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Nr. 23

JUGEND

1898

Hans Rossmann (München).

Lied von der Spgrlsmkeit

Melodie: „Ich Hab' den ganzen vormittag “

Ls meint der Zilz, sobald er hört
Von Kneip' und Bummelei,

Im Tugendbusen jach empört,

Daß dies Verschwendung sei.

Lr rechnet aus, wieviel es bringt,

Wenn er sein Lebtag Wasser schlingt.
VivaUera.

Einseitig, wie ja die Moral
Bei solchen Menschen ist:

Was wir ersparen beim Pokal,

Zu schätzen sie vergißt.

Ls spart der Mensch, solang' er kneipt
Und möglichst lange sitzen bleibt.
VivaUera.

Was spart er nicht beim Bier allein
An Knödeln und an Brot!

Denn wo ein Brauhaus steht, o mein,
Da thut kein Backhaus noth.

Auch wird er keine Schuh' zergehn,
Solang sie unterm Biertisch stehn.
VivaUera.

Schont er daheim das Sofa nicht
Und andres Mobiliar?

Und spart er Zeurung nicht und Licht?
Was macht das nicht im Jahr!
was Hab' ich nicht auf solche Art
An Streichelhölzern schon gespart!
VivaUera.

Ls schont, solang' er sitzt beim Bier,
Dem Trank so herb und kühl,

Der Tönekünstler sein Klavier,

Der Dichter sein Gefühl,

Der Bilderhauer seinen Lehm
Und das Modell noch außerdem.
VivaUera.

Der Lehrer schont das Bakelrohr,

Der Richter schont das Recht,

Ls schont der Sänger den Tenor,
le mehr er qualmt und zecht.

Za, manch ein Landesvater schont
Sogar das Volk, worauf er thront.
VivaUera.

Und überleg' ich's mir einmal,

So geht mir's völlig ein:

Zch muß ein Mann von Kapital
Und schon ein Krösus sein.

Schläfriger wirth, sei aufgeweckt
Und borg' mir eine Zlasche Sekt!
VivaUera. ®06-

X)ie €(isen des Gentauren

Ew. Hochwohlgeboren!

Sie schreiben uns eine strohgrobe Postkarte
mit Ansicht, weil Hans Anetsbergers „sterben-
der Centaur“ in No. 19 der „Jugend“ mit
Hufeisen beschlagen ist, was Sie für einen
Anachronismus halten. Sie halten das für einen
Anachronismus, weil nach Ihrer Meinung die
Centauren in grauer Vorzeit lebten, wo es noch
keine Hufeisen gab.

Ew. Hochwohlgeboren irren sich.

Denn erstens berichtet uns ein Bild Meister
Arnolds, dass die Centauren gelegentlich zum
Schmied gehen, um sich beschlagen zu lassen.
Und jener versteht sich besser auf Centauren,
wie der besagte Adressant der ruppigen Post-
karte. Warum sollt’ auch ein Centaur heut-
zutage keine Eisen tragen, da er statt über den
sammtenen Wiesengrund der Fabelzeit über
beschotterte Landstrassen und beinbrecherische
Sturzäcker galoppiren muss, heutzutage. —
„Heutzutage!“ Jetzt lächeln Ew. Hoch-
wohlgeboren ! Ein Centaur und heutzutage?-

Ja, haben Sie denn wirklich noch nie einen
Centauren gesehen, gar nie einen? Wenn Sie
in schweigender, kühler Dämmerung an den
Waldrand hinausgingen, um mit Ihrer Seele
allein zu sein, haben Sie dann nie durch die
bebende Stille des Abends das Klopfen eines
Hufschlags vernommen hinter sich? Und wenn
Sie sich dann erschauernd umwandten, haben
Sie dann nie durch die thauigen Wiesen einen
jener ungeschlachten Gesellen hertraben sehen,
unter dessen Hufen der elastische Boden zitternd
erdröhnte? Nie — gar nie?

Dann haben Sie es wohl auch nie erlebt,
dass ein ziegenfüssiger Faun an Ihnen vorbei
durch’s Walddickicht brach über krachende
Zweige, so schnell, so schnell, dass, bis sie sich
besannen, nur noch ein leichter Bocksgeruch
verrieth, wer da gewesen? Und haben Sie’s
nie silbern lachen hören im Busch und nie
grosse lockende Augen herausbrennen sehen
aus dem grünen Blätternetz und nie den
Schimmer nackter Nymphenleiber, über die
Goldhaar niederwallte in reicher Fluth? Nie?
Ach, was haben Sie da versäumt! Und schauten
Sie einmal in einen stillen Waldsee, wo er-
trunkene Stämme ihre todten Aeste herauf-
reckten aus dem blaugrünen Krystall, dann
sahen Sie wohl nie zwischen dem Geäst und
den Steinen durch ein Nixlein schwimmen mit
perlmutternem Fischschwanz,, das fahlgrüne
Haar durchflöehten mit Schilf und Korallen?
Und fühlten Sie dann nicht, wie aus der durch-
sichtigen Tiefe ein versteinerter, versteinernder

Blick heraufdrang bis in Ihr Herz und Sie trat
wie die Klage einer armen, gefesselten Kreatur
in namenloser Sehnsucht?

Auch das ist Ew. Hochwohlgeboren niemals
vorgekommen? Sie körten keine Dryas weinen,
wenn Sie den Namen ihrer Liebsten in die
glatte Silberhaut einer Buche schnitten? Oder
haben Sie derartigen Baumfrevel überhaupt nie
verübt? Sie sahen an glutheissen Sommertagen
hinwandelnd durch Hügelland mit goldenen,
kornschweren Feldern nie plötzlich ein gehörntes
Riesenhaupt auftauchen hinter einer Kuppe?

Und Wassermänner und Sirenen, Kobolde,
Wichter und Heinzelmännchen, Elfen und Hexen,
Feen, Druden, Berg- und Feuergeister, Riesen
und Zwerge und der ganze übrige Schwarm
der Elementar-Wesen und -Unwesen ist Ihnen
nicht vorgestellt? Ach Sie armer Mann!

Wo unsereiner pochenden Herzens Zwie-
sprache hält mit dem grossen Pan, da stehen
Sie kalt und nüchtern wie ein Wegweiser mitten
in dar Geographie und denken über die Korn-
preise nach! Wenn meinesgleichen mit leuch-
tenden Augen die Nymphen im Tannichtweiher
baden sieht, wälzen Sie Katasternummern und
Holztabellen in Ihrem sehr verständigen Haupt
und wo Einer wie ich auf Du und Du steht
mit dem, was hinter der Natur steckt, da
taxiren Sie die Pracht der Schöpfung einfach
nach Quadrat- und Cubikmetern!

Ja dann! Dann muss es Ihnen freilich
einen Stich durch’s Herz geben, wenn Sie einen
Centauren mit Hufeisen sehen!

Ach Sie Aermster, Sie Allzuärmster! Sehen
Sie mich an:

Ich habe mal einen Faun belauscht, der
hatte einen schäbigen Cylinderhut von einer
Vogelscheuche genommen und aufgesetzt; eine
Nymphe, die hatte ein Paar schwarze Strümpflein
vom Zaun gestohlen und angezogen; eine
Schwester Melusinens in einem Schwimmanzug
aus rothem Baumwolltricot, einen Waldschratt
auf einem Veloziped und einen Nickelmann
mit einer Reform-Pfeife!

So was kriegen Sie nie zu sehen, Sie nicht!

Darum haben Sie auch ein Recht, sich über
die Eisen zu ärgern, womit Anetsberger die
Hufe seines Centauren gegen Basaltschotter und
Glasscherben gepanzert hat! Denn für Sie ist
der grosse Pan gestorben sämmt seinem lustigen
Heer und zwischen dem Thier und dem höchsten
Wesen wissen Sie nichts Lebendiges als so
was nach Ihrem E-benbilde.

Und das ist ein bischen Wenig!

Hochachtungsvoll und ergebenst
Mai 1898 Die ,JUGEND"

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Eos: Lied von der Sparsamkeit
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