Nr. 21
JUGEND
1898
KWW eines LognaWgxfens
von Alfred v. Hedenstjerna
^ls ich das letzte Mal in Kräh-
winkel war, stocherte ich im
Park des dortigen variLtö-Theatcrs und
wäre beinahe auf die Nase gefallen.
Als ich mein Gleichgewicht wieder er-
langt hatte, sah ich einen kleinen Pfro-
pfen im Kies liegen, der die Ursache
meines Falles gewesen war, und stieß
ihn aus Rache mit dem Fuße weiter.
Aber er flog gegen einen Baumstamm, prallte zurück und lag aber-
mals zu meinen Füßen. Als ich ihn dann zum zweiten Mal mit
einigen Morten, die kaum in einem lfandbuch des guten Tones
stehen, auf den weg bringen wollte, geschah ein Wunder.
Der Propfen richtete sich selbst auf, es bildete sich ein Mund
an seine,» oberen Rand, er öffnete diesen Mund und sprach:
„Du mußt gewiß Nebenfluß an Sachen haben, da Du mich so
verächtlich behandelst!"
Natürlich war ich sehr erstaunt, ließ mich aber als echter Iour-
nalist nicht verblüffen, sondern erwiderte sogleich:
„Du bist ein kleiner Humbug. Steht nicht deutlich.Martell' auf
Deiner Stirn und dabei sprichst Du.Krähwinklisch' wie ein Ein-
heimischer."
Der Pfropfen erwiderte sanft:
„Ich bin doch ein echter Martell, aber die Sprache habe ich in
der „Goldenen Traube" gelernt, hier in der Stadt. Ich kann wohl auch
französisch, wie Du Dir denken kannst, aber ich war so naseweis,
anzunehmen, daß Du Krähwinklisch ebenso gut verstehen würdest!"
Ich neigte demüthig mein kfaupt.
„Ls wäre zweifellos besser," fuhr der Pfropfen fort, „wenn Du,
anstatt inich zu beleidigen, meine Geschichte anhörtest, und sie Deinen
Lesern erzähltest."
Ich verneigte mich dankend und war ganz (!)hr.
Der Pfropfen fuhr fort:
„Ich bin nur ein Lognakpfropfen. Das ist freilich nicht viel,
aber wenn man ein geborner Martell ist, dürfte es nicht unbescheiden
sein, sich für ebenso gut zu halten, als einen Lognaktrinker aus Kräh-
winkel."
Ich ließ diese Unbescheidenheit über mich ergehen, und der
Pfropfen fuhr abermals fort:
„wie gesagt, ich bi» ein echter Martell. Aber das verpflichtet
zu nichts, wenn ein monffirender wein ans Lothringen sich Lham-
pagner nennt, wenn ein Gebräu aus Bremen sich Portwein nennt, ist
es Fälschung; aber wenn ich nun von den eignen Leuten der Firma
Martell in den Hals einer Flasche hineingeschlagen werde, so kan» in
der Flasche sein, was da will, ich bin doch ein echter Martell. Das
heißt eben einen Namen haben," sagte der Pfropfen und brüstete sich.
Ich antwortete ruhig und höflich:
„Ich war wenig über dreißig Jahre alt, als ich bereits einsah,
daß sowohl Sie, als Heneffy nur von ihren: Namen leben. Ich
meines Theils trinke nur Renault. Die Marken, die emporkommen
wollen, wagen nicht zu schwindeln."
Der Kork nahm sofort eine achtungsvollere Miene an, hüpfte
in die Höhe und setzte sich neben mich auf die Bank und erzählte
wörtlich Folgendes:
„In der .Goldenen Traube' werden jährlich 600 Flaschen Martell
getrunken, aber der wirth kauft jährlich nur 25. Die Ltiquette dieser
benutzt er dann für alle 6vo. vor drei Jahren war dort eine Büffet-
mamscll, die vorschlug, sich Martell-Etiquettcn für die .Traube'
drucken zu lassen, um nicht das Geld für die 25 Flaschen
hinauswerfen zu müssen, aber da erschrak der wirth und sagte:
„Führen Sie mich nicht in Versuchung, Fräulein I
Ehrlich währt am längsten. Die Flasche, die ich einem,
der eine Flasche Martell bestellt, auf den Tisch setze, muß
auch eine Martell sein, das bin ich meinem Gewissen
schuldig, was den Lognak anbetrifft, bleibt's beim Alten."
Als meine Flasche das erste Mal vorgesetzt wurde,
geschah es für den Bürgermeister, den das noch ganz frisch
angekoinmcne Fräulein Lotte nicht zu betrügen wagte.
Mit unbeschreiblicher Wichtigkeit riß sie das Staniol ab,
und zog mich auf.
„Hm... hm?" sagte der Bürgermeister und kostete
und wandte sich an den Rathsherrn.
„Der schmeckt sehr merkwürdig," meinte der Rathsherr.
Sie tranken jeder seine drei Kelchgläser, und spät in
der Nacht, als alle Gäste fort waren, nahm Lotte die
Flasche »nd füllte sie bis zum Rande mit gewöhnlichem
Hellen Grogcognak und stellte mich dann wieder hinein.
8. Pankok (München).
Ich schämte mich, obwohl ich nur
ein Pfropfen bi», mein edles martcll-
isches Blut mit solchem Schund vermischt
zu sehen! Ich kam mir wie ein Gras
vor, der genöthigt wird, die skrophu-
lösc Tochter eines Krämers zu heirathen.
Am folgenden Tage wurde die Fla-
£ einem Geschäftsreisenden vorgesetzt,
immer gutes Trinkgeld zu geben
pflegte und darum echten Martell haben
sollte. (Halbblut.) Lr leerte die Flasche
bis auf den letzten Tropfen, küßte Lotte
siebenmal mitten auf den Mund und
legte einen Fünfmarkschein auf den Tisch
Lotte wischte sich den Mund ab und füllte die Flasche wieder
mit hellstem, heimischen Lognak. Später, am Abend, kamen der
Bürgermeister und der Rathsherr wieder, und nun wurde ihnen die
gleiche Flasche vorgesetzt. Sie nahmen jeder sein Kelchglas und nippten.
„Das ist guter Lognak," sagte der Rathsherr.
„Ja, nun schmeckt er wieder wie gewöhnlich!" meinte der
Bürgermeister.
Und ste bezahlten mit Vergnügen 5v Pfg. für das Glas.
Aber im andern Zimmer saßen der Tischler und der Reifschlägcr
und tranken mit großen Stücken Zucker und warmem Wasser die-
selbe waare für drei Mark die Maaß.
So geht es im Leben I Das ist der ganze Unterschied dazwischen,
billigen Grog zu trinken oder Kaffee mit echtem Martell.-
Lin Lognakpfropfen ist nur ein unbedeutender Radzahn an der
riesigen Maschine der Livilisationsarbeit, aber ist man, wie ich, Kork
in einer Flasche echten Martells gewesen, die 37 Mal geleert und
mit heimischem Schnaps 36 Mal wieder gefüllt wurde, dann hat
man so ziemlich Einblick in das Leben.
Einmal, als hier in Krähwinkel Markt war, hatte ich es recht
arg. An diesem Abend wurden elf Flaschen echter Martell getrunken,
und ich war die ganze Zeit die einzige Flasche, denn die andern drei,
die sonst auch in Gebrauch waren, hatte man aus versehen zur
Schnapsfabrik mitgeschickt.
Als alle andern Gäste um elf Uhr sich entfernt hatten, humpelte
der steifbeinige Bankbuchhalter aus dem hintern Billardzimmer her-
ein, wo er sich versteckt hatte, und — das muß ich sagen — soviel
Küsse und schöne Worte, wie Lotte da bekam, werden zwischen den
Buchhaltern und Bouteillenspülerinnen der Firma Martell in einer
ganzen Woche nicht ausgetauscht.
Sie wollten jedes für sich sparen, und dann sich irgendwo zu-
sammen thun und sich heirathen. Bis dahin sollte Lotte alle andern
Herrn kurz halten und sich nicht einmal auf die Achsel klopfen lassen.
Und dann schwor der Steifbeinige, daß er nie in seinem ganzen
Leben sich aus einem andern Mädchen etwas gemacht hätte, als aus
Lotte, und dann schwor Lotte bei ihrer Seele Seligkeit, daß sie nie-
mals einen andern Mann geküßt hätte, als den Lankbuchhalter, und
dann schimpften sie auf den wirth in den erbaulichsten Ausdrücken.
Und dann wollte der Buchhalter, ehe er ging, mich herunter-
nehmen und sich ein Glas einschenken, aber da sagte sie:
„Ach laß, das ist ja nur Auffüllung! Sieh, da hast Du einen
echten Tropfen Martell!"
Als der Buchhalter gegangen war, kam der wirth auf Filz-
pantoffeln, wie ein Dieb, dahergeschlichen, schlang die Arme um
Lotte's Hals und nannte sic „Engel" und „Schnutchen" und „Herz-
allerliebste" eine ganze Stunde lang, und sie küßten sich, daß ich
glaubte, es nähme gar kein Ende.
Als er gegangen war, nahm Lotte ihren Mantel um und ging
in die Stadt, 'wohin sie ging, weiß ich nicht, denn ich blieb ja in
meinem Flaschenhals sitzen; aber um die Frühstückszeit kam
immer ein Doktor, und am nächsten Morgen kam er zum
Schenktisch und lachte und dankte ihr für den gestrigen
schönen Abend und sah auch wirklich dankbar ans. —
Als ein geborener Martell kann ich ja keine hohe Mein-
ung von dem heimischen Lognak haben, der 36 Mal unter
meinem schützenden Verschluß servirt wurde. Aber so schlecht,
wie immer behauptet wird, kann er doch nicht sein.
Einmal kamen zwei Herren und wollten Lognak und
Wasser babcn, aber „echten Martell". Lotto füllte schleu-
nigst meine Flasche, ging mit den Erfrischungen in's Kla-
vierzimmer, wo sie saßen, hinein, zog mich vor ihren Augen
auf und wischte den Flaschenhals zart und behutsam ab,
wie man es mit echtem Martell zu thun pflegt.
Der eine Herr füllte das Glas und sagte: „Prosit!"
und legte ein längliches, schmales Papier auf den Tisch
und sprach ganz beweglich und bat, der andere möchte
seinen Namen quer aus das Papier schreiben.
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KWW eines LognaWgxfens
von Alfred v. Hedenstjerna
^ls ich das letzte Mal in Kräh-
winkel war, stocherte ich im
Park des dortigen variLtö-Theatcrs und
wäre beinahe auf die Nase gefallen.
Als ich mein Gleichgewicht wieder er-
langt hatte, sah ich einen kleinen Pfro-
pfen im Kies liegen, der die Ursache
meines Falles gewesen war, und stieß
ihn aus Rache mit dem Fuße weiter.
Aber er flog gegen einen Baumstamm, prallte zurück und lag aber-
mals zu meinen Füßen. Als ich ihn dann zum zweiten Mal mit
einigen Morten, die kaum in einem lfandbuch des guten Tones
stehen, auf den weg bringen wollte, geschah ein Wunder.
Der Propfen richtete sich selbst auf, es bildete sich ein Mund
an seine,» oberen Rand, er öffnete diesen Mund und sprach:
„Du mußt gewiß Nebenfluß an Sachen haben, da Du mich so
verächtlich behandelst!"
Natürlich war ich sehr erstaunt, ließ mich aber als echter Iour-
nalist nicht verblüffen, sondern erwiderte sogleich:
„Du bist ein kleiner Humbug. Steht nicht deutlich.Martell' auf
Deiner Stirn und dabei sprichst Du.Krähwinklisch' wie ein Ein-
heimischer."
Der Pfropfen erwiderte sanft:
„Ich bin doch ein echter Martell, aber die Sprache habe ich in
der „Goldenen Traube" gelernt, hier in der Stadt. Ich kann wohl auch
französisch, wie Du Dir denken kannst, aber ich war so naseweis,
anzunehmen, daß Du Krähwinklisch ebenso gut verstehen würdest!"
Ich neigte demüthig mein kfaupt.
„Ls wäre zweifellos besser," fuhr der Pfropfen fort, „wenn Du,
anstatt inich zu beleidigen, meine Geschichte anhörtest, und sie Deinen
Lesern erzähltest."
Ich verneigte mich dankend und war ganz (!)hr.
Der Pfropfen fuhr fort:
„Ich bin nur ein Lognakpfropfen. Das ist freilich nicht viel,
aber wenn man ein geborner Martell ist, dürfte es nicht unbescheiden
sein, sich für ebenso gut zu halten, als einen Lognaktrinker aus Kräh-
winkel."
Ich ließ diese Unbescheidenheit über mich ergehen, und der
Pfropfen fuhr abermals fort:
„wie gesagt, ich bi» ein echter Martell. Aber das verpflichtet
zu nichts, wenn ein monffirender wein ans Lothringen sich Lham-
pagner nennt, wenn ein Gebräu aus Bremen sich Portwein nennt, ist
es Fälschung; aber wenn ich nun von den eignen Leuten der Firma
Martell in den Hals einer Flasche hineingeschlagen werde, so kan» in
der Flasche sein, was da will, ich bin doch ein echter Martell. Das
heißt eben einen Namen haben," sagte der Pfropfen und brüstete sich.
Ich antwortete ruhig und höflich:
„Ich war wenig über dreißig Jahre alt, als ich bereits einsah,
daß sowohl Sie, als Heneffy nur von ihren: Namen leben. Ich
meines Theils trinke nur Renault. Die Marken, die emporkommen
wollen, wagen nicht zu schwindeln."
Der Kork nahm sofort eine achtungsvollere Miene an, hüpfte
in die Höhe und setzte sich neben mich auf die Bank und erzählte
wörtlich Folgendes:
„In der .Goldenen Traube' werden jährlich 600 Flaschen Martell
getrunken, aber der wirth kauft jährlich nur 25. Die Ltiquette dieser
benutzt er dann für alle 6vo. vor drei Jahren war dort eine Büffet-
mamscll, die vorschlug, sich Martell-Etiquettcn für die .Traube'
drucken zu lassen, um nicht das Geld für die 25 Flaschen
hinauswerfen zu müssen, aber da erschrak der wirth und sagte:
„Führen Sie mich nicht in Versuchung, Fräulein I
Ehrlich währt am längsten. Die Flasche, die ich einem,
der eine Flasche Martell bestellt, auf den Tisch setze, muß
auch eine Martell sein, das bin ich meinem Gewissen
schuldig, was den Lognak anbetrifft, bleibt's beim Alten."
Als meine Flasche das erste Mal vorgesetzt wurde,
geschah es für den Bürgermeister, den das noch ganz frisch
angekoinmcne Fräulein Lotte nicht zu betrügen wagte.
Mit unbeschreiblicher Wichtigkeit riß sie das Staniol ab,
und zog mich auf.
„Hm... hm?" sagte der Bürgermeister und kostete
und wandte sich an den Rathsherrn.
„Der schmeckt sehr merkwürdig," meinte der Rathsherr.
Sie tranken jeder seine drei Kelchgläser, und spät in
der Nacht, als alle Gäste fort waren, nahm Lotte die
Flasche »nd füllte sie bis zum Rande mit gewöhnlichem
Hellen Grogcognak und stellte mich dann wieder hinein.
8. Pankok (München).
Ich schämte mich, obwohl ich nur
ein Pfropfen bi», mein edles martcll-
isches Blut mit solchem Schund vermischt
zu sehen! Ich kam mir wie ein Gras
vor, der genöthigt wird, die skrophu-
lösc Tochter eines Krämers zu heirathen.
Am folgenden Tage wurde die Fla-
£ einem Geschäftsreisenden vorgesetzt,
immer gutes Trinkgeld zu geben
pflegte und darum echten Martell haben
sollte. (Halbblut.) Lr leerte die Flasche
bis auf den letzten Tropfen, küßte Lotte
siebenmal mitten auf den Mund und
legte einen Fünfmarkschein auf den Tisch
Lotte wischte sich den Mund ab und füllte die Flasche wieder
mit hellstem, heimischen Lognak. Später, am Abend, kamen der
Bürgermeister und der Rathsherr wieder, und nun wurde ihnen die
gleiche Flasche vorgesetzt. Sie nahmen jeder sein Kelchglas und nippten.
„Das ist guter Lognak," sagte der Rathsherr.
„Ja, nun schmeckt er wieder wie gewöhnlich!" meinte der
Bürgermeister.
Und ste bezahlten mit Vergnügen 5v Pfg. für das Glas.
Aber im andern Zimmer saßen der Tischler und der Reifschlägcr
und tranken mit großen Stücken Zucker und warmem Wasser die-
selbe waare für drei Mark die Maaß.
So geht es im Leben I Das ist der ganze Unterschied dazwischen,
billigen Grog zu trinken oder Kaffee mit echtem Martell.-
Lin Lognakpfropfen ist nur ein unbedeutender Radzahn an der
riesigen Maschine der Livilisationsarbeit, aber ist man, wie ich, Kork
in einer Flasche echten Martells gewesen, die 37 Mal geleert und
mit heimischem Schnaps 36 Mal wieder gefüllt wurde, dann hat
man so ziemlich Einblick in das Leben.
Einmal, als hier in Krähwinkel Markt war, hatte ich es recht
arg. An diesem Abend wurden elf Flaschen echter Martell getrunken,
und ich war die ganze Zeit die einzige Flasche, denn die andern drei,
die sonst auch in Gebrauch waren, hatte man aus versehen zur
Schnapsfabrik mitgeschickt.
Als alle andern Gäste um elf Uhr sich entfernt hatten, humpelte
der steifbeinige Bankbuchhalter aus dem hintern Billardzimmer her-
ein, wo er sich versteckt hatte, und — das muß ich sagen — soviel
Küsse und schöne Worte, wie Lotte da bekam, werden zwischen den
Buchhaltern und Bouteillenspülerinnen der Firma Martell in einer
ganzen Woche nicht ausgetauscht.
Sie wollten jedes für sich sparen, und dann sich irgendwo zu-
sammen thun und sich heirathen. Bis dahin sollte Lotte alle andern
Herrn kurz halten und sich nicht einmal auf die Achsel klopfen lassen.
Und dann schwor der Steifbeinige, daß er nie in seinem ganzen
Leben sich aus einem andern Mädchen etwas gemacht hätte, als aus
Lotte, und dann schwor Lotte bei ihrer Seele Seligkeit, daß sie nie-
mals einen andern Mann geküßt hätte, als den Lankbuchhalter, und
dann schimpften sie auf den wirth in den erbaulichsten Ausdrücken.
Und dann wollte der Buchhalter, ehe er ging, mich herunter-
nehmen und sich ein Glas einschenken, aber da sagte sie:
„Ach laß, das ist ja nur Auffüllung! Sieh, da hast Du einen
echten Tropfen Martell!"
Als der Buchhalter gegangen war, kam der wirth auf Filz-
pantoffeln, wie ein Dieb, dahergeschlichen, schlang die Arme um
Lotte's Hals und nannte sic „Engel" und „Schnutchen" und „Herz-
allerliebste" eine ganze Stunde lang, und sie küßten sich, daß ich
glaubte, es nähme gar kein Ende.
Als er gegangen war, nahm Lotte ihren Mantel um und ging
in die Stadt, 'wohin sie ging, weiß ich nicht, denn ich blieb ja in
meinem Flaschenhals sitzen; aber um die Frühstückszeit kam
immer ein Doktor, und am nächsten Morgen kam er zum
Schenktisch und lachte und dankte ihr für den gestrigen
schönen Abend und sah auch wirklich dankbar ans. —
Als ein geborener Martell kann ich ja keine hohe Mein-
ung von dem heimischen Lognak haben, der 36 Mal unter
meinem schützenden Verschluß servirt wurde. Aber so schlecht,
wie immer behauptet wird, kann er doch nicht sein.
Einmal kamen zwei Herren und wollten Lognak und
Wasser babcn, aber „echten Martell". Lotto füllte schleu-
nigst meine Flasche, ging mit den Erfrischungen in's Kla-
vierzimmer, wo sie saßen, hinein, zog mich vor ihren Augen
auf und wischte den Flaschenhals zart und behutsam ab,
wie man es mit echtem Martell zu thun pflegt.
Der eine Herr füllte das Glas und sagte: „Prosit!"
und legte ein längliches, schmales Papier auf den Tisch
und sprach ganz beweglich und bat, der andere möchte
seinen Namen quer aus das Papier schreiben.
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