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Nr. 25

JUGEND

1898

Unweiblich?

Von Julie Sailer.

Berlin, den 20. 8. 96.

Lieber Freund l

Me glücklich sind wir-

Den \2. 5.1 97.

Ganz zufällig, lieber Freund, beim Auf-
räumen meines Schreibtisches finde ich die-
ses Blatt. Seitdem sind Monate verflossen,
vieles ist anders geworden. Ich mußte
lächeln, als ich die einsam gebliebene Zeile

las: „wie glücklich sind wir"-

So weit war ich mit meiner Lüge gekom-
men. Denn es ist nicht wahr: Ich bin nie
glücklich gewesen-Sie sagten mir ein-

mal: Ich sei der aufrichtigste Mensch, den
Sie kennen gelernt. Es war, beiläufig be-
merkt, das einzige Kompliment, das Sie mir
je gemacht habe»! Daran mußte ich denken,
als ich Ihnen gegenüber lügen wollte. Da-
rum stockte meine Feder, und ich that das
Blatt bei Seite, »m es zu einer Zeit wie-
der hervorzusuchen, da ich besser bei Erfind-
ung sein würde als in jenem Augenblick.

Und dann wollte ich Ihnen auch nicht
wehe thun. Ich mußte darauf gefaßt sein,
Sie durch die Schilderung meines vermeint-
lichen Glückes im Innersten z» verletzen.
Deßhalb schwieg ich damals, Pente aber,
da ich frei, da ich perrin meiner selbst bin,
heute will ich mit Ihnen sprechen, mich mit
Ihnen auseinaudersetzen, und Gott gebe,
daß ich die rechten Worte finde, Handelt
es sich doch für uns Beide um das wich-
tigste: Um unser Lebensglück, wir haben
es uns einmal muthwillig durch Schweigen
zerstört. Ich bin nicht willens wie da-
mals, wieder die Stolze zu spielen. Ich
bin inzwischen durch eine harte Schule ge-
gangen, und Leiden macht biegsam. Doch,
wenn Sie mich auch so verstehen werden,
— ich muß zu meiner Rechtfertigung wei-
ter ansholen.

Sie werden es nicht stolz oder anmaß-
end finden, lieber Freund, wenn ich Ihnen
sage: ich weiß, Sie haben mich immer ge-
liebt, Sie lieben mich noch heute, wundert
Sie meine Sicherheit? Eine Frau fühlt die
Liebe des Andern aus tausend kleinen, an-
scheinend nichtigen Anzeichen heraus. Jedes
Einzelne für sich will nichts bedeuten, kann
ein Zufall sein, aber reiht man die Zufälle
aneinander, so beweisen sie durch ihre Masse.
Und zählen Sic Ihre rasende Eifersucht für
nichts? Sie konnten ja nicht ertragen, daß
ich mit irgend Jemand längere Zeit sprach:
ja Sie verstiegen sich sogar bis zu Vor-
würfen, die ich mir ruhig gefallen ließ,
denn hinter diesen Vorwürfen lauerte Ihre
Liebe. Sie einzig verlieh Ihnen ein Recht,
mich auszuscheltcu. So faßte ich cs wenig-
stens auf und war glücklich und gab Ihnen
recht oft Veranlassung, mir zu zürnen. Ich
quälte Sie, wie Sie glaubten: unwissentlich.
Doch ich große Sünderin wollte nur Ihre
traurigen Augen auf mich gerichtet sehen,
nur Ihre bittende Stimme hören. „Ge-
kränkte Liebe war Ihr ganzer Zorn." Die
Gesellschaft betrachtete uns längst als ein

Berg v ursch J- R- Witze! (München).

Paar, das sich vielleicht noch nicht ver-
ständigt hat, das aber zusammengehört.

Allein Wochen vergingen und Monate,
und Sie machten keine Anstalten, mich zu
erringen. Einmal sagten Sie zu einem ge-
meinschaftlichen Freunde (Sie sehen, ich weiß
alles), ich sei zu schön zum peirathen. Das
kränkte mich damals tief, denn das hieß
soviel, als Sie hielten mich für kokett, für
flatterhaft, was weiß ich > Und ich war doch
nur unruhig durch Ihre Unentschlossenheit,
denn nie — ich weiß, Sie glauben mir —
nie habe ich nach einem anderen Manne
Verlangen getragen als nach Ihnen. Sie
zögerten, und ich, trotzig, gekränkt und viel
umworben — verlobte mich mit einem
Anderen.

wie das geschehen konnte, ist mir heute
selbst noch ein Räthsel. Etwas aber weiß
ich von jener Zeit noch ganz genau. Ich
hatte das sichere, unaustilgbare Gefühl,
daß Sie's nicht zugeben würden, Sie, der
meine kleinen Gunstbezeigungen so angst-
voll überwachte, — Sie würden cs nicht
leiden, daß ich mich einem Andern zu Eigen
gab. Aber ich hatte nicht mit Ihrem Stolze
gerechnet, was uns Leide» unser dummer
Stolz schon gekostet hat l Mir stand beinahe
vor Schreck das Herz still, als Sie mir so
kühl die Hand gaben, um mir Glück zu
wünschen. Absichtlich gingen Sie mir über-
all ans dem Wege; wir tauschten fortan
nur Redensarten aus; zu einer Aussprache
ist es nicht gekommen. Meine Kalkulation
war auch mehr als kindisch gewesen. Ich
hätte Sie besser kennen müssenl Aber auf
welche schiefen Gedanken kommt nicht so
ein armer, unerfahrener Mädchensinn! Sie
waren dann leidend I Ich erfuhr es von
Anderen. Und ich sah cs Ihnen auch an,
wenn ich, unbeachtet, Ihnen einen ver-
stohlenen Blick zuwarf, den Sie nicht ver-
standen; denn sonst hätten Sie uns nicht
so unsäglich leiden lassen. Sie mußten an-
uehmen, daß ich nichts für Sie empfand,
daß ich herzlos mit Ihnen gespielt, denn
wie hätte ich sonst einen Andern —

Ach, heut ist mir Alles klar, was in
jenen Tagen unentwirrbar schien, und ich
frage inich, wie konnten wir sehenden Auges
unser Glück verscherzen? Als ob es etwas
ganz Alltägliches wäre, daß zwei Menschen
sich liebenI Als ob cs nicht das seltenste,
kostbarste, göttlichste Geschenk wärel wa-
rum dieses Gefühl verbergen und sich seiner
schämen? Nein, selig und auserwählt sollte
man sich preisen und es laut bekenne».
Doch wir haben auf den Ruf unserer pcr-
zen nicht geachtet. Und alles kommt daher,
daß man sich im Leben nicht ausspricht,
von Irrthümern sind wir abhängig, immer
und überall. Es wäre doch so einfach und
natürlich gewesen, wenn ich, das reiche,
gefeierte, schöne Mädchen (lassen Sie mich
das Alles aussprechen, denn diese äußer-
lichen Vorzüge haben mein Glück zu Grunde
gerichtet) Ihnen gesagt hätte: ich liebe Sic,
und ich kann mir kein Glück denken ohne
Sie. Und Sie Paul, ich weiß cs, Sie hätten
mich wortlos in Ihre Arme genommen.
Mein Gott, wie oft habe ich mich mit
dieser Vorstellung zerqnält! wie oft an

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Julie Sailer: Unweiblich?
Josef Rudolf Witzel: Bergrutsch
 
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