1898
JUGEND
Nr. 8
Abbildung 5: „Avc Maria." Bauern-Genre mit etwas
Chiemsee. Geradezu genial ist die Ummalung der Tischdecke in
einen Düngerhaufen, auf dem Hühner picken. Rlcincr Seitcnhicb
auf die moderne Ru »st! Das sch' ich gerne bei meinen Schülern.
Die nächste Abbildung: „Versuchung," erklärt stch selbst.
Aus der Draperie ist ein Sankt Antonius geworden, aus Figur
No. J der Satan, aus Figur No. 2 schLne Tcufclinl — Arbeit
No. S stellt den „Odysseus bei den Sirenen" dar, die Glanz-
leistung des Cyclus und zugleich jene Arbeit, die am Meisten für
die Brauchbarkeit meines Systems spricht, was sagen Sic nun?
Für die nächsten sechs Monate hat mein Schüler Angclo
folgende Themata auf: „Friedrich der Große und Voltaire,"
„Fürst Bismarck hält die Scptcnnatsredc," „Aobinson Crusoe
und der Neger Freitag," „die Einweihung des Rcichstagsgcbäudcs,"
„Ranzlcr Leist verbreitet in Ramcrun die Lultur" und „die Er-
findung der Buchdruckcrkunst." Hat mein Schüler diese Aufgaben
siott und frei herunter gemalt, dann wird er losgesprochen und
kann sein eigenes Geschäft aufmachcn als Historienmaler und gibt
künftig mal einen tüchtigen Professor ab.
Sehen Sie, so bringt man den Jungen« die Runst bei!
Aber in den waschlappigen Individualitätsduscl soll ein
heiliges Rrcuzdonncrwctter fahren. Hat sich was: Individualität!
„Staatsaufträge!" heißt die Parole und dazu kann man den
Schwindel nicht brauchen! ^ ^
pietschke,
frcircsignirrer wachrmciftce u. kgl. nordischer Akademie-Direktor.
-cr&&&ro-
Sittlichkeit von Oben
Eine magere Betrachtung mit fetten Wahrheiten von Spahn.
"VXTenn man sagt, der Glaube sei es, der selig macht, so soll das
* * ja nicht so aufgefasst werden, dass der todte Glaube ohne
das richtige Sittlichkeits-Gefühl für den Menschen genüge. Das
Geschrei der Verdammten im Centrum der Hölle, wo die Lüder-
lichen brennen ohne irgendwelchen Trost und Hoffnungsschimmer,
sollte den Gläubigen zur ehrlichen Einkehr in sich selbst bringen
und ihm klar werden lassen, welches Unheil schon dem blossen
unsittlichen Gedanken und verführerischer Darstellung des Sinn-
lichen entspringt. Das ist einfach nackte Thatsache, dass Mancher
nicht vom rechten Wege fiele, würde von den Herren Eltern,
Vormündern und Lehrern schon den Kindern ja recht deutlich
gemacht, was gut und böse ist. Aber hier geschieht zu wenig
und die Sittlichkeit muss von oben sozusagen obligatorisch gemacht
werden,-wie das Impfen und der Schulbesuch. Und wenn die
Schlechten auch im Kampf affenartige Gewandtheit zeigen,- und
unsere reinen Beweggründe verdächtigen, die Tugend kommt,
wie schon St. Johann Nepomuck erwähnt, sicher zum Siege und
wenn ein • ehrliches Wollen der staatlichen Gewalt und ihrer
Organe für das Gute Partei ergreift, so wird unsere Nation den
Nimbus des biedersten, tugendhaftesten Mustervolkes bald trotz
allen Kampfes der Hölle sich gesichert haben. Man muss aber
auch uns Spezialisten für Tugend und Sitte die Waffen ver-
leihen, die wir brauchen und um das zu erreichen, ist ein Ge-
setz nothwendig, das jenen nach und nach jedes Mittel nimmt,
mit welchem sie gegen unser gutes Recht streiten. Namentlich
ist es auch das moderne Kunstleben, welches mit der Heuchelei,
das Schöne darzustellen, die Brunnen vergiftet, aus welchen die
Streiter der Kirche ihre Kameele tränken. Die lex Heinze sei
eine Waffe gegen die, welche unter dem Vorwände, liberal zu
denken, aus dem Volke nur die Religiosität eliminiren wollen
und dahinter halten sich die Mächte des Satans versteckt. Wollen
wir diese als Biedermänner bezwingen, so müssen Paragraphen
her,' die jeden Verführer an der freien Ausübung seines schänd-
lichen Gewerbes hindern; ein Mann, der es mit dem Staate gut
meint, muss den Muth haben, unter unser Programm sein Siegel
zu drücken und die wahre Sittlichkeit wird dann keine Kunst
der Hölle mehr vernichten können. Es ist schwer, aber es muss
eben gelingen und für die gute Sache werden, wenn auch den
frommen Jesuiten durch ein unerhörtes Vorgehen ein fruchtbarer
Feldzug gegen Luzifer auf deutschem Boden unmöglich gemacht
ist, von allen andern Streitern der Kirche gewaltige Thaten vor-
bereitet werden. Dass sich dann der Himmel freue über Alle,
die sich für die deutsche Nation so verdient gemacht haben,
namentlich die Herren Reichstagsabgeordneten, die für die lex
Heinze stimmen, die Behörden selber u. s. w. ist gewiss. Es werden
schöne, gesunde Verhältnisse sich dabei entwickeln und kein
Billiger wird ohne Vergnügen Zusehen, wie die Nation an Körper
und Geist erstarkt. Versagen wir es uns, in christlicher Milde
ein entrüstetes „Pfui!“ Jenen zuzurufen, die dem Teufel der Un-
sittlichkeit, wie man den Dämon der modernen Jugend wohl nennen
kann,*dienen. Man lebe so, dass auch der Schein jeder unlauteren
Absicht vermieden wird, dann wird Jedem die Sache, die wir ver-
treten, erspriesslich, nützlich, ja heilig sein! Amenl
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JUGEND
Nr. 8
Abbildung 5: „Avc Maria." Bauern-Genre mit etwas
Chiemsee. Geradezu genial ist die Ummalung der Tischdecke in
einen Düngerhaufen, auf dem Hühner picken. Rlcincr Seitcnhicb
auf die moderne Ru »st! Das sch' ich gerne bei meinen Schülern.
Die nächste Abbildung: „Versuchung," erklärt stch selbst.
Aus der Draperie ist ein Sankt Antonius geworden, aus Figur
No. J der Satan, aus Figur No. 2 schLne Tcufclinl — Arbeit
No. S stellt den „Odysseus bei den Sirenen" dar, die Glanz-
leistung des Cyclus und zugleich jene Arbeit, die am Meisten für
die Brauchbarkeit meines Systems spricht, was sagen Sic nun?
Für die nächsten sechs Monate hat mein Schüler Angclo
folgende Themata auf: „Friedrich der Große und Voltaire,"
„Fürst Bismarck hält die Scptcnnatsredc," „Aobinson Crusoe
und der Neger Freitag," „die Einweihung des Rcichstagsgcbäudcs,"
„Ranzlcr Leist verbreitet in Ramcrun die Lultur" und „die Er-
findung der Buchdruckcrkunst." Hat mein Schüler diese Aufgaben
siott und frei herunter gemalt, dann wird er losgesprochen und
kann sein eigenes Geschäft aufmachcn als Historienmaler und gibt
künftig mal einen tüchtigen Professor ab.
Sehen Sie, so bringt man den Jungen« die Runst bei!
Aber in den waschlappigen Individualitätsduscl soll ein
heiliges Rrcuzdonncrwctter fahren. Hat sich was: Individualität!
„Staatsaufträge!" heißt die Parole und dazu kann man den
Schwindel nicht brauchen! ^ ^
pietschke,
frcircsignirrer wachrmciftce u. kgl. nordischer Akademie-Direktor.
-cr&&&ro-
Sittlichkeit von Oben
Eine magere Betrachtung mit fetten Wahrheiten von Spahn.
"VXTenn man sagt, der Glaube sei es, der selig macht, so soll das
* * ja nicht so aufgefasst werden, dass der todte Glaube ohne
das richtige Sittlichkeits-Gefühl für den Menschen genüge. Das
Geschrei der Verdammten im Centrum der Hölle, wo die Lüder-
lichen brennen ohne irgendwelchen Trost und Hoffnungsschimmer,
sollte den Gläubigen zur ehrlichen Einkehr in sich selbst bringen
und ihm klar werden lassen, welches Unheil schon dem blossen
unsittlichen Gedanken und verführerischer Darstellung des Sinn-
lichen entspringt. Das ist einfach nackte Thatsache, dass Mancher
nicht vom rechten Wege fiele, würde von den Herren Eltern,
Vormündern und Lehrern schon den Kindern ja recht deutlich
gemacht, was gut und böse ist. Aber hier geschieht zu wenig
und die Sittlichkeit muss von oben sozusagen obligatorisch gemacht
werden,-wie das Impfen und der Schulbesuch. Und wenn die
Schlechten auch im Kampf affenartige Gewandtheit zeigen,- und
unsere reinen Beweggründe verdächtigen, die Tugend kommt,
wie schon St. Johann Nepomuck erwähnt, sicher zum Siege und
wenn ein • ehrliches Wollen der staatlichen Gewalt und ihrer
Organe für das Gute Partei ergreift, so wird unsere Nation den
Nimbus des biedersten, tugendhaftesten Mustervolkes bald trotz
allen Kampfes der Hölle sich gesichert haben. Man muss aber
auch uns Spezialisten für Tugend und Sitte die Waffen ver-
leihen, die wir brauchen und um das zu erreichen, ist ein Ge-
setz nothwendig, das jenen nach und nach jedes Mittel nimmt,
mit welchem sie gegen unser gutes Recht streiten. Namentlich
ist es auch das moderne Kunstleben, welches mit der Heuchelei,
das Schöne darzustellen, die Brunnen vergiftet, aus welchen die
Streiter der Kirche ihre Kameele tränken. Die lex Heinze sei
eine Waffe gegen die, welche unter dem Vorwände, liberal zu
denken, aus dem Volke nur die Religiosität eliminiren wollen
und dahinter halten sich die Mächte des Satans versteckt. Wollen
wir diese als Biedermänner bezwingen, so müssen Paragraphen
her,' die jeden Verführer an der freien Ausübung seines schänd-
lichen Gewerbes hindern; ein Mann, der es mit dem Staate gut
meint, muss den Muth haben, unter unser Programm sein Siegel
zu drücken und die wahre Sittlichkeit wird dann keine Kunst
der Hölle mehr vernichten können. Es ist schwer, aber es muss
eben gelingen und für die gute Sache werden, wenn auch den
frommen Jesuiten durch ein unerhörtes Vorgehen ein fruchtbarer
Feldzug gegen Luzifer auf deutschem Boden unmöglich gemacht
ist, von allen andern Streitern der Kirche gewaltige Thaten vor-
bereitet werden. Dass sich dann der Himmel freue über Alle,
die sich für die deutsche Nation so verdient gemacht haben,
namentlich die Herren Reichstagsabgeordneten, die für die lex
Heinze stimmen, die Behörden selber u. s. w. ist gewiss. Es werden
schöne, gesunde Verhältnisse sich dabei entwickeln und kein
Billiger wird ohne Vergnügen Zusehen, wie die Nation an Körper
und Geist erstarkt. Versagen wir es uns, in christlicher Milde
ein entrüstetes „Pfui!“ Jenen zuzurufen, die dem Teufel der Un-
sittlichkeit, wie man den Dämon der modernen Jugend wohl nennen
kann,*dienen. Man lebe so, dass auch der Schein jeder unlauteren
Absicht vermieden wird, dann wird Jedem die Sache, die wir ver-
treten, erspriesslich, nützlich, ja heilig sein! Amenl
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