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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 19 (7. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3337#0322

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1898

JUGEND

Nr. 19

fitt öen Keich§tag

(1893—1898)

Hn Abschiedslied —I

Das sollte traurig sein,
su grauen Tagen und zu Thräuen stimmen,
lud über Dorn und Hecken sollt' es schwimmen
Langsam und müd, den weißen Fäden gleich,
(sin durch des Herbstes kühles Königreich.

Heut ist es Frühling: jung und grün die Saat,
schon wandeln Buhlen auf versteckten Pfaden,
sind wir sind fröhlich, weil ein Abschied naht,
Er naht für Euch, Ihr Herrn von Unfern

Gnaden I

Fünf Jahre lang in Macht und Herrlichkeit,
Nun ist's vorbei — zu Ende ging die Zeit.

Zu neuen Kämpfen wird das Schwert geschliffen
Und unsrer Sehnsucht großer Ruf erschallt —
O diese Sehnsucht habt Ihr nie begriffen.
Wir wollten Männer, aber Ihr war't alt!
Das Alter friert; legt Scheite nach im Ofen,
Wärmt Euch daheim, doch kehrt uns nicht

zurück —

Es ist ein Zorn im Marschtritt meiner Strophen,
Und also geig' ich Euch das Abschiedsstück:

O Deutscher Reichstag, denkst Du noch der Zeit,
— Es ist manch Jahr darüber hingegangen —
Als Deine Worte durch den Erdkreis klangen
llnd unsre Herzen wurden weit?

Wie Feuergarben schlug es oft empor,

Die Fenergarben trieb der Sturmwind weiter,
Es stritt da droben ein gewalt'ger Streiter,
Der schrieb Europa die Gesetze vor!

Von seinem Geiste ward auch uns ein Hauch,
Der Marsch ging vorwärts, ging zu großen

Zielen,

Schlicht war der Saal nur, drin die

Würfel fielen,

Doch unser Stolz — er war es auch!

Run steht ein Haus in Gold und Marmorpracht,
Die Kuppel glänzt ins junge Grün der Bäume,
Es haben täglich unsre kühnsten Träume
Den Bau behütet und bewacht.

Es sollt' ein Tempel deutscher Größe sein
llnd unsrer Zukunft goldue Schmiede,

Die hämmert' frisch zu einem neuen Liede,
Doch groß wie je, ins Morgenroth hinein,
llnd heut, und jetzt — ? O edle Kumpanei!
Fünf Jahre lang die gleiche Schwefelei!

Kaum ist das eine Rädchen abgeschuurrt,
Flugs hat ein zweites sich mit ihm verkettet,
Das Kapitol ist wieder mal gerettet,

Doch Eures Volkes Jugend murrt.

Jawohl, sie murrt! Demi sie will Thaten sehn,
Ihr Herz erzittert beim Triumph der Pfaffen
llnd Eurem Reden, Eurem Schassen;

Sie ruft ihm Trutz, sie wird es nie verstehn!
Was ist uns Rom, an das derPfaff' sich hängt?
O wir sind fertig mit dem alten Wahne!
llns lockt auch nicht die rothe Znkunftsfahne,
An die sich scheu der Geistig-Arme drängt I

Auch Du dort drüben, BörsemJnfantrie,

Es ist Dein Klagelied vergebens,

Es bleibt das Schlußwort unsres Lebens:

Ein Krümerstaat wird unser Deutschland nie!
Drum zieht allein auf Eure Tempelwacht,
Ihr letzten Stumpe frührer Säulenpracht I
Engbrüst'ge Söhne einer großen Zeit,

Der Zeit des Sturms, der Zeit der Barrikaden,
Wie trippelt Ihr so fein nun auf den Pfaden
Der unentwegten Biederkeit!

Was wollt Ihr mehr? Was einstmals

Aehren waren,

Sie reiften längst und reiften stolz und froh,
Run drescht Ihr sie seit fünfzig langen Jahren
llnd drescht seit dreißig faules Stroh!

Ihr war't einst jung, doch nun sind wir

die Jungen,

Ihr redet uns mit fremden Zungen.

Wir wissen nichts von Achtundvierzig mehr,
Ein neues Lied erscholl an unsrer Wiege,
Das stürmt auf Bergen und das braust am Meer,
Das mächt'ge Lied der deutschen Siege!
Vernahmt Jhrs nicht? Die Zeit wuchs

riesengroß,

Wie Waffen klirrt's und schwanger ward

ihr Schooß,

Ihr aber schlieft, Ihr wurdet eng und schmächtig,
Euch lehrte nichts des Lebens goldnes Buch,
Doch unsre Kindheit überflog schon mächtig
Das schwarzweiß rothe Fahnentuch!

Dem sind wir treu! llnd treu in Tod und Leben,
Der uns des Reiches Glück und Kraft gegeben!
Schwarzrock, hör zu, — paß Achtung,

Bruder Pole,

Ihr rochen Shlipse, wackelt nicht:

Eisern der Mann, und eisern die Parole,
Ihr kennt sie wohl und kennt sie nicht!

O größter Deutscher, brauch ich D i ch zu nennen?
Es soll Dein Name uns im Herzen brennen!
In Deinem Zeichen fiel der Sieg uns zu,

O segne Du auch heute unsre Schwerter,

Sie schlagen gut, — Schloßherr von

Friedrichsruh I

Von Friedrichsruh — ? Hei wie der Krähenflug,
Der sich ins Thal zu niedren Wipfeln trug,
In jäher Furcht die Federn sträubt und zittert,
Wie er sich duckt, wenn er den Adler wittert!
Was gilt's, Ihr Herrn: Es wird Euch bang

zu Muth,

Ihr schlagt das Kreuz: Maria, hilf uns. Amen!
Wie Schuld beklemmts Euch bei denr

Einen Namen,

Ihr kennt die Fänge dieses Adlers gut!

Der trug sein Haupt längst aus Parteienstreit
Zu Sonnenhöhen der Unsterblichkeit.

Er hieß sein Volk der Völker erstes sein,

Riß uns empor ans steilen Siegesbahnen,

Tief neigte sich der Erdkreis unseru zahnen
llnd Gott im Himmel sah darein!

Wie Jubelsturm schlägt es zu ihm hinan — _
Da fi’CiQ ich, Neichötag, was hast D u geil)an?

Du weißt es wohl! Doch denken wir noch scheu
An jenen Tag, den Tag voll Schmach und

Schmerzen,

Dann zuckt die Faust, dann grollen unsre

Herzen,

Und alte Wunden bluten neu.

Für alle Zeiten bist Du angeklagt:

Hast unserm Größten Ehr' und Gruß versagt!

O glaub' nur nicht, daß wir es je vergessen,
Du hast das Maß Dir gar zu voll gemessen!
Wenn unser Grab sich einst geschlossen schon
Es bleibt der Schandbrief ewig unzerrissen,

Laß geh'n die Zeit! Der Vater sagts dem Sohn.
Und auch die Enkel sollen's wissen!

An Fürsten Undank sind wir längst gewöhm,
Doch Ihr seid Unser, seid erwählte Sprecher,
Euch richten wir, Euch nahen wir als

Rächer,

Denn unsre Herzen blieben unversöhnt.

Was Ihr auch schafft — es löst kein Ruhm

und Ehr',

Es löst kein Gott von jenem Tag Euch mehr!

Gabt Ihr den Dreizack auch in unsre Faust,
Daß in Gefahr dereinst zu neuen Siegen
Die deutschen Wimpel stolz und freudig fliegen,
Soweit der Sturmwind über Meere braust —
Wir danken's wohl, und hört, wir

dankens gern,

Doch wißt Ihr selbst: es war nicht viel,

Ihr Herrn!

Denn hättet Ihr auch hierin Euch geziert,

Und Euch versteift auf faule Phrasen,

Ein Tänzchen hätten wir riskirt

Und bei dem Tanz Euch in die Luft geblasen!

Der Tanz blieb aus, Ihr lenktet klüglich ein.
Ihr wünschtet selbst ein fromm und

friedlich Ende,

Wir aber heben hoffend unsre Hände:

Mag, was da kommt, nun besser sein!

Denn hört's noch einmal: Euch verstehn

wir nicht!

Wir woll'n das Land durch unfern Ruf

erwecken,

Wo sich der Pflug den Weg durch Schollen

bricht

Und sich zum Himmel unsre Eichen strecken!
Wir warten Deiner, deutsche Bauernkraft,
Brich die Partei, führ uns aus Formelhaft,
Jin neuen Haus laß dröhnen Deinen Schritt,
Bring uns die alten großen Zeiten mit:

Die herbe Kraft von Deiner Heimatserde,

Von Deiner Scholle einen Athemzug,

Daß unser Auge wieder leuchtend werde
Und adlerschwingig unsrer Hoffnung Flug.
Laß unfern Stolz nicht ärmlich stehn

und frieren

Und schreib es kräftig auf ein neues Blatt:
Daß wir der Welt wie einst voran-

marschiren

Und unserVaterlandnoch Männer hat!

Carl Bv.sse.

Julius Diez (München).

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Index
Julius Diez: Zeichnung ohne Titel
Carl Busse: An den Reichstag
 
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