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Nr. 24

JUGEND

1898

*

J. R. Witzei (München).

So sprachen die Söhne. Aber der Vater

— der ein sehr vorsichtiger Mann war —
hub wiederum an:

Aber sagt mir, wer wird es verhindern,
dass sie das weiss, was ich sie nicht lehrte?

Wie wird es sein, wenn sie die Fliege
auf dem treibenden Aste umherschwimmen
sieht?

Wie, wenn der gespannte Faden ihres
Gespinnstes seine einstige Länge wieder ge-
winnt und, sich schnell wieder zusammen-
ziehend, durch Zufall die Klöppel ihres Web-
stuhles forttreibt?

Wie, wenn sie am Rande des Baches
den Fisch beobachtet, welcher nach dem
schlängelnden Wurme schnappt, aber dann,
durch allzu grosse Begierde irre geführt,
an den schneidenden Blättern des Schilfes
hängen bleibt?

Und wie endlich, wenn sie das Nestchen
findet, das die Lerchen sich im Mai im dich-
ten Klee bauen?

Die Söhne dachten wiederum eine Weile
nach und antworteten dann:

Sie wird von all dem nichts lernen, Vater!
Sie ist zu dumm, um Begierden und Wissen-
schaft in sich aufzunehmen. Auch wir
würden nichts gewusst haben, wenn Du uns
nichts gesagt hättest.

Aber der Vater antwortete:

Nein, dumm ist sie nicht 1 Ich fürchte,
dass sie aus sich selber all das lernen wird,
was Ihr ohne mich nicht lerntet. Dumm
ist Thugater nicht 1

Da dachten die Söhne wiederum nach

— diesmal gründlicher — und sagten:

Vater, sage ihr: dass Wissen, Beg reifen

und Begehren.... sündig sei iür ein
Mädchen I

Diesmal war der sehr vorsichtige Vater
befriedigt. Er Hess seine Söhne fortziehen,
zum Fischfang, auf die Jagd, in die weite
Welt, in die Ehe .... überall hin....

Allein er verbot das Wissen, das Be-
greifen und das Begehren der Thugater,
welche bis an ihr Ende in Unschuld und
Einfalt weiter melkte.

Und das ist also geblieben bis auf diesen
Tag.

„Mittagessen"

(Berliner Erinnerung)

einen großen Tisch
Sind wir Herumgesessen
Und Haben ausgezeichnet
Getrunken und gegessen;

Geistreiche Leute waren auch dabei,
weiß Gott, da konnte man merken,
was Witz und Bosheit sei.

Zu Suppe, Braten, Zisch, Kompot,
Salat und süßer Speise
Maultrommelte Kritik und Spott,

Ls reimte Teufel sich auf Gott
Zn dieser muntern weise.

Von der Suppe bis zum Schnapse
Saß ich sprachlos da,
wie getroffen vom LoUapse,
wußte nicht, wie mir geschah.
Tournedos, Laviar, Lampreten,
Rindfleisch ä la Bordelais',

Stilton-, Schweizer-, Lhesterkäs,

Und dazwischen immer Reden!
Bismarck, Haydn, Stinde, Goethe,
Wagner, Bungert, Dahn, Homer,
Zledermaus und Zauberssöte,

Ludolf Waldmann, Meyerbeer;
China, Japan, Böcklin, Thumann,
Thoma, Werner, Stuck und Knaus,
Johann, Lduard, Richard Strauß,
Kaiser Wilhelm, Robert Schumann ...
Mahlzeit! Mahlzeit!! Laßt's mi aus!!!

Duo Julius Vierdaum.

Visioij

Mir war’s, ich stand in einem goldnen Saale,
per war von tausend derzeit hell erleuchtet,

Mt V^ränzen reich verziert, geschmückt mit Rändern
Und wie zu einerg feste vorbereitet.

Hoch in der Mite sass auf stolzem Uhronstuht
€in wunderbares, königliches Veib.

pas Goldhaar floss ig langeg, dichteg lockeg
Jhr um die üpp’geg, sanft geschwellteg Schulterg,
Und aus dem märchenhafteg .Antlitz strahlte
Uhr )\uge, hell und leuchtend, wie die Sonne.

Pa schmetterteg fanfareg durch die Stille,
pie p/orteg flogeg auf — eig trateg fürsteg,

€s wareg stolze fürsteg! — Poch vor dem Blicke,
Per gleissend aus des Veibes JAugeig sprühte,
Pa thateg ihreg Stolz die fürsteg ab
Und neigteg tief sich vor dem Veib — die fürsteg!
Und €hregmänger trateg ig deg Saal,

Poch stumm — bei ihrem Bl'ck« — zogeg alle
Pie €hre aus zu ihres Chrones Stufeg,

Sie legend als Tribut zu ihreg füsseg,

Und wurdeg Schurkeg — all’ die tücht'gen Mnner.
Und fraueg kamen, edle, hohe fraueg,

Und Ji/Iädcheg, reine unberührte Mdcheg,
pes Veibes päthselauge ruht auf ihnen,

Und schamlos liegeg sie vor ihr im Staube
Als feile Pirneg ihreg Körper preisend,
poch unbeweglich sitzt das schöne Veib
Auf seinem goldneg Chrog, sieht mit Verachtung,
Unsagbar höhnisch auf der Mnscheg Treibeg.
cha nah' auch ich mich ihr und thu' die frage;
„Ver bist Pu, allgewalt'ge Jüauberig,
j)ie Pu die Veit zu Peineg füsseg zwiggst,

Als fürstig herrschest über Könige,

Pie J)u deg Mnnerg ihre €hre nimmst,

Pegfraueg ihre Scham? 0 sprich, wer bist pu?"
pa lächelte das Veib und gab mir Antwort;

„Sch big das Gold!"

Walther von Rummel.

P. P.

Eben bekomme ich Nr. 21 der „Jugend" zn
Gesicht.

Na!

Selbsterkeuiitniß ist ja ein schönes Ding, aber
sie braucht nicht in Echnismus auszuarten. Und
dass sie schon ihr (sie gestatten wohl u. s. w.)
Titelblatt mit Rindvieh schmücken..... mir
kann's recht sein! Auf der Zeichnung von Conrad
Starke in Brüssel nimmt eine Stallinagd ihr
abendliches Fußbad — zum Glück hat uns der
Zeichner durch resolutes Abschnciden ihrer Bein«

4 io
Register
Walther v. Rummel: Vision
Josef Rudolf Witzel: Neckerei
B. Eckmesser: P. P.
Otto Julius Bierbaum: Mittagessen
 
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