Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 25

JUGEND

1893

jmem&gz«:

WWMM

j^'A ; **


WMW8ZLl '

MUK

^400wSM

^pp^it',. y?



Dch-HW

»i

WMM


Max Liebermann (Berlin).

wohnt nebenan, hat einen Schatz und. ..
wirklich, das ist sehr angenehm: es nimmt
eine»! nicht zn sehr in Anspruch und gewährt
eine»! doch erfreuliche Gedanken •. .

— Aber... das Erleben?

Ach, das braucht ja nicht immer in Aeußer-
lichkeiten zu bestehen. Ich bin ganz zufrieden.

Hierauf zeigte er mir eine Anzahl Gedichte,
die er auf die schöne Unbekannte gemacht hatte:
eins davon ist niir erhalten geblieben. Es lautet:
Au Elvira

(Das war nicht der wahre Name der Künst-
lerin, sondern ein von ihm verliehener.)

Wenn Du mit Deiner klaren, lauten Stimme
Der Mutter, Deiner Mutter...

(oder „Deines Vaters" — daS wollte er eventuell
später ändern, wenn er Einblick in die Famillen-
verhältnisse lviirde genommen haben.)

Wenn Du mit Deiner klaren, lauten Stimme
Der Mutter, Deiner Mutter Rede stehest
Und dann in Deinem schönentfachten Grimme
Mit starken Schritten durch daS Zimmer gehest,

Dann fühl' ich mitten im bewegten Herzen
Ein stilles Flänunchen sich siir Dich entzünden:
Mir ist, als müßt ich da zn Deinen Schmerzen
Mein tiefgefühltes Beileid Dir verkünden.

Der Tag des Examens kam, und der gute
Kurt bestand es natürlich mit Glanz. Er tele-

graphirtc seiner Braut und reiste zu seiner
Mutter. Dann kam er aber noch einmal nach
Berlin zurück, uni seine Abschiedsbesuche zu
machen.

Eines Abends kam er auch zu mir, und ich
fragte ihn nach Elvira.

— Ja, sieh mal: es ist wirklich sehr merkwürdig
mit diesem Mädchen. Hör mal zu. An dem
Abend nach meinem Examen kneipte ich mit
einigen Regimentskameraden ziemlich lange.
Da ich aber am andern Morgen nach Hannover
fahren wollte und dort natürlich einen guten
Eindruck machen mußte, war ich sehr vorsichtig
im Trinken und kam beinah völlig unbetrunken
heim. Ich schlief sofort ein und würde jeden-
falls ruhig bis acht Uhr, wo ich das Wecken be-
stellt hatte, dnrchgeschlafeu haben, wenn mich
nicht auf einmal ein furchtbares Knallen der
Thürcn aufgeschrcckt hätte. Ich fuhr ordentlich
in die Höhe.

Ich horchte nun und hörte, 'wie nebenan
jemand in's Zimmer trat. Es konnte nur El-
vira sein. Ich sah nach der Uhr: cs war vier Uhr

— immerhin, eine etwas späte Stunde der
Heimkehr für ein junges Mädchen. Es wurde
schon hell.

Ich war gerade wieder im Eindösen — da
hört' ich plötzlich, ganz nah, als wenn cs vor

meinem Bette wäre, ein ergreifende?, mark-
erschütterndes Schluchzen. Jetzt war ich ernst-
lich erschrocken: da mußte doch jemand herein-
gekommen sein! Ich sprang aus dem Bett und
sah niich im Schlafzimmer um — da war nie-
mand. Das Weinen kam von nebenan — ans
meinem Arbeitszimmer — die Thür war nur
halb geschlossen.

Was sollt ich thun? Ich war im Hemde,
denn ich hatte mich gegen meine sonstige Ge-
wohnheit im Arbeitszimmer ausgezogen und
nicht im Schlafziminer. Nun hätte ich ja, wie
mir später eingefallen ist, wenigstens ein paar
neue Unterhosen anziehen können, denn meine
Wäsche befand sich im Schlafzimmer — aber
in dem Momente dachte ich nicht daran! Ich
schlich also ganz leise zur Thüre und sah vor-
sichtig in'S Zimmer. Merkwürdig — das war
auch leer. Es war schon ganz hell — mein
Schreibtisch — Gott Hab ihn selig! — sah aus,
als ob ich mich ohne Weiteres dran setzen würde.

Ich trat ein. Das Schluchzen hörte ich im-
mer deutlicher — cs machte mich ganz verwirrt.
Da sah ich, daß das Fenster offen stand, und
vor dem Fenster auf dem schmalen Balkon —
Du weißt, wie sie hier in Berlin so oft sind:
sie gehen vor der ganzen Etage her, auch vor
den Zimmern, die keine Thür dazu haben —

422
Register
Max Liebermann: Zeichnung ohne Titel
 
Annotationen