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1898

* JUGEND -

Nr. 24

Und der Löwe that also.

Aber der ältere Bruder fragte den Löwen:

Wie kommt es, dass Du die Ziege frisst,
welche ihr Junges suchte?'

Du hast gehört, wie sie über die Un-
geschicklichkeit ihrer Hufe jammerte und
klagte, antwortete der Löwe. That ich nicht
gut daran sie zu fressen? Sieh meine Tatzen,
die geschickt sind. Sieh die Geschick-
lichkeit meiner Zähne. Darum frass ich die
Ziege.

Der Jüngling dachte nach und betrachtete
aufmerksam seine Arme, die lang, stark und
derb waren .... Er fand sie so geschickt....,
dass er sich vornahm, seinen jüngeren Bruder
zu zwingen, ihm zu dienen.

Und da dieser ihn wiederum bat, Früchte
für ihn zu pflücken, antwortete er:

Siehe meine Arme. Hast Du mir nicht
gesagt, dass die deinen nicht bis zu den
Granaten reichen? Diene mir, auf dass ich
Dich nicht verschlinge.

Von diesem Augenblicke an diente der
jüngere Bruder dem älteren. Aber er freute
sich nicht über die Entdeckung, welche jener
dem Löwen zu verdanken hatte.

Und das ist also geblieben bis auf diesen Tag.

O Vater, sage mir, warum die Sonne
nicht herunterfällt?

Der Vater war beschämt, weil er nicht
wusste, warum die Sonne nicht herunterfällt,
und er bestrafte sein Kind, weil er beschämt
war.

Das Kind fürchtete den Zorn des Vaters,
und fragte nie mehr Etwas, weder warum
die Sonne nicht herunterfällt noch auch andere
Dinge, die es doch so gerne wissen wollte.

Dieses Kind ward niemals ein Mann, trotz-
dem es sechstausend Jahre lebte ...., nein,
viel länger noch.

Es ist dumm und stumpf geblieben, bis
auf diesen Tag.

• *

*

„Le premier roi fut un soldat heureux!“
sagte Voltaire, allein ich weiss nicht, ob es
wahr ist! Die nachfolgende Geschichte aber
ist wahr.

Krates war sehr stark. Er stiess Brüstungen
aus Baumstämmen mit Daumen und Zeige-
finger um, und konnte dreizehn Feinde mit
einem Schlage tödten. Wenn er hustete,
entstand Brand durch das Zusammenpressen
der Luft, und der Mond zitterte, wenn Krates
nur daran dachte sich zu bewegen.

All dieser Verdienste wegen ward Krates
König.

Und er starb, nachdem er eine Zeitlang
König gewesen war.

Aber der kleine Krates, sein Söhnchen,
hatte die englische Krankheit gehabt, was
ihn aber nicht hinderte König werden zu wollen,
an Stelle seines Vaters, der so stark gewesen.
Er setzte sich auf seinen Stuhl, den er Thron
nannte, und rief:

Ich bin König!

Warum bist Du König? fragte das Volk,
das noch dumm war und vom Erbrecht nichts
wusste.

Nun, weil meine Mutter in einer Hütte
gewohnt hat mit dem alten Krates, der nun
todt ist.

Eigentlich sagteer: Palast, aber es war
eine Hütte.

Das Volk begriff diese Schlussfolgerung
nicht, und wenn Krates II. rief: „Kommt!“,
dann gingen Alle fort. Wenn er aber sagte:
„Gehtl“, dann kamen lie Alle herbei. Kurzum,

die Autorität war geschwunden, und Krates II.
war zu dumm, um mit seinem Willen durch-
zudringen.

In dem Oppositionsblatt jener Tage las
man das Folgende:

Warum, o Krates der Zweite, Du, der Du
krummbeinig bist und unbesonnen, warum
nahmst Du Platz auf dem Sitze des Mannes,
der vor zwanzig Jahren in einer Hütte
wohnte mit der Frau, die Dich geboren hat?
Stehe auf und mache Platz, und sage nicht
„gehtl“ oder „kommt!“, gleich als wärst Du
der echte alte Krates! Wo sind die Boll-
werke aus Eichenholz, die Du mit Deinem
Finger umgestossen hast? Der Mond zittert
nicht, wenngleich Du an Spaltung des Welt-
alls denkst. Du kannst keinen Floh töten
und nirgends entsteht Brand, wenn Du niesest.
Stehe auf und mache einem Anderen Platz,
der alle diese nützlichen Dinge besser versteht.

So sprach die Opposition.

Krates hätte wahrscheinlich aufstehen
müssen von dem Stuhl, den er Thron nannte,
wenn nicht eine alte Amme also zum Volk
gesprochen hätte:

Höre mich an, o Volk, denn ich war
die Amme des kleinen Krates, als er noch
kleiner war als jetzt I Als er geboren ward,
hat sein Vater sich das Haupt gesalbt mit
Oel, und siehe, ein Tropfen jenes Oeles fiel
auf das Haupt meines Pflegekindes. Darum
ist es nicht nöthig, dass er Mauern'umstösst,
und es ist auch nicht nöthig, dass der Mond
zittert, und dass Brand entstehe, wenn er
hustet. Ich sage Euch ....

Aber die beredte Amme brauchte nicht
auszusprechen. Die Konsequenz war so leicht
zu ziehen, dass das ganze Volk — und die Re-
daktion des Oppositionsblattes am lautesten —
wie einstimmig ausrief:

, Es lebe der Gesalbte des Herrn!

Und Krates blieb sitzen auf dem Stuhl,
den er Thron nannte.

Und er ist darauf sitzen geblieben bis auf
diesen Tag.

Thugater, die Tochter und Melkerin, melkte
die Kühe ihres Vaters, und sie melkte gut,
denn die Milch, welche sie heim brachte,
gab mehr Butter aus, als die Milch, welche
ihre Brüder heim brachten. Ich will erzählen,
wie das zuging.

Fritz Erler (München).

Bevor die jungen Landleute die Weide be-
treten, ja lange vorher schon, stehen die Kühe
am Zaun, wartend, dass man sie von dem
Ueberfluss befreie, den sie für ihre Kälber
in Bereitschaft halten.

Was geschieht nun, während die Kühe
mit den dummen Gesichtern vor dem Zaune
warten? Während dieses Stillstehens treibt
der leichteste Tlieil der Milch, der Rahm,
das Fett, die Butter, nach oben.

Wer nun geduldig melkt, bis zuletzt hin,
bringt fette Milch heim. Wer sich beeilt,
lässt Rahm zurück.

Und siehe, Thugater beeilte sich nicht,
doch ihre Brüder wohl.

Denn diese behaupteten, dass sic auf et-
was Anderes Anrecht hätten, als auf das
Melken der Kühe ihres Vaters. Sie aber
dachte nicht an jenes Recht.

Mein Vater hat mich gelehrt, mit Pfeil und
Bogen zu schiessen, sprach einer der Brüder.
Ich kann von der Jagd leben und will in der
Welt umherlaufen und für eigene Rechnung
arbeiten.

Mich lehrte er fischen, sagte ein Zweiter.
Ich wäre wohl ein Thor, wenn ich immer
für Andere melken wollte.

Mir zeigte er, wie man ein Schiff macht,
rief der Dritte. Ich haue einen Baum um,
setze mich darauf, und lasse mich über das
Wasser treiben. Ich will wissen, was es
jenseits des Meeres zu sehen gibt.

Ich habe Lust, mit der blonden Gune
zusammen zu wohnen, damit ich mein eigenes
Haus habe und Thugaters darin, die für mich
melken.

So hatte jeder der Brüder einen Wunsch,
eine Begierde, einen Willen. Und sie waren
so ganz erfüllt von dem Gedanken an ihre
Wünsche und Neigungen, dass sie sich keine
Zeit dazu Hessen, den Rahm mitzunehmen,
den die Kühe nun bei sich behalten mussten,
ohne Nutzen für irgend Jemanden.

Aber Thugater melkte bis auf den letzten
Tropfen.

Vater, riefen endlich die Brüder, wir
gehen.

Wer wird dann melken? fragte der Vater.

Nun, Thugater natürlich!

Und wie wird es dann werden, wenn
auch sie Lust verspürt zu segeln, zu fischen,
zu jagen und die Welt zu sehen? Wie wird
es werden, wenn auch sie den Einfall be-
kommt, mit etwas Blondem oder Braunem
zusammen wohnen zu wollen, damit sie ein
eigenes Haus habe mit Allem was dazu gehört?

Euch kann ich entbehren, sie aber nicht_,

weil die Milch, die sie heimbringt, so fett ist.

Darauf erwiderten die Söhne nach einer
Weile: Vater, lehre sie nichts! Dann wird
sie weiter melken bis an das Ende ihrer
Tage. Zeige ihr nicht, wie man mit der
straffgespannten Schnur den Pfeil abschiesst:
dann wird sie zum Jagen keine Lust ver-
spüren. Verrathe ihr nicht die Eigenschaft
der Fische, die den scharfen Haken verschlucken,
wenn an ihm ein Köder befestigt ist: dann
wird es ihr nicht einfallen, Angeln oder Netze
auswerfen zu wollen. Sage ihr nicht, dass
man einen Baumstamm aushöhlen und damit
über das Meer treiben kann bis an das jen-
seitige Ufer: dann wird das jenseitige Ufer
sie nicht reizen. Und lasse sie niemals wissen,
wie man mit Blond oder Braun ein eigenes
Haus begründen kann und Alles was dazu
gehört! Wenn sie all dies niemals erfährt,
o Vater, dann wird sie bei Dir bleiben und
die Milch Deiner Kühe wird fett sein. Und
dann .... lass uns gehen, Vater, einen Jeden
seinem eigenen Wunsche nach!

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Fritz Erler: Zeichnung ohne Titel
 
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