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Nr. 23

- JUGEND

1898

IRRLICHTER

J. R. Witzei (München).

und seinen bunten Kleidern! — DiesKlap-
pern, Lachen, Rauschen und Schwirren
und das Jauchzen der Kinder!

Reben dem Drchesterpodium, wo es
mit viel Behagen und nach Herzenslust
brummt, fiedelt, quickt und trompetet,
di« alte dicke Dame mit ihren Bierbretz-
eln, ihren Reunaugen, Brathäringen,
Rollmöpsen und saueren Gurken, und
daneben der Mann mit seinem Wurst-
kasten . . .

Aber das schönste ist dieses Liebespaar
neben dem großen Zliederbusch.

Lr ist ganz gewiß ein Zleischeegesell.
Man steht es an seinem breiten Buckel,
der in den festtäglichen, karrirten Kamm-
garn gepreßt ist, an diesen breiten rothen
Händen und diesem massiven Gestcht unter
dem steifen schwarzen Hütchen. Der Sonn-
tagskragen schneidet ordentlich in den
kurzen Hals hinein. Und die giftgrüne
Kravatte mit ihren bordeaurrothen Tü-
pfeln und ihrer blitzenden Talmi-Dese...

Aber dieses gelassen phlegmatische Ge-
stcht in seiner ruhenden Kraft, mit seinen
hellblauen Augensternen, so recht licht
hellblau aus der braunrothen gesunden
Wetterfarbe heraus . . .

Und ste! Trtit ihrem Hellen Zrühlings-
kleid, mit dem Klatschrosenhut und der
breiten Taille!

Sie fitzen ganz still. Unter der Tisch-
kante haben ste die Hände in einander
verschränkt und sehen sich nur immer in
die Augen. Immer mit diesem ruhigen
nachdenklichen Phlegma. Rur für einen

Moment trennen stch ihre Blicke, hasten
immer mit dem nämlichen Ausdruck an
der Umgebung, um stch dann wieder
einander zuzuwenden und ineinander
zu ruhen. Sprechen thun ste kein Wort.

Das steht dumm und wunderlich aus...

EHrr ZD^aarkafteir

In der Birke an der Gartenmauer
haben wir einen Staarkastcn angebracht.
An einer Stange ragt er hoch oben
mitten zwischen dem braunen Gipfelge-
wirr der jungen Reiser mit ihren Baumel-
kätzchen in den blauen Himmel hinein.

So ein richtiger, langer Staarkasten mit
einem runden Loch und einer Stange davor.

Run haben wir schon den ganzen
Tag, während wir im Garten gruben, ge-
lauert, ob er bezogen wird. Und
Triumph! gegen Mittag kamen ste in
einem großen hurtigen Bogen am licht-
blauen Himmel her über die Rachbar-
gärten hinweg mit dem lauen winde
herangeschwirrt: der Meister und die
Meisterin.

Richtig! Sie stutzten! — Setzten stch aus
den roten Dachfirst und hielten einen Rath.

Und dann, nach einer weile, flatterte
der Meister hinüber, schaukelte zwischen
den Reisern, hielt Umschau, prüfte, dann
— schwupp! — näher auf die Stange,
und — schwupp! — mit auswippendem
Schweis in das dunkle Loch hinein. —
und wieder heraus. Auf den Zweig
daneben. — Lin Lockruf. — Madame

flattert hinzu. — Sie sitzen auf dem Zweig,
discutiren, und schwupp! —nun auch sic
in das Loch hinein — und wieder heraus.

All right! — Line neue Diskussion.
Meister fliegt im weiten Bogen davon,
verschwindet im fernen Blau. Madame
noch einmal in das Loch, wieder heraus
und schnurr! hinter ihm her. . .

Aber nun kommen ste auch schon
wieder, ein jedes einen langen Strohhalm
hinter stch nachschleifend,
wir haben unsere Miether.

Heute Abend, wenn wir mit dem Um-
groben fertig sind, werden wir auf der
Bank neben der Hausthür sitzen und
Zreikonzert haben. ..

hinterm ^Harren

Ls ist Abend und wir sitzen auf der
Gartenmauer, wo die Apfelallee in das
freie Gefilde hinausführt.

Draußen ist der rothe Sonnenball
am Rand der junggrünen Saatbreiten
hinabgesunken. Die Staare und Drosseln
singen noch in den Gärten in der wunder-
samen Kühle der Dämmerung und aus
dem Braun der Rabatten leuchten die
Hellen Frühlingsblumen.

Zn der Allee alle die Liebespaare! —
wie ste lachen, kichern und auskreischen,
oder mit verschlungenen Armen, lang-
samen Schrittes hin- und herpromeniren,
die Bursche das Gesicht zu den gesenkten
Mädchenköpsen geneigt, und heimliche
Worte niederflüsternd, oder wie ste stehen

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Josef Rudolf Witzel: Irrlichter
 
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