Bernhard Pankok (München).
Klinik
von L'lsbeth Meyer-Lörster.
„In solch' einem Hause muss sich's gut sterben,"
denkt Fräulein Nebe vor sich hin. Sie liegt mit
gefalteten Händen in ihrem Bett, die Augen weit
offen, noch halb von der Nachwirkung der Nar-
kose umfangen. Am Morgen wurde sie opcrirt.
Jetzt ist es später Nachmittag. Ein Nachmittag
mit dünnen, blassen Däminerungsschleiern, mit
Carbolgeruch und schwachem Veilchenduft vom
Nachttische her. Der Nachmittag der Klinik ist es,
die Auferweckuugsstunde der vielen Operierten,
die nach Nummern vcrthcilt in den sauberen,
kühlen Betten der Privatanstalt ruhen.
Ja, sterben must es sich hier sanft, in dieser
Kircheuatmosphäre. Es herrscht eine Ruhe hier,
die im Verein mit dem schwachen Carbolgeruch
etwas betäubend Einschläferndes hat. Man hört
nur ab und zu aus diesem oder jenem Zimmer
der einen Seufzer, der die schwache Hvlzfülluug
der Thüren durchdringt, zu den aufmerksam lau-
schenden Kranken gelangt. Wie horchen sie alle
ans! In ihrem Traumzustand, der unendlichen
Schwäche ihres Körpers und Hirns, ist der Seuf-
zer eines zweiten Kranken nur ein Widerhall ihrer
eigenen Schmerzen. Sie offnen einen Moment
die Augen, in ihren Gesichtern malt sich eineFrage:
„woher kam der Seufzer? Leidet sie ebenso wie
ich? Litt sie noch stärker?" Dann wischt eine
schmerzliche Apathie den kurzen Gcdaukenauf-
chwung wieder weg.
Fräulein Rebe träumt nicht so schwer und
tief vor sich hin, wie die meisten Andern. Ihre
Operation war nur leicht — ein veraltetes, aber
bei Mädchen ihres Schlages, die blutarm, schlecht
genährt und in ihren Funktionen darum beein-
trächtigt sind, häufig vorkommendes Leiden, das
durch einen raschen Eingriff gebessert werden
sollte. Sie hat aber die Zeit, die dem Tage voran-
ging, in schrecklicher Angst und Envartung zuge-
bracht, in hilflosem Entsetzen vor dieser Operation,
die ein erster Eingriff in ihr Mädchenleben ist.
——Sie ist schwächer in den Tag hinciugeschritten,
als ein Weib, das der Entbindung entgegengcht,
und kinderschwach ist sie daraus hervorgegangen.
Nun thci lt sie seit ivenigen Stunden einKranken-
. immer mit. einer zweiten Leidenden.
„Frau Rockbecht," wird dieselbe von der Wär-
terin genannt. Die Wärterin geht hin und lviedcr,
bringt Eisumschläge, Binden, Pflaster, tiub gegen
die fünfte Stunde die erste Mahlzeit, dünner
Thee und geröstete, süste, kleine Zwiebacks.
Leise tritt sie an Frau Rockbecht's Bett; ihr
Schritt ist fast lautlos, aber bewußt und sicher.
Sie hat ein gewöhnliches Gesicht, mit breiten
Lippen, breiter Nase, kurzer Stirn, um welche die
Zipfel der weißen Haube >vieTaubenflügel starren;
auch ihre Hände sind gewöhnlich und roth, aber
sie sind leicht, sicher und zielbeivustt, sie greisen
leise zu und packen unerbittlich.
„Nun, Frau Rockbecht", sagt die Wärterin,
indem ein halbes Lächeln ihren Mund verzieht,
„haben wir endlich anSgeschlafen?" Sic beugt
sich ein tvenig, senkt den Arm und legt ihn unter
Frau Rockbecht's Kops, den sie sanft emporzieht.
Die Lehrerin, Fräulein Rebe, im anderen
Bett, wendet gleichfalls ganz leise ein wenig das
Haupt. Die Worte haben sie aus ihrer Agonie
geweckt, sie hat vernoinmen, daß ein zweites We-
sen außer ihr die Krankenstubenstille bewohnt.
Aber sie erkennt noch nicht viel, obgleich sie nach
Frau Rockbecht hinüberstarrt. Sie ist noch halb
im Traum.
Frau Rockbecht's Kopf, vom Arme der Wär-
terin gestützt, hebt sich mühsam empor. Es ist,
lute wenn ein Haupt aus Wellen anftaucht —
blaß, weltfremd. So tief war sie versunken, in
finsteres Nichts ! Nun ruft man sie beim Namen.
Sie tastet ein wenig auf der Decke. Dann heben
sich ihre Augenlider. Schwer und mühsam. Ein
Lächeln gleitet über ihr Gesicht, das in seiner
Fassungslosigkeit etwas Blödes hat.
„Lebe ich?" flüstert sie.
„Na, gewiß doch!" sagt die Wärterin und
legt den hilflosen Kopf jovial in die Kissen zu-
rück. „Mit Kopf und Beinen sogar. Bei uns
lebt alles, Frau Rockbecht, wer sterben will, den
können wir nich' gebrauchen. Was is denn das
hier, wenn man so fragen darf? Wie ich das
nenne, sind das Veilchen!"
Frau Rockbecht lächelt wieder, jetzt schon wie
wenn Märzsonne aufgeht.
„Von meinem Manne?" sagt sie säst unhörbar.
„Is das ein Mann!" sagt die Wärterin, in-
dem sic geschäftig hin und hergeht, einen Tisch
herbeizieht, den Thee eingiestt, mit ihren starken
Lippen kostend den Rand der Tasse berührt und
dann ein Stück Zucker nachwirft, „dreimal wäh-
rend der Operation war er da — so 'ne Männer
gibt es nur noch in Klein-Mittenwalde, in Berlin
gibts ihr' solche nicht, was, Fräulein Rebe?"
Und als sei nun die Minute gekommen, wo auch
das andere Bett auf ihre Jovialität Anspruch zu
erheben habe, tritt sie mit einem großen Schritt
von Frau Rockbecht weg, zur Lehrerin hinüber.
Sie erwartet keine Antwort von der kranken
Schwachen, die nur hilflos ein wenig crröthet,
und auf die plötzliche Ansprache kaum zu lächeln
weiß. „Hier — das duftet, was?" sagt sie, und
hält ihr Frau Rockbecht's Veilchen entgegen.
„Und nu gibt es was zu knabbern. Nur nich
zucken. Die Anna hebt schon gut. Da wird
nichts gedrückt und nichts verschoben."
Die beiden Frauen liegen nun mit erhöhten
Köpfen, eine Tasse mit muldenförmiger Röhre
vor sich, aus der sie, ohne die Hände zu heben,
den ersten Trank mit den durstigen Lippen schlür-
fen dürfen. Sie vermögen einander nun anzu-
sehen, ihre Betten stehen nah zusammen. Sie
Fritz Rehm.
betrachten sich staunend, groß, mit den müden'
zum Leben zurückgekehlten Augen Frau Rock-
becht ist anmuthig, mit einer dünnen, fast durch-
sichtigen Nase, todblassem Teint und einem
schwarzen, starken Zopf im Rücken, der ihr etwas
Mädchenhaftes gibt.
Fräulein Nebe ist verblüht.
Sie sehen sich lächelnd an, mit einem Aus-
druck wie Menschen, die sich ans einer Bergcs-
knppe treffen.
„Auch heute operirt?" fragt Frau Nock-
bccht sanft.
Und mit dankbarer Stimme entgegnet Fräu-
lein Nebe: „Ja."
So flüstern sie nun weiter, während die
Wärterin das Zimmer verlassen hat. Die Welt
ist voll von Wundern, aber die Operation ist
daS größte von allen, weist Gott und alle Hei-
ligen! Sie kommen darüber nicht hinaus, immer
wieder diese staunenden, großen: „ja, denken
Sie nur! Denken Sie blvs mal an!!" Es
gibt kein Ende für dieses Thema, sie möchten
bis Mitternacht sprechen, „lind ich trug mein
Leiden dreizehn Jahr!" sagt Frau Rockbecht,
und schlägt die Augen fassungslos zur Decke
auf. „Mein armer Mann. So ein junger, lieber
Mann!" Aber endlich werden sie matt. Die
Stimmen werden langsamer, und Fräulein Nebe,
die zuletzt nur noch zugehört hat, schläft plötzlich
fest und tief, mit herabhängendem Kopf. Frau
Rockbecht möchte heraus aus dem Bett, die An-
dere aus ihrer zusammengesnnkenen Lage zu be-
freien! Aber wie könnte sie, bei ihrer Schwäche?
In Bandagen eingewickelt, wie sie ist! Sie seufzt
nur noch einmal erleichtert. „Veilchen!" Das
Wort fliegt vor ihr hin und her, in großen
Blumenbuchstabcn. Es duftet ihr in das matte
Hindämmern hinein, zu deni sie jetzt wieder zu-
rückkehrt. Kirchcnstill ist's wieder im Zimmer,
man hört nur die leisen Athemzüge der zwei
geretteten Frauen, lieber die rothgeblumte, von
goldenen Leisten begrenzte Tapete fällt der erste
Schimmer der Gaslaterue von der Straße heraus.
Auf dem Korridor eilen die Wärterinnen hin
und her, zuweilen vernimmt man das knatternde
Geräusch ihrer steifgeglätteten, blüthensauberen
Leinenkleider; zuweilen auch ein Lachen und Ki-
chern, von Seiten der jüngeren „Schwestern",
die neu eingetreten sind, einstweilen noch die
gröberen Arbeiten versehen, und noch eindrucks-
fähig sind für jede Gelegenheit, einmal aufzu-
athmen.
Die Nacht der Klinik ist bunter als „Tausend-
nnd eine Nacht". Wenn die Träume der vielen
zum Leben Geretteten Hände und Füße hätten:
Sie würden die Decken einstoßen, das Dach des
Hauses, und in unzähligen Engelgestalten in
den Himmel schwirren. Das unleidlichste Weib
ist saust und dankbar geworden auf diesem
Schmerzenslager; alle diese Seelen sind durch
ein Fegefeuer gegangen, und Schlacke ist von
ihnen abgefallen! Sie haben am Todesseil ge-
schivebt, in einer verwirrten, wilden, unirdischen
Traumwelt, Narkose nennt man sie, in einem
zweiten Dasein voll herzbeklemmender Erschein-
ungen oder voll Grabesruhe. Nun sind sie auf-
crwacht von dem Scheintod, und finden sich wie-
der in der Welt der Menschen! Gesichter und
Klinik
von L'lsbeth Meyer-Lörster.
„In solch' einem Hause muss sich's gut sterben,"
denkt Fräulein Nebe vor sich hin. Sie liegt mit
gefalteten Händen in ihrem Bett, die Augen weit
offen, noch halb von der Nachwirkung der Nar-
kose umfangen. Am Morgen wurde sie opcrirt.
Jetzt ist es später Nachmittag. Ein Nachmittag
mit dünnen, blassen Däminerungsschleiern, mit
Carbolgeruch und schwachem Veilchenduft vom
Nachttische her. Der Nachmittag der Klinik ist es,
die Auferweckuugsstunde der vielen Operierten,
die nach Nummern vcrthcilt in den sauberen,
kühlen Betten der Privatanstalt ruhen.
Ja, sterben must es sich hier sanft, in dieser
Kircheuatmosphäre. Es herrscht eine Ruhe hier,
die im Verein mit dem schwachen Carbolgeruch
etwas betäubend Einschläferndes hat. Man hört
nur ab und zu aus diesem oder jenem Zimmer
der einen Seufzer, der die schwache Hvlzfülluug
der Thüren durchdringt, zu den aufmerksam lau-
schenden Kranken gelangt. Wie horchen sie alle
ans! In ihrem Traumzustand, der unendlichen
Schwäche ihres Körpers und Hirns, ist der Seuf-
zer eines zweiten Kranken nur ein Widerhall ihrer
eigenen Schmerzen. Sie offnen einen Moment
die Augen, in ihren Gesichtern malt sich eineFrage:
„woher kam der Seufzer? Leidet sie ebenso wie
ich? Litt sie noch stärker?" Dann wischt eine
schmerzliche Apathie den kurzen Gcdaukenauf-
chwung wieder weg.
Fräulein Rebe träumt nicht so schwer und
tief vor sich hin, wie die meisten Andern. Ihre
Operation war nur leicht — ein veraltetes, aber
bei Mädchen ihres Schlages, die blutarm, schlecht
genährt und in ihren Funktionen darum beein-
trächtigt sind, häufig vorkommendes Leiden, das
durch einen raschen Eingriff gebessert werden
sollte. Sie hat aber die Zeit, die dem Tage voran-
ging, in schrecklicher Angst und Envartung zuge-
bracht, in hilflosem Entsetzen vor dieser Operation,
die ein erster Eingriff in ihr Mädchenleben ist.
——Sie ist schwächer in den Tag hinciugeschritten,
als ein Weib, das der Entbindung entgegengcht,
und kinderschwach ist sie daraus hervorgegangen.
Nun thci lt sie seit ivenigen Stunden einKranken-
. immer mit. einer zweiten Leidenden.
„Frau Rockbecht," wird dieselbe von der Wär-
terin genannt. Die Wärterin geht hin und lviedcr,
bringt Eisumschläge, Binden, Pflaster, tiub gegen
die fünfte Stunde die erste Mahlzeit, dünner
Thee und geröstete, süste, kleine Zwiebacks.
Leise tritt sie an Frau Rockbecht's Bett; ihr
Schritt ist fast lautlos, aber bewußt und sicher.
Sie hat ein gewöhnliches Gesicht, mit breiten
Lippen, breiter Nase, kurzer Stirn, um welche die
Zipfel der weißen Haube >vieTaubenflügel starren;
auch ihre Hände sind gewöhnlich und roth, aber
sie sind leicht, sicher und zielbeivustt, sie greisen
leise zu und packen unerbittlich.
„Nun, Frau Rockbecht", sagt die Wärterin,
indem ein halbes Lächeln ihren Mund verzieht,
„haben wir endlich anSgeschlafen?" Sic beugt
sich ein tvenig, senkt den Arm und legt ihn unter
Frau Rockbecht's Kops, den sie sanft emporzieht.
Die Lehrerin, Fräulein Rebe, im anderen
Bett, wendet gleichfalls ganz leise ein wenig das
Haupt. Die Worte haben sie aus ihrer Agonie
geweckt, sie hat vernoinmen, daß ein zweites We-
sen außer ihr die Krankenstubenstille bewohnt.
Aber sie erkennt noch nicht viel, obgleich sie nach
Frau Rockbecht hinüberstarrt. Sie ist noch halb
im Traum.
Frau Rockbecht's Kopf, vom Arme der Wär-
terin gestützt, hebt sich mühsam empor. Es ist,
lute wenn ein Haupt aus Wellen anftaucht —
blaß, weltfremd. So tief war sie versunken, in
finsteres Nichts ! Nun ruft man sie beim Namen.
Sie tastet ein wenig auf der Decke. Dann heben
sich ihre Augenlider. Schwer und mühsam. Ein
Lächeln gleitet über ihr Gesicht, das in seiner
Fassungslosigkeit etwas Blödes hat.
„Lebe ich?" flüstert sie.
„Na, gewiß doch!" sagt die Wärterin und
legt den hilflosen Kopf jovial in die Kissen zu-
rück. „Mit Kopf und Beinen sogar. Bei uns
lebt alles, Frau Rockbecht, wer sterben will, den
können wir nich' gebrauchen. Was is denn das
hier, wenn man so fragen darf? Wie ich das
nenne, sind das Veilchen!"
Frau Rockbecht lächelt wieder, jetzt schon wie
wenn Märzsonne aufgeht.
„Von meinem Manne?" sagt sie säst unhörbar.
„Is das ein Mann!" sagt die Wärterin, in-
dem sic geschäftig hin und hergeht, einen Tisch
herbeizieht, den Thee eingiestt, mit ihren starken
Lippen kostend den Rand der Tasse berührt und
dann ein Stück Zucker nachwirft, „dreimal wäh-
rend der Operation war er da — so 'ne Männer
gibt es nur noch in Klein-Mittenwalde, in Berlin
gibts ihr' solche nicht, was, Fräulein Rebe?"
Und als sei nun die Minute gekommen, wo auch
das andere Bett auf ihre Jovialität Anspruch zu
erheben habe, tritt sie mit einem großen Schritt
von Frau Rockbecht weg, zur Lehrerin hinüber.
Sie erwartet keine Antwort von der kranken
Schwachen, die nur hilflos ein wenig crröthet,
und auf die plötzliche Ansprache kaum zu lächeln
weiß. „Hier — das duftet, was?" sagt sie, und
hält ihr Frau Rockbecht's Veilchen entgegen.
„Und nu gibt es was zu knabbern. Nur nich
zucken. Die Anna hebt schon gut. Da wird
nichts gedrückt und nichts verschoben."
Die beiden Frauen liegen nun mit erhöhten
Köpfen, eine Tasse mit muldenförmiger Röhre
vor sich, aus der sie, ohne die Hände zu heben,
den ersten Trank mit den durstigen Lippen schlür-
fen dürfen. Sie vermögen einander nun anzu-
sehen, ihre Betten stehen nah zusammen. Sie
Fritz Rehm.
betrachten sich staunend, groß, mit den müden'
zum Leben zurückgekehlten Augen Frau Rock-
becht ist anmuthig, mit einer dünnen, fast durch-
sichtigen Nase, todblassem Teint und einem
schwarzen, starken Zopf im Rücken, der ihr etwas
Mädchenhaftes gibt.
Fräulein Nebe ist verblüht.
Sie sehen sich lächelnd an, mit einem Aus-
druck wie Menschen, die sich ans einer Bergcs-
knppe treffen.
„Auch heute operirt?" fragt Frau Nock-
bccht sanft.
Und mit dankbarer Stimme entgegnet Fräu-
lein Nebe: „Ja."
So flüstern sie nun weiter, während die
Wärterin das Zimmer verlassen hat. Die Welt
ist voll von Wundern, aber die Operation ist
daS größte von allen, weist Gott und alle Hei-
ligen! Sie kommen darüber nicht hinaus, immer
wieder diese staunenden, großen: „ja, denken
Sie nur! Denken Sie blvs mal an!!" Es
gibt kein Ende für dieses Thema, sie möchten
bis Mitternacht sprechen, „lind ich trug mein
Leiden dreizehn Jahr!" sagt Frau Rockbecht,
und schlägt die Augen fassungslos zur Decke
auf. „Mein armer Mann. So ein junger, lieber
Mann!" Aber endlich werden sie matt. Die
Stimmen werden langsamer, und Fräulein Nebe,
die zuletzt nur noch zugehört hat, schläft plötzlich
fest und tief, mit herabhängendem Kopf. Frau
Rockbecht möchte heraus aus dem Bett, die An-
dere aus ihrer zusammengesnnkenen Lage zu be-
freien! Aber wie könnte sie, bei ihrer Schwäche?
In Bandagen eingewickelt, wie sie ist! Sie seufzt
nur noch einmal erleichtert. „Veilchen!" Das
Wort fliegt vor ihr hin und her, in großen
Blumenbuchstabcn. Es duftet ihr in das matte
Hindämmern hinein, zu deni sie jetzt wieder zu-
rückkehrt. Kirchcnstill ist's wieder im Zimmer,
man hört nur die leisen Athemzüge der zwei
geretteten Frauen, lieber die rothgeblumte, von
goldenen Leisten begrenzte Tapete fällt der erste
Schimmer der Gaslaterue von der Straße heraus.
Auf dem Korridor eilen die Wärterinnen hin
und her, zuweilen vernimmt man das knatternde
Geräusch ihrer steifgeglätteten, blüthensauberen
Leinenkleider; zuweilen auch ein Lachen und Ki-
chern, von Seiten der jüngeren „Schwestern",
die neu eingetreten sind, einstweilen noch die
gröberen Arbeiten versehen, und noch eindrucks-
fähig sind für jede Gelegenheit, einmal aufzu-
athmen.
Die Nacht der Klinik ist bunter als „Tausend-
nnd eine Nacht". Wenn die Träume der vielen
zum Leben Geretteten Hände und Füße hätten:
Sie würden die Decken einstoßen, das Dach des
Hauses, und in unzähligen Engelgestalten in
den Himmel schwirren. Das unleidlichste Weib
ist saust und dankbar geworden auf diesem
Schmerzenslager; alle diese Seelen sind durch
ein Fegefeuer gegangen, und Schlacke ist von
ihnen abgefallen! Sie haben am Todesseil ge-
schivebt, in einer verwirrten, wilden, unirdischen
Traumwelt, Narkose nennt man sie, in einem
zweiten Dasein voll herzbeklemmender Erschein-
ungen oder voll Grabesruhe. Nun sind sie auf-
crwacht von dem Scheintod, und finden sich wie-
der in der Welt der Menschen! Gesichter und