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1838

JUGEND


Nr. 7

Asinodi

Von (Dtto Ernst

«eber der berühmten Stadt Hamburg lag die
dichte Finsterniß eines regnerischen Oktober-
abends, als ich in schwebender, bebender Herzens-
lust und Herzensangst, sonst aber warm und
wohl geborgen, in einer kleinen Loge des Stadt-
theaters sah. Ich muhte den „Faust" sehen, that
es aber nicht gern. Denn der hat auf der Bühne
nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren. Mich
interessierte auch unendlich viel mehr ein Fläsch-
chen mit Syringenparfüm, das ich verstohlen in
der Hand hielt. Eine» Gegenstand, der der Ge-
liebten gehört, in der Hand halten, ist immer
eine Lust, was auch die Ehemänner dagegen sagen
mögen. In jener Abendgesellschaft, wo sie mir
schkgcgangen war wie Morgenlicht über einer
stimmungslosen Sandwüste, hatte ich ihr das
Flacon gestohlen. Ich hatte während unserer
Unterhaltung damit gespielt und es nachher be-
halten, und sic schien es nicht zu vermissen.

Syringen! Das Paßte so gut zu ihr. Sic
schien Einen auch aus hundert treuen blauen
Augen anzublicken. Sie hatte sicherlich nur zivei
Augen; aber hatte man einmal hinein geblickt,
so sah man überall diese Syringenaugen, wenn
»>an auch auf einen alten Ofenschirm oder aus
hie schwarze Weste eines Oekonomieraths starrte.
So einfach und so reich in ihrer Einsachheit
sind die Syringen, und so weich und duftig,
daß man lange, lange seine Wange hinein-
schmiegt.

Hoheit umhüllte sie ganz. Weih einer,
was Hoheit ist? Nicht die Hoheit mein'
ich, die angenommen und abgelegt werden
kann, sondern Hoheit, die von allem An-
sang her da ist und immer da ist und da
sein wird auch in Niedrigkeit und kümmer-
lichen Leiden. Hoheit, vor der der Rohe
verlegen wird und dem Cyniker seine eige-
nen Witze schal erscheinen . . .

Auf der Bühne setzte sich Mephisto in
einem scheußlichen, Franz Moorigen Vor-
stadt-Nasen-Jntrigantentone mit „dem
Herrn" auseinander. Ich floh zu meinem
Fläschchen, drückte die Augen zu, sog be-
gierig den Dust ein und — hörte mit einem
Male einen tiefen Seufzer, der nur aus
dem Fläschchen kommen konnte.

„Holla!" rief ich. „Wer ist da?"

„Ach," klang ein leises Stöhnen aus dem
Fläschchen, „die alte Geschichte! Ich! Asmodi!"

„Ei sieh da!" ries ich. „Und nun möchten
Sie wohl gern wieder heraus?"

^ „Ach ja! Bei der früheren Besitzerin dieses
Fläschchens lvar eS ja recht angenehm; aber
bei Ihnen — das hat wirklich keinen Reiz!"

„Danke. Kann ich mir denken. Aber warum
entweichen Sie nicht durch eines der kleinen
Riechlöcher im Stöpsel?"

„Ich kann nicht an der Schleife vorbei!"
„Nicht an der Schleife vorbei?"

«Nein, betrachten Sic sie recht; sie ist zu
einem Brrrrrrrr.... Ich kann das Wort
nicht aussprechen .... Sie wissen schon ...."

„Ach sieh da! Richtig, sie ist zu einem Kreuz
gebunden. Und nun soll ich wohl die Schleife
lösen?"

„Ich thät recht schon bitten."

„Ja, was wollen Sie denn anlegen für
Ihre Befreiung?"

„Ich werde Sie einen Blick thun lassen
in alle Gehirne der hier Versammelten, Sie
sollen sehen, wag darin vorgeht."

„Famos! Das interessiert mich. Aber
ich werde mich auf Stichproben beschränken;
denn das Menschengeschlecht ist reich an lang-
weiligen Wiederholungen."

Trente et Quarante

IO)

Fritz Erler (München).
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Otto Ernst: Asmodi
Fritz Erler: Trente et Quarante
 
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