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Nr. 24

JUGEND

1898

Die Brüder Grün

Von Gustav Wied

s waren einmal zwei Frösche, die waren
Zwillingsbrüder und Junggesellen und hie-
ßen Qnabbe und Krabbe. Ganz unten auf dem
Grunde eines tiefen Baches neben der großen
Mergelgrube draußen im Brachselde hatten sie
ihr Haus. Und dort unten saßen sie den ganzen
Tag, jeder in seiner Ecke, «ub sagten nicht Muh.
yibcr wenn der Abend kam und die Sonne untcr-
gegangen war, da eilten sie hinauf aus ihrem
Loche und versteckten sich unter ein Paar Huf-
lattichblüttcrn, die oben am Rande der Mergcl-
grube wuchsen, und da lagen sic nun auf ihren
dicken Bäuchen und lauerten, ob nichts Eßbares
sich zeigte. Denn was sie in dieser Welt für's
Höchste hielten, das war Essen, und das ist ja
auch eine gute Sache, wenn mau sie mit Maß
betreibt. Aber sie hatten sich nun so viele Jahre
des Herrn so angepfropft, daß ihr Bauch bis
hinab auf die Kniec hing und ihre Augen mehr
als einen halben Zoll von: Kopfe abstanden.
Ja, sie waren wirklich ein paar schmucke Kava-
liere. Und dazu waren sie so wichtig und selbst-
gefällig, daß sie öfters schon vor Wuth beinahe
geplatzt wären, weil Jemand ihnen widersprochen
hatte. Aber eines muß man ihnen lassen: sie
hielten zusammen, und tvar der Eine beleidigt,
so tvar der Andere cs auch.

„Sic sollten doch trachten, Jeder eine kleine
Frau zu finden, meine Herren!" sagte ei» Stachel-
schwein eines Abends, als cs zum Wasser hinabkam,
um zlt trinken. — „Eine Frau erfreut das Herz
und versüßt das Leben! Und dann die Kinder",
sagte das Stachelschwein und sträubte vor Freude
seine Borsten — „und dann die Kinder!"

Das Stachelschwein tvar nämlich Ehemann
und Vater, und das tvar sein Stolz und seine
Freude. — „Kümmern Sie sich um sich selbst!"
sagte Qnabbe, der mit einem Regenwurm dasaß,
der ans seinem Mundtvinkcl herabhing. — „Es
hat Sie Niemand um Ihre Meinung gefragt!"
Und Krabbe schob seine Augen noch weiter ans
dein Kopf, schielte nach dem Stachelschivein und
sagte: „Das ist überhaupt unser Wasser."

„Ich bitte um Verzeihung!" sagte das
Stachelschivein, das eilt höflicher, gutmütiger
Bursche tvar. — „Das wußte ich nicht. Aber ich
darf wohl noch einen Mund voll nehmen? Ich
bin so durstig." Keiner der Brüder antwortete;
sie kehrten ihm Beide den Rücken zu und glotzten
hinauf zu einer schönen grünen Fliege, die oben
unter einem Huflattichblatt spazieren ging. Der
Eine lvar bange, daß dcrAndcre sie fangen konnte.

Aber gerade als Krabbe sie dem Bruder vorder
Pase wegschnappen wollte, flog sie fort:

„Hast mich?" sagte die Fliege, und weg war sie.

„Man hat nicht immer Glück", bemerkte das
Stachelschwein theilnehmend; es hatte nun seinen
Durst gelöscht u:id fand, das es etwas Liebens-
würdiges sagen mußte, weil cs hatte trinken dürfen.

„Wie wäre es, wenn Sie Ihrer Wege gingen",
sagte Qnabbe.

„Es hat niemand um sie geschickt", fügte Krabbe
hinzu.

„Ja, dann gute Nacht! Und guten Fang!"
nickte das Stachelschwein höflich und trabte davon.

„Stccknadelkisscn I" niurmelte Quabbe und sah
ihm mit seipen gestielten Angen nach.

„Rüssclbiß!" sagte Krabbe.

„Mir scheint, dieses Stachelvieh sprach davon,
daß wir heirathen sollten", brummte hieraus
Qnabbe. „Ho ja", lachte Krabbe säuerlich. „Wenn
Leute itis Unglück kommen, wollen sie gerne An-
dere mitziehen. Der Kerl sitzt mit einem ganzen
Nest voll Jungen da!"

„Kann man sie essen?" „Ja, die Krähen haben
sie sehr gerne." — „Dann sollen sie sie nur ver-
speisen !" sagte Krabbe. „Es ist eklig mit all den
Jungen, die in die Welt gesetzt werden. Alle
wollen sie Futter haben. Es bleibt bald für
uns nichts mehr übrig." „Ja, das ist wirklich
wahr, Bruder", sagte Krabbe. „Und daran ist nur
die Liebe schuld." „Und die vielen Heirathen!" —
„Nicht Viele sind so klug wie wir!" „Nein, das
ist ein wahres Wort!" „Wir kümmern uns nm
uns selbst!" „Das thun wir." „Und wir kommen
Keinem zu nahe!" „Nein, wenn nur die Andren
uns in Frieden lassen!" „Ja, sichst Du keine
Fliegen?" „Nein, nicht eine einzige habe ich in
der letzten halben Stunde gesehen." „Ich auch
nicht." „Wo bleiben sic nur Alle?" „Die Anderen

Franz Kozics (München).

fangen sie." „Für uns bleibt Nichts übrig."
„Wir müssen hungrig zu Bett gehen." „Das
müssen wir ja immer." „Wenn ich nur so groß
tväre, daß ich alles Futter der ganzen Welt essen
könnte!" sagte Quabbe. „Ja, und wenn ich Dir
dabei helfen könnte", sagte Krabbe.

So saßen sie und plauderten und murinelten
und brunnnelten, die zwei lieben Brüder, bis
tief in die Nacht; und bald schnappten sie eine
Fliege bald einen Nachtschwärmer, und bald eine
Mücke, und schnalzten sie mit ihren breiten
Mäulern in sich hinein, so daß cs klang, wie
ivenn nran ein paar nasse Handschuhe zusammen-
schlägt; aber satt wurden sie nicht, sagten sie,
it»d erst gegen Morgen, als es nnsing licht zu
werden, krabbelten sic zu ihrem Loche hin und
ließen sich hinabplumpsen. Und da saßen sie
mm von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang
und schliefen und verdauten. Und dimkel tvar
cs drunten ltitb feucht und trübselig; aber das
tvar gerade nach ihrem Geschmack.

Aber droben im klaren Sonnenschein war
Leben und Licht und Freude und Lustigkeit!
lieber deni Wasser schwärmten Schmetterlinge
Ntid Libellen und setzten sich bald auf die eine
Blume, bald auf die andere; kleine, niedliche Fische
schlvammen ans den: Wasserspiegel umher und
schlugen mit den Schwänzen und spielten Fangen.
Oben ans den Feldern hüpfte der Hase in dem
frischen Gras und nahm einen Mund voll hier
iltld einen Mund voll dort; »tid hoch oben in
der Lilft kreisten Schwalbe» und Lerchen und
genossen die Aussicht und sahei: aics das Ganze
herab und auf ben Storch, der in seinen langen
rothen Stiefeln drüben in einer Ecke der Mergel-
grnbe umherivatete; er hob die Füße so hoch und
setzte sie ga:iz stille wieder hin, nm keinen Lärm
zu machen.

Auf einmal fiel sein Auge aus ein rundes Loch.

„Gott tvciß, wer da wohnen mag," dachte er
Ntld gittg hin. Und als er am Rande des Loches
stand, legte er ben Kopf schief und guckte hinab.

„Nehme» Sie sich in Acht! nehmen Sie sich
in Acht," rief ein Schmetterling, der vorbeiflog.
Aber bevor der Storch fragen konnte: „Waruul?"
tvar er verschtvilnden.

„Sind Sie verrückt? Sind Sie verrückt?" -
schrie eine Wnsscrjnngser, die sich auf der Spitze
einer Binse sonnte, „sind Sie verrückt, sind Sic
verrückt?" lind eine kleine blaugrüne Fliege, die
auf einem Wnsserlilienblatt vorbeiscgelte, schrie
and): „Sind Sie toll?" und wäre beinahe vor
Schreck kopfüber in's Wasser geplumpst.

„Aber, Gott behüte," sagte der Storch — es
wurde ihm ganz bedenklich zil Mnthe — „wer
wohnt den» in diesem Loche?"

Adolf Höfer (München).

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Index
Gustav Wied: Die Brüder Grün
Francis Maro: Die Brüder Grün
Ferenc (Franz) Kozics: Zierleiste
Adolf Höfer: Zeichnung ohne Titel
 
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