Nr. 25
JUGEND
1898
Emil Neumann (München).
So hielt es denn der gute Kurt tapfer aus,
er war es ja gewohnt, alles hinzunehmen, was
konventionell geboten schien, und sobald er jene
Thiere als dazugehörig erkannt und begriffen
hatte, sträubte sich sein Gemüth nicht länger:
Der Geist innerer Auflehnung war damals noch
nicht in ihm geweckt. Der Winter verging
unter fleißiger stiller Arbeit.
Als ich aber im nächsten Frühjahr eines
Morgens in Florenz erwachte, brachte man mir
eine Postkarte vom guten Kurt an's Bett, iiber
die ich mich nicht wenig verwunderte. Sielautete:
„Ich ziehe um. In meine Räume
Ist jäh der Frühling eingekehrt —
Nicht länger fesseln Winterträume
Das Leben, das sich still genährt.
Ich ziehe um! Ein frisches Treiben
Jst's, das auch mich lebendig zieht:
Ich kann hier nicht mehr wohnen bleiben,
Ich ziehe um nach Moabit!"
Bei jedem Andern hätte mich die ziemlich
alltägliche Erscheinung eines Umzuges wegen
Ungeziefers in keine besondere Erregung versetzt,
bei meinem Netter Kurt indeß erschien mir dies
sofort als ein für seine innere Entwickelung
bedeutsames Ereigniß, als ein erster Schritt auf
dem Wege einer Emanzipation, die ihn noch
zu abenteuerlichen Zielen hinführeu konnte: cs
war mir etwas wie eine Vorahnung kommender
Dinge.
Als ich dann wieder nach Berlin kam, wohnte
er thatsüchlich in Moabit in einem ganz neuen
Hause, Wand an Wand mit einer jungen
Schauspielerin und deren tauber Großmutter.
Das heißt — um Gotteswillen! — in allen
Ehren. Er hatte, als er dort einzog, nicht die
geringste Ahnung von dieser Nachbarschaft ge-
habt — ini Gegentheil: er hätte die Wohnung
sicherlich nicht genommen, wenn er davon ge-
wußt hätte: denn ivas es für einen Mann, der
die Ministerialverfügungen verflossener Jahr-
zehnte auswendig zu lernen die Noth hat, be-
deutet, Ohrenzeugc der verschiedenen Sprach-
leistungen zu sein, die der bürgerliche Beruf
der jungen einerseits und der physische Zustand
der alten Dame andrerseits zur Folge hatten —
das brauche ich wohl blos anzudeuten.
Dennoch blieb der arme Kurt in dieser zweiten
Wohnung geonldig bis an's Ende wohnen:
zweimal zu einem Examen umzuziehen, würde
ihm doch allzu frivol erschienen sein. Und
außerdem--—-
— Weißt Du — sagte er, als er sich eines
Sonnabends an unserem Verbrecheistammtisch
niedergelassen hatte — es ist sehr merkwürdig
mit diesem Mädchen.
- Wieso?
— Ich glaube, sie hat einen Schatz.
— Nanu, sie wird doch nicht.
— Ich glaube es bestimmt. Sieh mal: was
die alte Großmutter spricht, kann ich ja nicht
hören: aber aus ihren Antworten, die sie immer
so laut schreit, daß sie ein Feldwebel beneiden
würde, kann man doch Manches entnehmen.
Gestern zum Beispiel... ich sitze ganz vertieft
nur Schreibtisch und ahne nichts Böses ... da
hör ich sie ans einmal schrein:
„Ach, Großmama, das kann dir ja doch ganz
schnuppe sein!"
Ich fuhr heftig zusammen, denn ich kam mir
wie ertappt vor, da ich kurz zuvor verschiedenen
Kabinetsordres gegenüber ganz die nämliche
Empfindung gehabt habe —: das kann dir ja
doch ganz schnuppe sein.
Ich hörte dann wieder eine Zeit lang nichts,
weil die Großmama selber ganz leise spricht.
Aber dann kam sic wieder dran und äußerte,
womöglich noch lauter, als vorher:
„Du lieber Gott, meinetwegen kann er ja
die Königin von England heirathen! Laß ihn
doch, wenns mich nicht genirt — dir kainis
doch wahrhaftig egal sein!
Dann hört ich noch, wie eine Thür laut
ins Schloß fiel, so als ob eine plötzliche Zugluft
entstanden wäre — und dann wars still. Findest
Du das nicht sehr merkwürdig?
Nein. Ich konnte das wirklich nicht sehr
merkwürdig finden.
— Ja, aber sieh mal: mir scheint es demnach
doch sehr wahrscheinlich, daß sie einen Schatz
hat! Ich denke mir eben, daß die Großmutter
in ihrer Jugend vielleicht auch mal sehr leicht-
sinnig gewesen ist, daß sie aber jetzt, so mit
den Jahren immer anständiger geworden ist
und daß sic nun wünscht, ihre Enkeltochter
lebte recht solide. Meinst Du nicht auch?
— Es wäre möglich — Und nun weiter?
— Ja, fiel) mal: nun möchte sie gerne: der
Schatz heirathete ihre Enkelin und sie redet ihr
nun zu, dafür zu sorgen. Aber der wird
natürlich ein ganz anständiger Mensch sein und
sich dafür bedanken. So denk ich mir die Sache!
Die Auffassung des guten Kurt von einem
ganz anständigen Menschen war mir zwar schon
bekannt, aber ich mußte doch lächeln und sagte:
— Du kannst doch gar nicht wissen, ob es
nicht ein charakterloser Geselle ist, den sie doch
noch hernnikriegen könnte. Hier in Berlin ist
Alles möglich.
— Ja sieh mal: das Alles ist doch sehr
interessant, und wenn ich nicht so kurz vor dem
Examen stände. . .
- Na?
— Ja — ich habe eigentlich noch niemals
so was erlebt.
— Um Gotteswillen! Was willst Du denn
dabei erleben?
— Ich? O erlaube mal! Der.. der Schatz..
das ist doch ganz klar, nicht wahr: das ist doch
jedenfalls ein ganz trauriger Kerl, und wenn
ich da nun so dazwischen käme... Es wäre
doch eigentlich eine Sache! Nachher, nicht
wahr, wenn ich das Examen bestanden habe,
ist es zu spät. Wer weiß in was für ein ost-
elbisches Nest man verworfen wird, und dann
muß man heirathen, nicht wahr, und die
Schwiegereltern kommen dann doch immer zur
Taufe... Es ist jetzt eigentlich die höchste Zeit
Ich sah das ein und staunte im Geheimen
über die Kühnheit feines Gedankenganges.
— Also los! Mach mal Deinen Besuch als
Nachbar. Hast Du sie denn überhaupt schon
mal gesehen?
— Das nicht. Aber ich denke mi-r, sie wird
sehr schön sein, weil sie Schauspielerin ist. Ich
möchte auch gar nicht mal, daß sie häßlich wäre.
Ich meine, cs ist doch netter, wenn sic hübsch ist.
— Ja, das ist ja immer netter. Aber weß-
halb machst Du ihr nicht Deinen Besuch?
— Vor dem Examen — wo denkst Du hin:
Nein, es ist gerade so sehr fein. Ich weiß, sic
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JUGEND
1898
Emil Neumann (München).
So hielt es denn der gute Kurt tapfer aus,
er war es ja gewohnt, alles hinzunehmen, was
konventionell geboten schien, und sobald er jene
Thiere als dazugehörig erkannt und begriffen
hatte, sträubte sich sein Gemüth nicht länger:
Der Geist innerer Auflehnung war damals noch
nicht in ihm geweckt. Der Winter verging
unter fleißiger stiller Arbeit.
Als ich aber im nächsten Frühjahr eines
Morgens in Florenz erwachte, brachte man mir
eine Postkarte vom guten Kurt an's Bett, iiber
die ich mich nicht wenig verwunderte. Sielautete:
„Ich ziehe um. In meine Räume
Ist jäh der Frühling eingekehrt —
Nicht länger fesseln Winterträume
Das Leben, das sich still genährt.
Ich ziehe um! Ein frisches Treiben
Jst's, das auch mich lebendig zieht:
Ich kann hier nicht mehr wohnen bleiben,
Ich ziehe um nach Moabit!"
Bei jedem Andern hätte mich die ziemlich
alltägliche Erscheinung eines Umzuges wegen
Ungeziefers in keine besondere Erregung versetzt,
bei meinem Netter Kurt indeß erschien mir dies
sofort als ein für seine innere Entwickelung
bedeutsames Ereigniß, als ein erster Schritt auf
dem Wege einer Emanzipation, die ihn noch
zu abenteuerlichen Zielen hinführeu konnte: cs
war mir etwas wie eine Vorahnung kommender
Dinge.
Als ich dann wieder nach Berlin kam, wohnte
er thatsüchlich in Moabit in einem ganz neuen
Hause, Wand an Wand mit einer jungen
Schauspielerin und deren tauber Großmutter.
Das heißt — um Gotteswillen! — in allen
Ehren. Er hatte, als er dort einzog, nicht die
geringste Ahnung von dieser Nachbarschaft ge-
habt — ini Gegentheil: er hätte die Wohnung
sicherlich nicht genommen, wenn er davon ge-
wußt hätte: denn ivas es für einen Mann, der
die Ministerialverfügungen verflossener Jahr-
zehnte auswendig zu lernen die Noth hat, be-
deutet, Ohrenzeugc der verschiedenen Sprach-
leistungen zu sein, die der bürgerliche Beruf
der jungen einerseits und der physische Zustand
der alten Dame andrerseits zur Folge hatten —
das brauche ich wohl blos anzudeuten.
Dennoch blieb der arme Kurt in dieser zweiten
Wohnung geonldig bis an's Ende wohnen:
zweimal zu einem Examen umzuziehen, würde
ihm doch allzu frivol erschienen sein. Und
außerdem--—-
— Weißt Du — sagte er, als er sich eines
Sonnabends an unserem Verbrecheistammtisch
niedergelassen hatte — es ist sehr merkwürdig
mit diesem Mädchen.
- Wieso?
— Ich glaube, sie hat einen Schatz.
— Nanu, sie wird doch nicht.
— Ich glaube es bestimmt. Sieh mal: was
die alte Großmutter spricht, kann ich ja nicht
hören: aber aus ihren Antworten, die sie immer
so laut schreit, daß sie ein Feldwebel beneiden
würde, kann man doch Manches entnehmen.
Gestern zum Beispiel... ich sitze ganz vertieft
nur Schreibtisch und ahne nichts Böses ... da
hör ich sie ans einmal schrein:
„Ach, Großmama, das kann dir ja doch ganz
schnuppe sein!"
Ich fuhr heftig zusammen, denn ich kam mir
wie ertappt vor, da ich kurz zuvor verschiedenen
Kabinetsordres gegenüber ganz die nämliche
Empfindung gehabt habe —: das kann dir ja
doch ganz schnuppe sein.
Ich hörte dann wieder eine Zeit lang nichts,
weil die Großmama selber ganz leise spricht.
Aber dann kam sic wieder dran und äußerte,
womöglich noch lauter, als vorher:
„Du lieber Gott, meinetwegen kann er ja
die Königin von England heirathen! Laß ihn
doch, wenns mich nicht genirt — dir kainis
doch wahrhaftig egal sein!
Dann hört ich noch, wie eine Thür laut
ins Schloß fiel, so als ob eine plötzliche Zugluft
entstanden wäre — und dann wars still. Findest
Du das nicht sehr merkwürdig?
Nein. Ich konnte das wirklich nicht sehr
merkwürdig finden.
— Ja, aber sieh mal: mir scheint es demnach
doch sehr wahrscheinlich, daß sie einen Schatz
hat! Ich denke mir eben, daß die Großmutter
in ihrer Jugend vielleicht auch mal sehr leicht-
sinnig gewesen ist, daß sie aber jetzt, so mit
den Jahren immer anständiger geworden ist
und daß sic nun wünscht, ihre Enkeltochter
lebte recht solide. Meinst Du nicht auch?
— Es wäre möglich — Und nun weiter?
— Ja, fiel) mal: nun möchte sie gerne: der
Schatz heirathete ihre Enkelin und sie redet ihr
nun zu, dafür zu sorgen. Aber der wird
natürlich ein ganz anständiger Mensch sein und
sich dafür bedanken. So denk ich mir die Sache!
Die Auffassung des guten Kurt von einem
ganz anständigen Menschen war mir zwar schon
bekannt, aber ich mußte doch lächeln und sagte:
— Du kannst doch gar nicht wissen, ob es
nicht ein charakterloser Geselle ist, den sie doch
noch hernnikriegen könnte. Hier in Berlin ist
Alles möglich.
— Ja sieh mal: das Alles ist doch sehr
interessant, und wenn ich nicht so kurz vor dem
Examen stände. . .
- Na?
— Ja — ich habe eigentlich noch niemals
so was erlebt.
— Um Gotteswillen! Was willst Du denn
dabei erleben?
— Ich? O erlaube mal! Der.. der Schatz..
das ist doch ganz klar, nicht wahr: das ist doch
jedenfalls ein ganz trauriger Kerl, und wenn
ich da nun so dazwischen käme... Es wäre
doch eigentlich eine Sache! Nachher, nicht
wahr, wenn ich das Examen bestanden habe,
ist es zu spät. Wer weiß in was für ein ost-
elbisches Nest man verworfen wird, und dann
muß man heirathen, nicht wahr, und die
Schwiegereltern kommen dann doch immer zur
Taufe... Es ist jetzt eigentlich die höchste Zeit
Ich sah das ein und staunte im Geheimen
über die Kühnheit feines Gedankenganges.
— Also los! Mach mal Deinen Besuch als
Nachbar. Hast Du sie denn überhaupt schon
mal gesehen?
— Das nicht. Aber ich denke mi-r, sie wird
sehr schön sein, weil sie Schauspielerin ist. Ich
möchte auch gar nicht mal, daß sie häßlich wäre.
Ich meine, cs ist doch netter, wenn sic hübsch ist.
— Ja, das ist ja immer netter. Aber weß-
halb machst Du ihr nicht Deinen Besuch?
— Vor dem Examen — wo denkst Du hin:
Nein, es ist gerade so sehr fein. Ich weiß, sic
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