Nr. 20
1898
• JUGEND .
Am Opferstein
Karl Riss (Augsburg).
Frühmorgens
Po» (Bjmilio Vraga.
Ach, Domes Benzens schönste Träume schweben
Ost Dir um's Baupt beim frühsten Morgen-
grau'n,
wenn am Balkon noch tiefe Schatten weben,
Die Vögel kaum zu fingen steh getrau'n.
Dann weint Dein Bcrz vor Glück, wenn ihre
Wange
Dein Mädchen glühend an die Deine legt.
Und trunken wachst Du auf - heim öden Llange
Des Regens, der an Deine Scheiben schlägt!
SaUcv
Pott Iluigi Vlnelll.
Sieh, wie so freudenvoll tanzen sie, schweben sie
lieber dem purpurnen, blühenden Irlce,
Nippen den Morgcnthau, fliehen sich, suchen sich,
Flügel der Liebe, wie Blüthcnschneei
Leben ein Stündlein nur, aber im glänzendsten,
Glühendsten Bauche der sonnigen Lüste,
Zwischen den Becken voll würziger Düfte,
dabcn den Blumenkelch, drin sie geboren,
Dann sich zu Bochzcit und Sterben erkoren.
G, so ein Leben, wie Blitzcsflammcn,
Drin alles Erdcnglück auf Einmal loht,
Und dann im blühenden Thale zusammen
Sterben den seligen Faltcrtod!
Deutsch von Paul Heyse.
An die Trauerweide
Trauerweide, erster Baum,
Der die grünen Wimpel schwingt,
Dem zuerst die Lebenslust
Frisch aus Ast und Zweige dringt, —
Warum nennen sie Dich so,
Den die BlüthensüUe biegt,
Der zuerst im Zrühlingswind
Sich im Zrühlingstanze wiegt?
Schlecht verstehen sie die Kraft,
Die sich spielend niederneigt,
Mt der Hand die Lrde kost,
OTtit dem Haupt den Himmel zeigt.
ivtto Julius Bierbaum.
&
Aus meiner Heimat . . .
Von Carl Busse.
Es bleibt zurück in tiefster Brust wie ein
ewiges Glänzen. Die Wagen rasseln drunten,
das Leben der Grossstadt tost vorüber, es tost
vorüber an Dir schon Jahre und Jahre. Was
thut’s? Horch hinein in Dein Herz — es ist
ein Rauschen darin, wie die Muschel rauscht
nach See und Heimat: Das Rauschen der Wälder,
die Deine Kindheit beschützten, das Rauschen
der Winde, die einst umflogen Dein Vaterhaus.
Ihr macht mich traurig, Kinder der Gross-
stadt. Ihr seid nicht nach den Nestern ge-
klettert in schwanke Wipfel, ihr seid nicht
barfuss und mit blossem Kopfe durch Sonn’
und Wind gelaufen, ihr habt nicht die ersten
Drachen steigen lassen über Brachland und
Stoppeln. Wenn das Abendroth durch die Pap-
peln schien und pfeifend der Schwarm der Staate
aufflog — sasst ihr da auf dem Rücken der
Gäule, ohne Sattel, die Hosen aufgekrempt, und
trabtet fröhlich hinab zur Schwemme? Kennt
ihr, was da blüht und wächst am See und auf
Bergen, habt ihr die Pfauenaugen gejagt über
Federnelken und Lupinen, hocktet ihr Nachts
mit dunklem Netz auf alten Kirchhöfen, bis
die schweren, grossen Falter um’s Seifenkraut
surrten, das gelbe Ordensband von verwitterten
Gewölben her über die blühenden Kräuter flog?
Wir Italiens oft gethan, und die Uhren schnarr-
ten von der Stadt, und auf den zerbröckelten
Steinen standen die Namen der letzten Mönche,
die drüben im Klostör gelebt. Am Grabe des
Priors hab’ ich seltnen Fang gethan, und wo
der junge Bruder Eustachius schlief, blühten
im Frühling die ersten Veilchen. Hinter dem
Pfluge bin ich dreinspaziert mit den Knechten
der Bauern, und die Saatkrähen folgten uns.
Lieber sumpfige Wiesen bin ich gesprungen,
dass die Stiefel vor Nässe quietschten, während
der Kibitz mit erschrecktem Schrei davonfuhr
und die Becassinen in blitzschnellem Fluge
über mir meckerten. Von den Brombeerhecken
am See hab ich die schwarzen Beeren gelesen,
und nur die Eidechsen sahen mir zu und husch-
ten davon mit schlankem, glitzerndem Leibe.
Und wenn ich im Kahn sass, tief verborgen
in Schilf und Rohr, ruhten sich um mich und
über mir die Seejungfern aus, schwirrten in’s
Welte mit den glasigen Flügeln, dass man die
dunkleren Adern sah, und hoch im Blauen zog
der Fischreiher einher, der beutegierige König
der Wässer.
Meiner Heimat Sonne kennt Ihr nicht; mei-
ner Heimat heimliche Schönheit wisst Ihr nicht;
meiner Heimat Wege und Stege seid Ihr nicht
gegangen. Wo kauft’ ich mir ein fröhliches
Herze, wenn sie nicht gewesen? Wenn das
zr8
1898
• JUGEND .
Am Opferstein
Karl Riss (Augsburg).
Frühmorgens
Po» (Bjmilio Vraga.
Ach, Domes Benzens schönste Träume schweben
Ost Dir um's Baupt beim frühsten Morgen-
grau'n,
wenn am Balkon noch tiefe Schatten weben,
Die Vögel kaum zu fingen steh getrau'n.
Dann weint Dein Bcrz vor Glück, wenn ihre
Wange
Dein Mädchen glühend an die Deine legt.
Und trunken wachst Du auf - heim öden Llange
Des Regens, der an Deine Scheiben schlägt!
SaUcv
Pott Iluigi Vlnelll.
Sieh, wie so freudenvoll tanzen sie, schweben sie
lieber dem purpurnen, blühenden Irlce,
Nippen den Morgcnthau, fliehen sich, suchen sich,
Flügel der Liebe, wie Blüthcnschneei
Leben ein Stündlein nur, aber im glänzendsten,
Glühendsten Bauche der sonnigen Lüste,
Zwischen den Becken voll würziger Düfte,
dabcn den Blumenkelch, drin sie geboren,
Dann sich zu Bochzcit und Sterben erkoren.
G, so ein Leben, wie Blitzcsflammcn,
Drin alles Erdcnglück auf Einmal loht,
Und dann im blühenden Thale zusammen
Sterben den seligen Faltcrtod!
Deutsch von Paul Heyse.
An die Trauerweide
Trauerweide, erster Baum,
Der die grünen Wimpel schwingt,
Dem zuerst die Lebenslust
Frisch aus Ast und Zweige dringt, —
Warum nennen sie Dich so,
Den die BlüthensüUe biegt,
Der zuerst im Zrühlingswind
Sich im Zrühlingstanze wiegt?
Schlecht verstehen sie die Kraft,
Die sich spielend niederneigt,
Mt der Hand die Lrde kost,
OTtit dem Haupt den Himmel zeigt.
ivtto Julius Bierbaum.
&
Aus meiner Heimat . . .
Von Carl Busse.
Es bleibt zurück in tiefster Brust wie ein
ewiges Glänzen. Die Wagen rasseln drunten,
das Leben der Grossstadt tost vorüber, es tost
vorüber an Dir schon Jahre und Jahre. Was
thut’s? Horch hinein in Dein Herz — es ist
ein Rauschen darin, wie die Muschel rauscht
nach See und Heimat: Das Rauschen der Wälder,
die Deine Kindheit beschützten, das Rauschen
der Winde, die einst umflogen Dein Vaterhaus.
Ihr macht mich traurig, Kinder der Gross-
stadt. Ihr seid nicht nach den Nestern ge-
klettert in schwanke Wipfel, ihr seid nicht
barfuss und mit blossem Kopfe durch Sonn’
und Wind gelaufen, ihr habt nicht die ersten
Drachen steigen lassen über Brachland und
Stoppeln. Wenn das Abendroth durch die Pap-
peln schien und pfeifend der Schwarm der Staate
aufflog — sasst ihr da auf dem Rücken der
Gäule, ohne Sattel, die Hosen aufgekrempt, und
trabtet fröhlich hinab zur Schwemme? Kennt
ihr, was da blüht und wächst am See und auf
Bergen, habt ihr die Pfauenaugen gejagt über
Federnelken und Lupinen, hocktet ihr Nachts
mit dunklem Netz auf alten Kirchhöfen, bis
die schweren, grossen Falter um’s Seifenkraut
surrten, das gelbe Ordensband von verwitterten
Gewölben her über die blühenden Kräuter flog?
Wir Italiens oft gethan, und die Uhren schnarr-
ten von der Stadt, und auf den zerbröckelten
Steinen standen die Namen der letzten Mönche,
die drüben im Klostör gelebt. Am Grabe des
Priors hab’ ich seltnen Fang gethan, und wo
der junge Bruder Eustachius schlief, blühten
im Frühling die ersten Veilchen. Hinter dem
Pfluge bin ich dreinspaziert mit den Knechten
der Bauern, und die Saatkrähen folgten uns.
Lieber sumpfige Wiesen bin ich gesprungen,
dass die Stiefel vor Nässe quietschten, während
der Kibitz mit erschrecktem Schrei davonfuhr
und die Becassinen in blitzschnellem Fluge
über mir meckerten. Von den Brombeerhecken
am See hab ich die schwarzen Beeren gelesen,
und nur die Eidechsen sahen mir zu und husch-
ten davon mit schlankem, glitzerndem Leibe.
Und wenn ich im Kahn sass, tief verborgen
in Schilf und Rohr, ruhten sich um mich und
über mir die Seejungfern aus, schwirrten in’s
Welte mit den glasigen Flügeln, dass man die
dunkleren Adern sah, und hoch im Blauen zog
der Fischreiher einher, der beutegierige König
der Wässer.
Meiner Heimat Sonne kennt Ihr nicht; mei-
ner Heimat heimliche Schönheit wisst Ihr nicht;
meiner Heimat Wege und Stege seid Ihr nicht
gegangen. Wo kauft’ ich mir ein fröhliches
Herze, wenn sie nicht gewesen? Wenn das
zr8