1898
JUGEND
Nr. 25
also auf diesem schmalen Balkon, direkt vor meinem Fenster, kniete eine
Dame. Sie war, soweit ich sehen konnte, in sehr eleganter Abendtoilette,
preßte den Kopf gegen das Gitter des Geländers und heulte wie ein...
ich war tief ergriffen. Es konnte natürlich nur Elvira sein. Und ich stand da.
Der gute Kurt schwieg.
— Na? Und was machtest Du denn nun?
— Ja, sieh mal: ich mußte doch um acht nach Hannover fahren.
Also ich dachte mir: das Fenster kannst du ja nicht znmachen, denn
dann bemerkt sie dich, aber wenn du die Kammerthür znniachst, dann
wirst du wohl auch nichts mehr hören. — Ich zog mich also vorsichtig
zurück, schloß die Thür und schlief, bis ich um acht geweckt wurde.
— Alle Achtung!
— Nun ja, sich mal, ich meine: es ist doch so viel pikanter. Ich
weiß nun absolut nichts, was eigentlich passirt ist. Man kann sich alles
Mögliche dabei denken. Sie kann zum Beispiel plötzlich das Ableben
einer lieben Bcrwandten erfahren haben. ■ .
Jawohl I Oder sic ist an dem Abend in Trilby gewesen-
— Nein, ohne Scherz: sie kann zum Beispiel eine sehr ernste
Scene mit ihrem Schatz gehabt haben.
— Oder ihre Großmutter ist wieder hellhörig geworden — dafür
spricht, daß sie auf den Balkon gegangen ist, um sich anszuweinen.
— Nein, da irrst Du Dich nun sicher.
— Wieso?
— Die Großmutter war am andern Morgen zuverlässig noch
genau so taub wie vorher.
— Woher weißt Du das?
- Ich konnte es konstatiren, als ich am andern Morgen meinen
Koffer packte — da hört ich s ie nämlich aus einmal nebenan — fast lauter
noch als sonst schrcin: „So laß mich doch zufrieden! Du hast ja Recht!
Jetzt braucht er mich, weiß Gott, nicht mehr zu heirathen!"
— Das sagte sie zur Großmutter?
— Das schrie sie, jawohl. Und dann fing wieder ein mörderliches
Weinen an, ich glaube, von beiden. Na, ich war froh, als ich heraus
war und im Zuge faß. Aber weißt Du: seinen Reiz hat es doch, so
was zu erleben I Ich habe mehrere Gedichte darauf gemacht. Hör mal zu:
An Elvira
Warum Du weinst — wer wagt eS zu ergründen!
Ein tiefgeheimnißvoller Schleier webt
Ob Deinem Schicksal, das vielleicht ans Sünden
Hinab zu grauenvollem Grunde strebt.
ganz nett. Meine Frau sah riesig chic aus. Sie ist überhaupt eine ganz
vollendete Frau. Aber... ich weiß nicht; manchmal komm' ich mir jja
komplet dämlich vor, daß ich nicht zufrieden bin. Was meinst Du?
Ich dichte jetzt mehr, denn je. Wenn cs nur nicht herauskommt,
daß die Lieder des guten Kurt von mir sind.
Also, nicht wahr: Du sagst Johnny, daß er bei meiner Mutter
nicht von Dir spricht. ES wäre mir sehr peinlich.
Herzlichen Gruß
Dein armer Kurt.
P. S. Uebrigens hast Tu das gehört? Ein paar Tage nach meiner
Abreise von Berlin hat sich die Schauspielerin — Du weißt doch, die
neben mir wohnte — vom Balkon auf die Straße hinnntcrgcstürzt.
Sic ist sofort tobt gewesen, ihr Gehirn hat im Rinnstein gelegen. Wer
weiß, was da vorgegangen ist. Aber es hat doch seinen eigenen Reiz,
so was miterlebt zu haben!
Der Wald
Es ist ein Wald mit unermessnen Tiefen,
Drin meiner Kindheit helle Glocken hängen,
Drin sich die Stimmen meiner Heimath drängen,
Die Stimmen, die so gern zur Umkehr riefen.
Ich aber darf nicht nach den Glocken lauschen,
Nicht auf die heimathlichen Stimmen achten,
Muss in des Lebens graue Ebne trachten,
Wo niemals jene kühlen Gründe rauschen.
Und fern versinkt mein Wald, und leise enden
Wird Klang und Singen. Denn die Tage branden,
Dass ich vergesse, zu den blauen Landen
Noch einmal rückwärts meinen Fuss zu wenden.
FELIX LORENZ.
Die Nohcnstanfen
Wozu Du weinst — ich kann eS Dir nicht sagen —
Wenn Du es selber nicht am Besten weißt:
Das mußt Du schon für Dich allein ertragen,
Wenn Dich die Schlange des Gewissens beißt!
Das Ende der Novelle des guten Kurt erfuhr ich schrift'
lich — einige Monate später — ans einem Brief von ihm.
Er war schon vcrhcirathet und in seiner Staatsstellung.
Lieber Erich!
Ich habe gehört, daß Johnny (dies war ein gemein-
schaftlicher inzwischen verstorbener Freund von uns) dem-
nächst nach Hannover kommt und meine Mutter besuchen
will. Bitte, lege cs ihm doch in schonender Weise nahe,
daß er meiner Mutter nichts davon erzählt, daß ich mit
Dir, lieber Erich, in einem so vertrauten Verkehr ge-
standen habe. Du rvcißt von früher, wie meine Mutter
ist: sic würde cs mir nie verzeihen, daß ich so viel mit
Dir verkehrt habe. Meine Mutter versteht ja nicht 'mal,
wie tiefnnglücklich ich in meinem Beruf und in der ganzen
Regelmäßigkeit meines äußeren Lebens bin. Sie ist sich
nur meines einen Dranges bewußt — während ich mich
gerade jetzt, wo ich alles erreicht habe, was von mir als
von einem ordentlichen Menschen erreicht werden kann,
im Kampfe mit meiner eigentlichen Persönlichkeit nnglnck-
licher fühle, als je zuvor. Ich bin noch iimner Hamlet
en miniature. Du verstehst mich. Dir nrnßt Dir vor-
stellen: ich bin jetzt glücklich verheirathet. Ich habe sogar
schon den ersten Krach mit meinen Schwiegereltern ge-
habt — kurz: ich kann eigentlich vom Schicksal gar
nicht mehr verlangen. Gestern Hab ich hier die erste
größere Gesellschaft gegeben. Ja, sieh mal, es war ja
{x\n Wetterwolken wandelt dies Geschlecht,
Gewitterglanz umleuchtet die Gestalten;
Der Genius blitzt aus ihrem Herrscherwalten;
Der Erdkreis dröhnt von ihrem Königsrecht.
Sie wühlen auf in ewigem Gefecht
Der Menschenbrust dämonische Gewalten —
Und Rache, Zluch und Haß vergeltend schalten,
Bis ausgetilgt das kühne Kampfgeschlecht.
Tapfer noch trotzen Enkel eine Weile,
Beladen mit der Väter Schuldgewichte,
Getroffen durch des Schicksals Donnerkeile.
Dann kniet ein Jüngling hin im Morgenlichte,
Reigt stolz und stumm sein Haupt dem Henkerbeile
— Das Dpfer für der Ahnen Blutgerichte.
Albert Matthäi.
Des Nachts manchmal . . .
Des Nachts manchttial, wenn unter meinen Föhren
Die Grille ihres Lieds nicht müde wird,
Ist mir, als könnt’ ich leises Weinen hören
Von einer Seele, die im Dunkeln irrt,
Und wenn ein Windhauch über reife Saaten
Mit weichem Athem auf- und niederweht.
Nach einer Liebe, die sie einst verrathen.
Mit heimwehkrankem Herzen suchen geht.
Fran\ Lerse.
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Nr. 25
also auf diesem schmalen Balkon, direkt vor meinem Fenster, kniete eine
Dame. Sie war, soweit ich sehen konnte, in sehr eleganter Abendtoilette,
preßte den Kopf gegen das Gitter des Geländers und heulte wie ein...
ich war tief ergriffen. Es konnte natürlich nur Elvira sein. Und ich stand da.
Der gute Kurt schwieg.
— Na? Und was machtest Du denn nun?
— Ja, sieh mal: ich mußte doch um acht nach Hannover fahren.
Also ich dachte mir: das Fenster kannst du ja nicht znmachen, denn
dann bemerkt sie dich, aber wenn du die Kammerthür znniachst, dann
wirst du wohl auch nichts mehr hören. — Ich zog mich also vorsichtig
zurück, schloß die Thür und schlief, bis ich um acht geweckt wurde.
— Alle Achtung!
— Nun ja, sich mal, ich meine: es ist doch so viel pikanter. Ich
weiß nun absolut nichts, was eigentlich passirt ist. Man kann sich alles
Mögliche dabei denken. Sie kann zum Beispiel plötzlich das Ableben
einer lieben Bcrwandten erfahren haben. ■ .
Jawohl I Oder sic ist an dem Abend in Trilby gewesen-
— Nein, ohne Scherz: sie kann zum Beispiel eine sehr ernste
Scene mit ihrem Schatz gehabt haben.
— Oder ihre Großmutter ist wieder hellhörig geworden — dafür
spricht, daß sie auf den Balkon gegangen ist, um sich anszuweinen.
— Nein, da irrst Du Dich nun sicher.
— Wieso?
— Die Großmutter war am andern Morgen zuverlässig noch
genau so taub wie vorher.
— Woher weißt Du das?
- Ich konnte es konstatiren, als ich am andern Morgen meinen
Koffer packte — da hört ich s ie nämlich aus einmal nebenan — fast lauter
noch als sonst schrcin: „So laß mich doch zufrieden! Du hast ja Recht!
Jetzt braucht er mich, weiß Gott, nicht mehr zu heirathen!"
— Das sagte sie zur Großmutter?
— Das schrie sie, jawohl. Und dann fing wieder ein mörderliches
Weinen an, ich glaube, von beiden. Na, ich war froh, als ich heraus
war und im Zuge faß. Aber weißt Du: seinen Reiz hat es doch, so
was zu erleben I Ich habe mehrere Gedichte darauf gemacht. Hör mal zu:
An Elvira
Warum Du weinst — wer wagt eS zu ergründen!
Ein tiefgeheimnißvoller Schleier webt
Ob Deinem Schicksal, das vielleicht ans Sünden
Hinab zu grauenvollem Grunde strebt.
ganz nett. Meine Frau sah riesig chic aus. Sie ist überhaupt eine ganz
vollendete Frau. Aber... ich weiß nicht; manchmal komm' ich mir jja
komplet dämlich vor, daß ich nicht zufrieden bin. Was meinst Du?
Ich dichte jetzt mehr, denn je. Wenn cs nur nicht herauskommt,
daß die Lieder des guten Kurt von mir sind.
Also, nicht wahr: Du sagst Johnny, daß er bei meiner Mutter
nicht von Dir spricht. ES wäre mir sehr peinlich.
Herzlichen Gruß
Dein armer Kurt.
P. S. Uebrigens hast Tu das gehört? Ein paar Tage nach meiner
Abreise von Berlin hat sich die Schauspielerin — Du weißt doch, die
neben mir wohnte — vom Balkon auf die Straße hinnntcrgcstürzt.
Sic ist sofort tobt gewesen, ihr Gehirn hat im Rinnstein gelegen. Wer
weiß, was da vorgegangen ist. Aber es hat doch seinen eigenen Reiz,
so was miterlebt zu haben!
Der Wald
Es ist ein Wald mit unermessnen Tiefen,
Drin meiner Kindheit helle Glocken hängen,
Drin sich die Stimmen meiner Heimath drängen,
Die Stimmen, die so gern zur Umkehr riefen.
Ich aber darf nicht nach den Glocken lauschen,
Nicht auf die heimathlichen Stimmen achten,
Muss in des Lebens graue Ebne trachten,
Wo niemals jene kühlen Gründe rauschen.
Und fern versinkt mein Wald, und leise enden
Wird Klang und Singen. Denn die Tage branden,
Dass ich vergesse, zu den blauen Landen
Noch einmal rückwärts meinen Fuss zu wenden.
FELIX LORENZ.
Die Nohcnstanfen
Wozu Du weinst — ich kann eS Dir nicht sagen —
Wenn Du es selber nicht am Besten weißt:
Das mußt Du schon für Dich allein ertragen,
Wenn Dich die Schlange des Gewissens beißt!
Das Ende der Novelle des guten Kurt erfuhr ich schrift'
lich — einige Monate später — ans einem Brief von ihm.
Er war schon vcrhcirathet und in seiner Staatsstellung.
Lieber Erich!
Ich habe gehört, daß Johnny (dies war ein gemein-
schaftlicher inzwischen verstorbener Freund von uns) dem-
nächst nach Hannover kommt und meine Mutter besuchen
will. Bitte, lege cs ihm doch in schonender Weise nahe,
daß er meiner Mutter nichts davon erzählt, daß ich mit
Dir, lieber Erich, in einem so vertrauten Verkehr ge-
standen habe. Du rvcißt von früher, wie meine Mutter
ist: sic würde cs mir nie verzeihen, daß ich so viel mit
Dir verkehrt habe. Meine Mutter versteht ja nicht 'mal,
wie tiefnnglücklich ich in meinem Beruf und in der ganzen
Regelmäßigkeit meines äußeren Lebens bin. Sie ist sich
nur meines einen Dranges bewußt — während ich mich
gerade jetzt, wo ich alles erreicht habe, was von mir als
von einem ordentlichen Menschen erreicht werden kann,
im Kampfe mit meiner eigentlichen Persönlichkeit nnglnck-
licher fühle, als je zuvor. Ich bin noch iimner Hamlet
en miniature. Du verstehst mich. Dir nrnßt Dir vor-
stellen: ich bin jetzt glücklich verheirathet. Ich habe sogar
schon den ersten Krach mit meinen Schwiegereltern ge-
habt — kurz: ich kann eigentlich vom Schicksal gar
nicht mehr verlangen. Gestern Hab ich hier die erste
größere Gesellschaft gegeben. Ja, sieh mal, es war ja
{x\n Wetterwolken wandelt dies Geschlecht,
Gewitterglanz umleuchtet die Gestalten;
Der Genius blitzt aus ihrem Herrscherwalten;
Der Erdkreis dröhnt von ihrem Königsrecht.
Sie wühlen auf in ewigem Gefecht
Der Menschenbrust dämonische Gewalten —
Und Rache, Zluch und Haß vergeltend schalten,
Bis ausgetilgt das kühne Kampfgeschlecht.
Tapfer noch trotzen Enkel eine Weile,
Beladen mit der Väter Schuldgewichte,
Getroffen durch des Schicksals Donnerkeile.
Dann kniet ein Jüngling hin im Morgenlichte,
Reigt stolz und stumm sein Haupt dem Henkerbeile
— Das Dpfer für der Ahnen Blutgerichte.
Albert Matthäi.
Des Nachts manchmal . . .
Des Nachts manchttial, wenn unter meinen Föhren
Die Grille ihres Lieds nicht müde wird,
Ist mir, als könnt’ ich leises Weinen hören
Von einer Seele, die im Dunkeln irrt,
Und wenn ein Windhauch über reife Saaten
Mit weichem Athem auf- und niederweht.
Nach einer Liebe, die sie einst verrathen.
Mit heimwehkrankem Herzen suchen geht.
Fran\ Lerse.
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