1898
JUGEND
Nr. 25
Gefühlen der Jünglingsbrust ihr thörichtes Spiel zu treiben. — Wie alle
Dichter, war der gute Kurt, wenigstens in jener Periode seines Lebens, von
einer auffallenden erotischen Vielseitigkeit. Besonders in Fensterpromeuaden
bethätigte er sich als ein gewissenloser Don Juan. Es kam ihm gar nicht
darauf an, heute vor dem Fenster der schönen blonden Hannah und
morgen schon vor der Wohnung der lieblichen braunen Lucie frivolen
Schrittes ans und ab zn wandeln I Er fand das ganz in der Ordnung,
nummerirte einfach die Mädchen und dichtete sie kaltblütig ab.
Ich zog mich damals von ihm zurück. Meiner schwerfälligen Natur
konnte eine derartige lockere Lebensauffassung nicht behagen. Auch ich
dichtete wohl schon, aber mein Sang galt nicht diesem Plural kichernder
Backfische, sondern den ewigen, erhabenen Idealen der Menschheit. An sie
richtete ich meine ernstgemeinten Oden — auf ein lebendiges, roncretes
Mädchen Gedichte zu machen, kani mir nicht in den Sinn und ich miß-
achtete den guten Kurt ob seiner Tändelei.
Inzwischen hat sich das geändert. Ich bin der erotischen Empfinduugs-
weit einigermaßen näher gerückt und zur Zeit... Aber das gehört nicht hierher.
Abgesehen von dieser seiner dichterischen — sagen wir nial: Ader, ist nun
aber der gute Kurt in Wandel und Thaten sonst stets ein braver und correcter
Mensch gewesen, weshalb er auch mit Recht der gute Kurt genannt wird.
Nachdem er die fünf Examina, die der anständige Mensch hier auf
Erden absolviren muß, bestanden hat, nämlich das Abiturientenexamen, das
Doktorexamen, das Offiziersexamen, das Referendarexanien und das Assessor-
examen — steht er jetzt als dreißigjähriger Manu und stellvertretender Land-
rath, tadellos gekleidet und vermählt mit einer Tochter aus guter und
begüterter Familie, wie ein leuchtendes Musterbeispiel, geradezu als Para-
digma da. So ist er im schönsten Sinne des Wortes ein fertiger Manu
— darüber hinaus gibt es jetzt nur noch Beförderungen!
Nun sollte man meinen, daß ein Mensch, der in dieser Weise Alles
erreicht hat, was für den jungen Mann aus besseren Kreisen irgend werth
ist, erstrebt zu werden, wohl Ursache habe, mit seinem Loose zufrieden zu sei».
Man sollte meinen, daß die Pflege langer und eleganter Fingernägel, die
musterhafte Handhabung der Bartbinde, verbunden mit den Anregungen
und Genüssen der guten Gesellschaft wohl geeignet wären, ein armes
Menschenherz nach einem Menschenaltcr voller Examen in Ruhe und glück-
lichen Frieden zu wiegen. Doch ach, beim guten Kurt trifft das Alles nicht
zu: er ist nicht glücklich.
Er hat etwas in sich entdeckt, was er seine innere Persönlichkeit nennt.
Diese, so meint er, stehe mit seinem äußeren Menschen, so wie sich solcher
den Augen sichtbar darstelle, in einem derartigen Widerspruch» daß er,
der gesammte arme Kurti, drunter ewig leiden müsse.
Plan muß sich den Zustand so vorstellen, wie eine unglückliche Ehe,
veren Scenen sich im Bewußtsein ein und desselben Individuums abspielen.
Der Regierungsassessor hat den freigeistigen Dichter zweifellos unter dein
Pantoffel, aber er wird dessen nicht froh, die heimtückischen Kränkungen
seitens des unterdrückten Dichters lassen ihin keine Ruhe.-— — — —
Berlin, dieses nie genug zu schmähende Berlin, hat auch dieses Unheil
ans dem Gewissen, aus dem guten Kurt, der edlen Anspruch darauf besaß,
ein zufriedener Mensch zu werden, der dazu geboren schien, sich und den
Vorgesetzten ein Wohlgefallen zu sein, einen einsamen Mann gemacht zu
haben, der an sich und am Leben keine rechte Freude mehr hat.
Er hatte Berlin nicht gesehen, bevor er im vorigen Sommer hierher-
kam, um sein Assessorexamen zu bestehen. Das war falsch, aber die sorgende
Mutter hatte cs gut gemeint.
Er micthete sich zwei Zimmer in der Steglitzerstraße bei einer Wirthin,
deren Miether bisher, solange sie ihre Wohnung inne hatte, noch alle ihr
Examen bestanden hatten. Die alte Frau war indessen abergläubisch ge-
worden und war der Meinung, daß das Heil ihrer Zimmerherren von den:
möglichst unveränderten Zustande ihrer bewährten Wohnräume abhinge, und
oahcr wurde sie sehr böse, als der gute Kurt bald nach seinem Einzüge in
höflicher und bescheidener Forni die Ansicht äußerte, daß man die Wanzen,
die ihn während der Nacht angeblich belästigten, vielleicht dadurch bekämpfen
könne, daß man das Schlafzimmer frisch tapeziren und den Fußboden neu
streichen ließe. Sie schlug ihm das rundweg ab, obwohl er sich erbot, die
Kosten mit ihr zu theilen.
Der gute Kurt war traurig und erkundigte sich bei einigen Korps-
brüdern, die zu dem gleichen Zwecke wie er in Berlin weilten, was er
da wohl thun solle. Diese aber klärten ihn darüber auf, daß das in Berlin
nun einmal nicht anders wäre, daß sie alle auch welche hätten, und be-
schworen ihn, indem sie ihn auf den Werth der Erinnerungen hinwiesen,
nicht muthwillig seinen Berliner Aufenthalt für alle Zukunft des Lokal-
kolorits zu berauben.
sulius Diez (München).
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Gefühlen der Jünglingsbrust ihr thörichtes Spiel zu treiben. — Wie alle
Dichter, war der gute Kurt, wenigstens in jener Periode seines Lebens, von
einer auffallenden erotischen Vielseitigkeit. Besonders in Fensterpromeuaden
bethätigte er sich als ein gewissenloser Don Juan. Es kam ihm gar nicht
darauf an, heute vor dem Fenster der schönen blonden Hannah und
morgen schon vor der Wohnung der lieblichen braunen Lucie frivolen
Schrittes ans und ab zn wandeln I Er fand das ganz in der Ordnung,
nummerirte einfach die Mädchen und dichtete sie kaltblütig ab.
Ich zog mich damals von ihm zurück. Meiner schwerfälligen Natur
konnte eine derartige lockere Lebensauffassung nicht behagen. Auch ich
dichtete wohl schon, aber mein Sang galt nicht diesem Plural kichernder
Backfische, sondern den ewigen, erhabenen Idealen der Menschheit. An sie
richtete ich meine ernstgemeinten Oden — auf ein lebendiges, roncretes
Mädchen Gedichte zu machen, kani mir nicht in den Sinn und ich miß-
achtete den guten Kurt ob seiner Tändelei.
Inzwischen hat sich das geändert. Ich bin der erotischen Empfinduugs-
weit einigermaßen näher gerückt und zur Zeit... Aber das gehört nicht hierher.
Abgesehen von dieser seiner dichterischen — sagen wir nial: Ader, ist nun
aber der gute Kurt in Wandel und Thaten sonst stets ein braver und correcter
Mensch gewesen, weshalb er auch mit Recht der gute Kurt genannt wird.
Nachdem er die fünf Examina, die der anständige Mensch hier auf
Erden absolviren muß, bestanden hat, nämlich das Abiturientenexamen, das
Doktorexamen, das Offiziersexamen, das Referendarexanien und das Assessor-
examen — steht er jetzt als dreißigjähriger Manu und stellvertretender Land-
rath, tadellos gekleidet und vermählt mit einer Tochter aus guter und
begüterter Familie, wie ein leuchtendes Musterbeispiel, geradezu als Para-
digma da. So ist er im schönsten Sinne des Wortes ein fertiger Manu
— darüber hinaus gibt es jetzt nur noch Beförderungen!
Nun sollte man meinen, daß ein Mensch, der in dieser Weise Alles
erreicht hat, was für den jungen Mann aus besseren Kreisen irgend werth
ist, erstrebt zu werden, wohl Ursache habe, mit seinem Loose zufrieden zu sei».
Man sollte meinen, daß die Pflege langer und eleganter Fingernägel, die
musterhafte Handhabung der Bartbinde, verbunden mit den Anregungen
und Genüssen der guten Gesellschaft wohl geeignet wären, ein armes
Menschenherz nach einem Menschenaltcr voller Examen in Ruhe und glück-
lichen Frieden zu wiegen. Doch ach, beim guten Kurt trifft das Alles nicht
zu: er ist nicht glücklich.
Er hat etwas in sich entdeckt, was er seine innere Persönlichkeit nennt.
Diese, so meint er, stehe mit seinem äußeren Menschen, so wie sich solcher
den Augen sichtbar darstelle, in einem derartigen Widerspruch» daß er,
der gesammte arme Kurti, drunter ewig leiden müsse.
Plan muß sich den Zustand so vorstellen, wie eine unglückliche Ehe,
veren Scenen sich im Bewußtsein ein und desselben Individuums abspielen.
Der Regierungsassessor hat den freigeistigen Dichter zweifellos unter dein
Pantoffel, aber er wird dessen nicht froh, die heimtückischen Kränkungen
seitens des unterdrückten Dichters lassen ihin keine Ruhe.-— — — —
Berlin, dieses nie genug zu schmähende Berlin, hat auch dieses Unheil
ans dem Gewissen, aus dem guten Kurt, der edlen Anspruch darauf besaß,
ein zufriedener Mensch zu werden, der dazu geboren schien, sich und den
Vorgesetzten ein Wohlgefallen zu sein, einen einsamen Mann gemacht zu
haben, der an sich und am Leben keine rechte Freude mehr hat.
Er hatte Berlin nicht gesehen, bevor er im vorigen Sommer hierher-
kam, um sein Assessorexamen zu bestehen. Das war falsch, aber die sorgende
Mutter hatte cs gut gemeint.
Er micthete sich zwei Zimmer in der Steglitzerstraße bei einer Wirthin,
deren Miether bisher, solange sie ihre Wohnung inne hatte, noch alle ihr
Examen bestanden hatten. Die alte Frau war indessen abergläubisch ge-
worden und war der Meinung, daß das Heil ihrer Zimmerherren von den:
möglichst unveränderten Zustande ihrer bewährten Wohnräume abhinge, und
oahcr wurde sie sehr böse, als der gute Kurt bald nach seinem Einzüge in
höflicher und bescheidener Forni die Ansicht äußerte, daß man die Wanzen,
die ihn während der Nacht angeblich belästigten, vielleicht dadurch bekämpfen
könne, daß man das Schlafzimmer frisch tapeziren und den Fußboden neu
streichen ließe. Sie schlug ihm das rundweg ab, obwohl er sich erbot, die
Kosten mit ihr zu theilen.
Der gute Kurt war traurig und erkundigte sich bei einigen Korps-
brüdern, die zu dem gleichen Zwecke wie er in Berlin weilten, was er
da wohl thun solle. Diese aber klärten ihn darüber auf, daß das in Berlin
nun einmal nicht anders wäre, daß sie alle auch welche hätten, und be-
schworen ihn, indem sie ihn auf den Werth der Erinnerungen hinwiesen,
nicht muthwillig seinen Berliner Aufenthalt für alle Zukunft des Lokal-
kolorits zu berauben.
sulius Diez (München).
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