1898
- JUGEND -
Nr. 11
Gestalten umschlossen, ein schlankes halbkindliches Ge-
schöpf, dem ein langer, brauner Zopf, eine Schleife
bildend, über die Schulter nach vorn geglitten war.
Die rechte Hand mit ausgespreizten Fingern flach auf
die Bank gestützt, hielt sie den (Oberkörper vorge-
beugt; der blasse Mund öffnete sich leicht, erwartungs-
voll, in einer Ungeheuern ängstlichen Verwunderung und
die runden, hellbraunen Augen suchten das Gebüsch zu
durchdringen, hinter dem die Musik hervorscholl, „wer
bist Du?" fragte dieser Blick, „was willst Du von mir?
weshalb suchst Du mich — wem Hab ich etwas gethan?"
Und plötzlich sprang der Blick zur Seite und traf
gerade in den des jungen Mannes. Das hilflose Staunen
schien sich noch zu steigern, bis zum Schrecken. Einen
Moment lang blieb das junge, klare Gesicht erstarrt.
Dann aber trat Leben hinein, neues Leben. Die blassen
Rinderwangen blühten mit einein Mal in einem weichen,
feinen Rorh; auf sie nieder senkten sich die Wimpern
und lagen in zwei zarten, dunklen Festons auf der durch-
sichtigen Haut. So saß sie unbeweglich. Bis ein neuer,
scheuer Blick nach dem Bronzckopf neben inir herüber-
huschte und das liebliche Spiel der Wimpern sich wieder-
holte — immer von neuem . . .
Das Lied verstummte. Secundenlang lag der Garten
in Schweigen. Dann drang das erste Lachen aus einer
der Grotten, ein fremder, harter Laut — und nun
schwirrte wieder das Geschwätz und Gelächter um die
Büsche, als wäre nichts gewesen.
Zwei der Frauen hatten sich erhoben; nur die jüngste
saß noch traumstarr, wie zuvor. „Thea —1" mahnte
die älteste mit leiser, tiefer Stimme. Sofort stand das
Mädchen auf und schritt, ohne noch einmal herüber-
znblicken, neben den anderen hinweg. Das schwarze
Gebüsch schob sich hinter den drei Gestalten zusammen.
Auch unser junger Freund hatte sich langsam erhoben.
Und jetzt ging er mit stummem Gruß von uns.
keonie Me^erhof-Hilbeck.
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Nr. 11
Gestalten umschlossen, ein schlankes halbkindliches Ge-
schöpf, dem ein langer, brauner Zopf, eine Schleife
bildend, über die Schulter nach vorn geglitten war.
Die rechte Hand mit ausgespreizten Fingern flach auf
die Bank gestützt, hielt sie den (Oberkörper vorge-
beugt; der blasse Mund öffnete sich leicht, erwartungs-
voll, in einer Ungeheuern ängstlichen Verwunderung und
die runden, hellbraunen Augen suchten das Gebüsch zu
durchdringen, hinter dem die Musik hervorscholl, „wer
bist Du?" fragte dieser Blick, „was willst Du von mir?
weshalb suchst Du mich — wem Hab ich etwas gethan?"
Und plötzlich sprang der Blick zur Seite und traf
gerade in den des jungen Mannes. Das hilflose Staunen
schien sich noch zu steigern, bis zum Schrecken. Einen
Moment lang blieb das junge, klare Gesicht erstarrt.
Dann aber trat Leben hinein, neues Leben. Die blassen
Rinderwangen blühten mit einein Mal in einem weichen,
feinen Rorh; auf sie nieder senkten sich die Wimpern
und lagen in zwei zarten, dunklen Festons auf der durch-
sichtigen Haut. So saß sie unbeweglich. Bis ein neuer,
scheuer Blick nach dem Bronzckopf neben inir herüber-
huschte und das liebliche Spiel der Wimpern sich wieder-
holte — immer von neuem . . .
Das Lied verstummte. Secundenlang lag der Garten
in Schweigen. Dann drang das erste Lachen aus einer
der Grotten, ein fremder, harter Laut — und nun
schwirrte wieder das Geschwätz und Gelächter um die
Büsche, als wäre nichts gewesen.
Zwei der Frauen hatten sich erhoben; nur die jüngste
saß noch traumstarr, wie zuvor. „Thea —1" mahnte
die älteste mit leiser, tiefer Stimme. Sofort stand das
Mädchen auf und schritt, ohne noch einmal herüber-
znblicken, neben den anderen hinweg. Das schwarze
Gebüsch schob sich hinter den drei Gestalten zusammen.
Auch unser junger Freund hatte sich langsam erhoben.
Und jetzt ging er mit stummem Gruß von uns.
keonie Me^erhof-Hilbeck.
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