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Nr. 26

JUGEND

1898

Der Einsame

von Paul Ernst

D^uf einer blühenden Wiese lag ein
Jüngling. Lr hatte die Augen geschlossen,
und auf seinem Gesicht brannte die Sonne.
Roth schien es ihm durch die Augenlider,
und es klopfte in ihm. Lr lag ganz still,
die Arme unter dem Kopf gekreuzt, und
mar sehr fröhlich inwendig.

Als er spürte, daß ein Wölkchen vor
der Sonne vorbeizog, öffnete er blinzelnd
seine Augen. Die Wölkchen oben zogen.
„Ja, ste ziehen über die Welt hin", dachte
er. Und das schien ihm plötzlich so merk-
würdig, daß die Wolken über die Welt
hin zogen.

Rachher dachte er sich, wie sonderbar
das sein müßte, wenn er so auf einer
Wolke säße, und die Beine herunter bau-
meln ließe, und seine Rase vorstreckte,
und auf die Welt unten sah, auf Wiesen,
Wälder, Felder und Kühe. Wie dann die
Leute zusammenlausen würden und mit
Peitschenstielen nach ihm zeigen, er aber
rauchte oben vergnüglich aus seiner Thon-
pfeife. Auch kleine Kinder würden da
stehen und hoch sehen und dabei den
Finger im wund halten.

Line Ameise krabbelte vorn aus seinem
Rock, einem schwarzen Landidatenrock.
Der Ameise erschien er mit seinem Anzug
sicher nicht anders, wie etwa ein Baum-
stamm. Aber die Grashalme kamen ihr
doch so vor, wie uns die Bäume im Wald.
Ja, und die hohe Kälberkropfstaude, die
da zu seinen Füßen sich erhob, wie ihr die
wohl vorkam mit ihren breiten Dolden
— als Kind machte man ja Spritzen aus
Stengeln; auch aus Löwenzahn, aber die
gingen nicht — ja, und wenn er nun
eine Ameise wäre,, dann wäre er doch im
Ameisenhaufen, der hatte so viele hohe
und gekreuzte Gänge, wo Alles wimmelte.
Da war auch eine Königin, und der würde
er einen Heiratsantrag machen; ob ste
ihn aber erhören würde, das war eine
andere Sache. Lr konnte ja auch nach
Holland gehen und dort der kleinen
Königin sagen, ste solle seine Frau wer-
den. Die würde ihn schön auslachen.
Aber lieb hatte er ste doch! Auf den

Briefmarken war ste immer ein so kleines
Mädchen. Lr würde natürlich mit ihr
in Holland wohnen, wo man des Sonn-
abends die Straffen aufscheuert und dann
reinen Sand streut. Auch hat man dort
viel schönes Porzellan, und es gab da
Porzellan-Kühe, die ganz wunderbar
waren.

Rachdem er dies gedacht hatte, begann
er gemächlich mit den Beinen zu stram-
peln, und es fiel ihm dabei der Vers ein :

Wer des Lebens Unverstand
Mit Wehmuth will genießen,

Der stemme sich an eine Wand
Und strample mit den Füßen.

Hiernach stand er auf, setzte den Hut
in den Racken, und schlenderte weiter,
dem Walde zu, in dem es Rehe gab.

Schaumkraut und Hahnenfuß und
Fuchsschwanz wuchs auf der Wiese, und
Veilchen, und ganz versteckt unter ge-
kreuzten Grashalmen sah er ein Marien-
blümchen. Das Marienblümchen kam
ihm so treuherzig vor mit seinem gelben
Kreis in derMitte und den weißenStrahlen
herum, und er dachten ja, da wächst es
nun zwischen dem Gras, und steht da,
und weiß gar nicht, weßhalb, und denkt,
das muß so sein, aber du, Mensch, hast
immer Angst vor dir. Und wozu lebst du
denn eigentlich? Das Marienblümchen
steht, wie am Morgen die Sonne aufgeht,
und wie der Tau fällt, und wie die Sonne
steigt, und dann wirds heißer, aber es
steht immer zwischen seinem Gras und
steht ruhig und mit gutem Gewissen in
die Höhe; und dann sinkt die Sonne, und
es wird dunkel, aber das Blümchen hofft
zuversichtlich, daß morgen dieSonnewieder
aufgehen wird. Ls ist das Linzige in
seiner Art auf viele Schritte im Umkreis,
und sieht nur Fuchsschwanz und Sauer-
ampfer und Arnica und Gras, aber es ist

doch zufrieden und ruhig, und lebt in
einer stillfröhlichen Liebeinsamkeit. Aber
du, Mensch, bist allein auf dieser wiese
und hast Angst vor dir und sehnst dich,
ohne daß du einen Menschen finden kannst,
denn die Wiese blüht wohl lustig, und
der Wald steht wohl hellgrün und hat
goldige Lichtflecke aus dem Boden und
an den Stämmen, aber es gibt ja keinen
Menschen sonst außer dir; denn dich liebt
Riemand, und du hast Riemand lieb, und
was du für Menschen gehalten hast, das
sind nur Traumbilder, die du selber er-
zeugt hast.

Da fühlte er die Angst von hinten,
und er ging eilig weiter, ohne auf Ltwas
zu achten, und er hatte das Bewußtsein,
daß er sich nicht umblicken dürfe, weil es
hinter ihm „entsetzlich" sei; ja, an das
Wort „entsetzlich" dachte er ausdrücklich.
Lr zwang sich, langsam zu gehen, denn
er wußte, ivenn er erst anfing zu laufen,
so wurde er von der Furcht vollständig
übermannt und stürzte zu Boden. Als
er an den Rand des Waldes kam, blühten
auf einer weiten Strecke Maiglöckchen,
und eine metallisch schimmernde Fliege
war da. Lr dachte, daß er sich doch jetzt
ein Herz fassen müsse und sich umdrehen,
bevor er in den leise schauernden Wald
mit den hohen Buchenstämmen eintrat;
er würde dann hinter sich die bunte wiese
sehen und und kleine Schmetterlinge, und
den lieben Himmel.

Aber als er sich umdrehte, sah er hinter
sich das Richts. Das war eine schwarze
Rächt, die in gerader Linie sich senkrecht
an dem äußersten Lnde erhob, wo sein
Fuß stand; als er entsetzt seinen Arm aus-
streckte, erschien dessen untere Hälfte ab-
geschnitten; und lautlos war es. Lr stieß
einen Schrei aus, daß er sich selber vor
ihm fürchtete, und dann lies er gerad hin
in den Wald. Und er wußte, daß hinter
ihm die Bäume und die Maiglöckchen
und die trocknen Blätter am Boden laut-
los in die schwarze Rächt übergehen wür-
den, die ihm in gleicher Schnelligkeit folgte.
Dann dachte er, daß ste ihn überholen
werde, und daß er erst mit einem kleinen
Theil seines Körpers im Richts sein werde,
dann immer mehr, dann mit der Hälfte,
und dann ganz. Da lief er immer schneller.

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Register
Carl Friedrich Paul Ernst: Der Einsame
Bernhard Pankok: Zierleiste
Leo Prochownik: Medaillon
 
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