans, das alle Innigkeit des Familien-
lebens umschloß. Und es stand klar geschrieben
vor seiner Seele: Lin Sonutagmorgen in der
Familie. „Der Vater," so jubelte es tu ihm,
«ja der Vater, der ernste, schaffende. der seinem
Tagewerk nachgeht, während sein Knabe zum
ersten Male öffentlich Zeugniß ablegen soll einer
erfüllten, kleinen Pflicht, er soll mir hier als der
beredte Führer dienen."
Und cs wurde Hcllriegel plötzlich ganz leicht
um's Herz, und er beugte sich ein wenig über
das Pult vor und stützte die Ellbogen leicht
auf und legte die Hände zusauitnen und sagte
mit gewinnender Freundlichkeit:
H. Eichrodt (Karlsruhe).
„ Seht, meine lieben Knaben, die Mutter
hat Euch heute Eure schönsten Kleider ange-
zogen und hat Euch einen weißen Kragen vor-
gebunden, und Eure Schuhe sind so blank ge-
putzt, und Jeder hat wohl ein frisches, sauberes
Taschentuch bei sich — ist das nicht, als wäre
es ein Sonntag heute? Ein Sonntag, wo der
Vater nicht zur Arbeit geht, und wo die Mutter
etwas Gutes kocht mit Apfelmus zum Mittag-
essen, und wo Ihr mit den Eltern spazieren
gehen dürft.
Nun wollen wir einmal, weil wir so unsere
schönen Kleider anhabcn, denken, cs sei ei»
solcher Sonntag heute. Und Ihr sollt inir er-
zählen, was Ihr da zu Hause thnt und treibt,
und mit was Ihr Luch beschäftigt, wenn der
Vater bei Euch sitzt. Nun, so erzähle mir ein-
mal, Franz Haferkorn — erhebe Dich hübsch
von Deinem Platze, wenn ich Dich ausruse —
also da steht der Vater früh vielleicht um sieben
Uhr auf, nicht wahr? Und —"
„Nee!" sagt Franz Haserkorn ziemlich ent-
schieden.
„Nun, so sagen wir meinetwegen, er steht
um acht Uhr auf."
„Nee, der schteht »in «eine aufI"
„Also gut, um neun Uhrl Nun, was thnt
er daun?"
Haserkorn schweigt lange.
„Nun, was thnt denn der Vater, wenn
er aufgcstanden ist, und wenn er bei Dir ist?"
„Er wäscht fiel? 1"
„Ja, ja, das müssen wir ja alle thun, das
meine ich nicht. Also wenn der Vater sich
nun gewaschen hat —"
„Dann schimpt'el" unterbricht Haserkorn
den blonden Lehrer.
„Nu aber," lenkt der ein, „der Vater
schimpft ja doch nicht immer!"
„G, ja," versichert Haserkorn, der ganz
aufzuthauen scheint, „dann schimxt'e immer,
da sucht'e seine Schuhe!"
Ls scheint Hellriegel fast rathsam, zu einem
anderen Knaben überzugehen, aber er bemerkt
das unterdrückte Lachen in der Lehrer-Reihe
— einer der jüngeren Lollcgen ist roth wie
ein Krebs und schier den: Ersticken nahe. Das
reizt ihn, ob er nicht doch noch das rechte
„Sesam öffne Dich" finden möge für diese
Kindesseele. Und er wird noch freundlicher,
daß seine Brillengläser eine unendliche Milde
verstrahlen und sagt ZN seinen: kleinen Stoiker:
„Ivenn nun aber der Vater sich gewaschen
hat, und er hat seine Schuhe gesunden, dann
wird er sich vielleicht Dein Schulbuch zeigen
lassen, nicht wahr? (vder er wird mit Dir
zum Fenster hinausschauen, wo die Sonne hell
hereinscheint, oder er geht vielleicht mit Dir
in den Hof binunter, oder auf die Miesen,
oder in den Wald?"
„Nee," sagt Franz Haserkorn, „da kommt
Meithke riewer, da schxieln se sechsunsechzigl"
F. Langheinrich.
Der höfliche Rekrut
Lieutenant (während der Jnstrukiions-
stunde): Schmidt, wer sind Deine direkt Vor-
gesetzten?
Rekrut Schmidt: Meine direkt Vorge-
setzten sind: Herr Major Strecker.. Herr Haupt-
mann Mayr... Herr Premierlieutenant well-
ner.... und Ihre Wenigkeit, Herr Leit'
nant.
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