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Nr. 19

JUGEND

1893

Der Reformator

„Wenn ich der Fürst dieses Ländchens
wäre, wie schnell wollte ich alles soziale Elend
für »icine Unterthanen ans der Welt geschafft
haben I Da ich aber kein Fürst bin, möchte
ich wenigstens der Freund des Fürsten sein
und als dieser meine weltbeglückenden Pläne
verwirklichen. Das wäre auch ein Ziel, auf's
dringendste zu wünschen."

Diesen Monolog hielt Kasimir im fürst-
lichen park, dessen Besichtigung ihm auf eine
schriftliche Eingabe hin das Gberhostnarschall-
amt in Gnaden gestattet hatte.

Dann sah er den Kiesweg herauf einen
perrn wandeln.

An der hoheitsvollen Art, wie dieser seinen
put abnahm und sich mit dem Mittelfinger
den Kopf kratzte, erkannte er sofort den Fürsten.

Kasimir verbengte sich zehnmal hinter-
einander und zwar jedesmal wieder ein bis-
chen tiefer. Das gefiel dem hohen perrn, denn
er hatte Zutrauen zu Leuten, welche diese Art
von Bauchgymnastik trieben. Er trat an Ka-
simir heran und fragte ihn mit jener Leut-
seligkeit, die ihm besser gekleideten Unterthanen
gegenüber eigen war:

„wie gefällt Ihnen mein park?"
„Großartig, DurchlauchtI Man vergißt in-
mitten dieser Pracht fast ganz auf alles Elend,
welches — da draußen vorkommt I"

„Aha," sagte der Fürst, „Sie beschäftigen
sich wohl auch mit der sozialen Frage. Man
hört ja von nichts Anderen: mehr — ich hab's
schon bis da herauf."

Durchlaucht deutete auf ihren weißen pemd-
kragen.

„Sire 1" sagte jetzt Kasimir, ganz Marquis
Posa, „lösen Sie einfach die soziale Frage in
Pöchst- Ihrem Reiche, und es wird Niemand
mehr von ihr zu reden wagen."

Das unerhört kühne Wort war gesprochen.
Kasimir machte sich wegen seines Freimnths
auf ein Jahr Festung gefaßt.

Aber Se. Durchlaucht war nicht im Min-
desten erregt, sondern fragte kühl:

„Na, mein Lieber, nach welchem Rezept
würden Sie denn die Sache machen?"

wie ein Regenstrom aus Felsenriffen brach
es jetzt aus dem Gehege von Kasimir's Zähnen:
„Ich würde mir von meinen Kammern
jährlich etliche Millionen zur vortheilung unter
die Aermsten des Landes bewilligen lassen; ich
würde die Gemeinden zur Vornahme von Ar-
beiten veranlassen, die jedem Unterthanen sein
Recht auf Arbeit sicherten; ich würde durch
ein Gesetz die Unternehmer zn den ausgedehn-
testen Wohlfahrtseinrichtungen für ihre Ar-
beiter zwingen; ich würde den Luxus zu Gun-
sten der Besitzlosen besteuern; ich würde..."

Pier unterbrach der Fürst den Redner.
Für Kasimir war das gut, denn er wollte
eben dein Fürsten rathen, seinen Pofstaat da-
von zu jagen und die Betriebskosten für etwas
Besseres zu verwenden, die theneren pofjagden
auf- und einer gewissen kostspieligen Tänzerin
den Laufpaß zu geben. Patte Kaftm.r das
ausgesprochen, so hätte ihm der Fürst den
Rücken gekehrt und wäre indignirt abgegangen.
So aber sagte der Landesvater:

„Gut, sehr gut. Sie sind von heute ab
mein Freund und Günstling. Ihren Namen
und Ihre Adresse können Sie wir mal ge-
legentlich ausschrciben. Sehen Sie, . der alte
perr, der dort naht, ist mein Minister. Er
kommt, um mir Vortrag zu halten. Befehlen
Sie ihm, was Sie für gut halten. Pier ist
mein Siegelring, als Zeichen, daß ich Ihnen
alle Macht übertrage."

Militärisch grüßend schritt der Fürst von
dannen. Kasimir aber ging dein alten Minister
erhobenen Pauptes entgegen und wies ihm
den Ring vor. Der Minister ließ sich, wie die
Etikette verschreibt, auf ein Knie nieder und
küßte den Ring dreimal.

„Dieses Zeichen, —" begann Kasimir zu
erklären.

„Ich weiß", sagte der Minister, immer noch
mit gekrümmtem Rücken, „und erwarte Ihre
Befehle."

Kasimir versank in Nachdenken. Sollte er
schon heute mit der Lösung der soziale» Frage
beginnen? Vder hatte das Zeit bis morgen?
Am Ende konnte man doch vorerst noch ein
Bischen vom pofleben profitiren.

„Meine Befehle?" erwiderte er. „Gut,
alter perr, die sollen Sie haben. Ich möchte
wirklicher Geheimrath werden und Ihre säinmt-
lichen Grden kriegen. Meinen Papa können
Sie zum Großsiegelbemahrer machen, meinen
Bruder zum Forstrath, denn er geht gerne auf
die Jagd; meinem tvnkel Gabriel, der ein
wenig verbummelt ist, geben Sie vielleicht die
Stelle eines Schloßinspektors, und mein Vetter-
Max, das Rhinozeros, wäre selig, wenn Sie ihn
auch nur in den kleinsten Adelsstand versetzte»,
was die Damen der Familie angeht..."

„Entschuldigen Sie, mein perr — Lxcellcnz!
wollte ich sagen, mein Gedächtniß ist nicht sehr
stark. Ich will Se. Durchlaucht einstweilen
über diese wünsche berichten, paben Sie die
Gnade, mich hier zu erwarten."

Er ging. Nach einer Viertelstunde kam er
wieder mit einem pandschreiben des Fürsten
an Kasimir. Darin stand:

„Mein Lieber! von solchen Reformatoren,
wie Sie, habe ich das ganze Land voll. Aber
was die können, kann ich selber. Geben Sie
dem Ueberbringer den Ring zurück »nd sehen
Sie sich meinen park mal von draußen an.
Da ist er auch nicht übel."

Pin und wieder war Se. Durchlaucht nicht
ohne Witz. rn«x lZirschfeld.

Mit dem Eselskinnback

V. Zwischenspiel

Urthcil dev Welt

And als ich weinte, rvard ich schwach

gescholten:

And rvar doch -Kraft, die mir im Musen rang!
Nun. trocknen Auges, Hab' ich starb gegolten,
— A>o sich so leicht des Herzens

Leere z rv a n g!

Höchste Kunst

Handeln, o ja! Nur eins, rvas ich

höher noch zähle,

Wenn die Geschiebe Dich narrten:

Warten heißt es; — kampszitternd mit

. . . Warten!

blutiger Seele

Räuber Schicksal

Die Liebe beut Dir ihre Funbeigaben,

Der Wahnsinn kreischt: Du mußt sie haben! -
Das Schicksal aber, mit kaltem Hohn,

. . . Trügt sie mitten davon! —

Ichsucht

Daß ich ein Egoist, — wen kann es stören?
Da Tausende zu meinem Ich gehören!

Namenlos

keinem Ismus zählt mich bei,

Der sich nie dem Wort verkaufte.
Monsieur Namenlos, — es seil
War von je für'» Angetanste!

Mein Ruhm

Mein Nuhm, daß ich bei andrer

leichten Siegen

Geschwiegen.

Mein Stolz, daß ich, wo die sich still

verkrochen,

Gesprochen.

„Märtyrern"

Nur Andank euer Lohn? — Ihr seid bezecht!
Schuft ihr um Dank, . . . geschieht'»

euch völlig recht!!

Simm cuique

Dein Feigen gönn' ich'« von Herzen,

wenn er entgangen.
— Er iveiß ja doch mit dem Sterben

nichts anznfangen!

&

Ls reitet ein Zug.

Lin Märchen.

reitet ein Zug über die weite ebene,
W und die Ebene glitzert von Thau und
dampft in der Sonne.

Und alle Leiter neigen sich vor im Sattel
und starren voraus, in die Zerne nach dem
Ziel, nach der großen Stadt mit den gol-
denen Thürmen, die man weit, weit draus-
sen erblickt und die man erreichen muß,
ehe die Sonne sinkt.

Seht den seltsamen Zug!

wilder und wilder stürmen sie dahin,
hört, wie die Lrde stöhnt unter dem Huf-
schlag der Rosse, wie die Mähnen und

;i6
Index
Max Hirschfeld: Der Reformator
Fritz Erler: Zeichnung ohne Titel
Johan Bojer: Es reitet ein Zug
[nicht signierter Beitrag]: Mit dem Eselskinnback V.: Zwischenspiel
 
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