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1898

JUGEND

Nr. 19

21 Itter Tod Hellmut Eichrodt (Karlsruhe).

Schweife der Thicre und das Haar der
Reiter durch die Luft saufen, wie die
Augen nach der goldenen Stadt starren
und starren, nach dem Ziele, nach der Er-
lösung, ja einige strecken sogar ihre Hand
vor, als wenn das den Ritt beschleunigen
könnte.

Da liegt ein Garten im Wege — der
Zug umreitet ihn nicht, er sprengt über
das Gatter, und Blumen und Blätter
werden von den Eisenhufen der Rosse in
die Luft geschleudert. Vögel singen auf
jedem Baum, niemand hört sie; Sommer-
glanz liegt über allem, niemand sieht es.

Das Pferd eines Weibes trabt müde,
es kann nicht mehr; bleich streckt das
Weib seine Hände nach dem Manne neben
ihr aus — er sieht sie nicht; sie wirft das
Roß herum nach der andern Seite hin-
über, zu ihrem Sohn — er schiebt sie fort,
er starrt nur gerade aus, alle starren ge-
rade aus, niemand merkt, daß sie über
ein jammerndes Weib hinwegreiten.

Weiter, nur weiter vorwärts, einer nach
dem andern fällt ab, Alt und Jung, aber
keinem wird geholfen; der Vater reitet
über den Sohn hinweg, die Mutter über
das Kind — der Bruder über die Schwester,
— unaufhaltsam, unaufhaltsam vorwärts I

Und die Sonne steigt zur Mittagshöhe,
die Rosse beginnen zu stürzen, eines nach

dem andern, dünner und dünner werden
die Reihen des seltsamen Zuges.

Und hinten über der Ebene wird es
schwarz von all' den Pferdebeinen, die sich
in die Luft hinaufkrümmen und in den
letzten Zuckungen strampeln, während die
hilflosen Reiter voll Verzweissung Klagen
und den Glücklichen nachstarren, die noch
Hoffnung haben, die noch dahinjagen
können, der Erlösung entgegen zur
goldenen Stadt.

Aber in dem reitenden Zug spürt man,
daß die Sonne bereits im Riedergang,
unaufhaltsam, unerbittlich, und sie hören
das Getrappel zweier Reiter weit hinter
sich, und sie dürfen sich nicht umsehen, sie
wissen, wer es ist sie wissen: es ist das
Dunkel und die Rächt.

Und wilder und wilder flüchtet der Zug,
denn drinnen in den Mauern der Stadt
ist es licht und friedlich, und sie müssen
sie erreichen, bevor die Sonne untergeht.

Und näher und näher kommt die Stadt,
und ein einzelner Ritter sprengt plötzlich
aus der Reihe hervor und bleibt voran;
mehr und mehr läßt er die andern hinter
steh zurück, und er erhebt sich jubelnd im
Sattel, und er starrt voraus, und seine
Augen leuchten bereits vor Siegeslust.
Run sieht er die hohen Thore, nun hört
er die Glocken läuten aus den Thürmen

der Stadt, nun erblickt er die jungen,
weißgekleideten Zungsrauen auf den Wäl-
len — hei, vorwärts! Vorwärts! Roch
ist die Sonne nicht unter, und sein Roß
wird die letzten Schritte schon noch aus-
halten, er spornt es immer heftiger an;
aber nun bemerkt er auch, daß er allein
ist, die beiden seltsamen Reiter haben sein
Gefolge bereits erreicht; nun hört er ihr
Hufgetrappel hinter sich, sie verfolgen auch
ihn, doch er muß errettet werden.

Vorwärts! Vorwärts!

Run müssen sie ihn schon in der Stadt
hören, er ergreift sein Horn, um eine
Siegesfanfare zu blasen — sieh, da will
das Horn nicht erklingen, seine Brust ver-
mag keine Töne mehr hervorzubringen.

Und sieh! Run strauchelt auch sein
Roß und stürzt vornüber zu Boden, aber
der Reiter springt auf und eilt davon,
weiter hin zum Thore, er hört das Huf-
getrappel sich nähern, und er weiß, wer
es ist, er eilt und ruft der Wache zu;

„Schließ auf! Schließ auf! Rette mich,
erlöse mich! Zeh bin ein Wanderer, der
verfolgt wird! Schließ auf!"

Und er sinkt auf die Knie und streckt
die Hände aus, und er steht, wie die Wache
sich dem Thore nähert, um aufzuschließen.

Da geht die Sonne unter!

I„l>»ii Bojer.

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Hellmut Eichrodt: Riter Tod
 
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