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Nr. 26

Emerich Simay (Wien).

Zweierlei Auffassung

ln einem Garten auf dem Posilip
Erhebt sich eine riesenhafte Pinie;

Tief unten blaue Fluth und Felsgeklipp,

Fern gegenüber Capri’s Zackenlinie.

Zu Füssen die verruchte Zauberstadt
Voll heitrer Noth und üppigem Verderben,
Die, niemals ihrer eigenen Reize satt,

Ins Weite ruft: Neapel seh’n und sterben.

Ringsum ein Kranz von Städten, ungetrennt,
Leichtsinnig angeschmiegt dem Feuerkegel,
Und jenseits die Gebirge von Sorrent,

Und auf dem Meere hundert weisse Segel.—

Der Garten liegt versteckt und hoch umzäunt;
Schon Mancher ging an diesem Gnadenorte
Blindlings vorbei; doch unser kundiger Freund
Wies uns den Weg durch die bescheidne Pforte.

Und ausser uns, die vor der Gottnatur
Hinknieten brünstiglich als fromme Jünger,
Im Garten war ein altes Weibchen nur;

Die brummte was und schaufelte den Dünger.

Für mich erklang ihr mürrisches Gebrumm
Wie Kauderwelsch; der Freund jedoch,

seit Jahren

Neapels Bürger, half mir wiederum
Und liess mich ihrer Rede Sinn erfahren.

Von neuer Andacht ward ich ernst und still;
Denn die Verdeutschung hiess, die ungefähre:
,,Möcht’ wissen, was das fremde Volk hier will I
Als ob hier irgend was zu sehen wäre!“

Ludwig Fulda.

Aventiurc

Eine Welle vor meinem Schiffiein schäumt

And ein -klingen kommt und schwillt und verträumt —

Süße Stille, lauschende Frühlingsnacht —

Siche, dort gleitet eine goldene -Yacht!

And ans des engen Häsens umgrenzter Auh
Zittert mein Segel flüsternden Fernen zu.

Wo sich, von weichen Winden nmschmtegt,

Frau Aventiurens seidene Fahne wiegt.

C>, kein Frühling, der da nicht Rosen dringt

And kein Wanderdrang, der dich nicht weiter schwingt,

And keine Seele, die nicht zu Sternen singt:

Folge, mein Schifflein: Frau Aventinre winkt!

Victor Harbxng.

sprühen dir Funken, wie zittert der Boden und
wie hallt das Gewölbe vom Getöne der Schläge
wieder — und wenn wir erkaltet und beruhigt
sind, oft nur eine Nacht darüber geschlafen
Laben, liegt ein kleines Hufeisen oder eine
Radlunte da, und ein ganz klein wenig mehr
Russ ist in der Werkstatt: der Niederschlag
des magischen Funkenspiels.

Der eine ist taktlos, beim Andern setzt der
Takt mal aus und beim Dritten setzt er nie
ganz sicher ein; bei allen Dreien aber spricht
■han von Mangel an Takt, ohne zwischen
Mangel und Mängeln zu unterscheiden.

ZENO,

Line lehrreiche Unterhaltung

Bon

11t. Ssaltykow-Schtschcdri»

311 früheren Zeilen kam es bei nnS ziemlich
häufig vor, das; sogar hohe Staatsbeamte
Voltairianer waren; heutzutage kann davon selbst-
verständlich keine Rede mehr sein.

Damals lebte nun ein Gouverneur, also der
oberste Ches einer großen Provinz, der Vieles
leugnete, woran Andere in ihrer Einsalt noch
glaubten. Er konnte z. B. gar nicht begreifen,
wozu eigentlich das Amt eines Gouverneurs
liothwendig sei.

4' i

Der Adelsmarschall desselben Gouvernements
glaubte dagegen Alles, und namentlich war ihm
die Bedeutung der Gouverneurswürde gar keinem
Zweifel unterworfen.

Einst traf es sich nun, daß Beide, Gouverneur
und Adelsmarschall, im Kabinett beisammen saßen
und ein Disput zwischen ihnen sich entspann.

„Unter uns gesagt", begann der Gouverneur,
„ich kann gar nicht begreifen, wozu wir Gou-
verneure eigentlich da sind; meiner Meinung
nach könnte man uns Alle ruhig absetzen und
kein Hahn würde danach krähen."

„Aber Excellenz, wie können Sie nur so
etwas sagen!" erwiderte der höchst erslnnnte und
sogar entsetzte Adelsmarschall.

„Natürlich sage ich das nur considentiell,
cs bleibt ja unter uns. . . aber im Grunde
genommen und wenn man es gewissenhaft über-
legt, so kann ich nur wiederholen — ich begreife
es nicht. Stellen Sie sich vor, die Menschen leben
friedlich beisammen, sie glauben an Gott, ehren
die Zarin — und plötzlich schickt man ihnen einen
Gouverneur aus den Hals! Woher? Wozu denn?
Was ist da für ein Grund vorhanden?"

„Aber wie denn, cs muß doch eine Obrigkeit
da sein!" meinte der Adelsmarschall; „ohne
Obrigkeit geht es ja doch nicht. Ganz oben der
Gouverneur, in der Mitte der Polizeichef, unten
der Gendarm und zu beiden Seiten AdclS-
marschälle, Präsidenten, das Heer . . ."

„Schon gut, ich kenne das . . . aber wozu?
frage ich. Sie sagen: der Gendarm, — nun
gut, das ist also der, welcher die Bauern über-
wachen soll, das verstehe ich. Stellen Sic sich
nun vor: der Bauer lebt ruhig auf seinem Dorfe,
bearbeitet daS Feld, pflügt, mäht, ermtet, heirathet,
vermehrt sich; kurz, er vollendet den Kreislauf
seines Lebens. Und plötzlich kommt nun, wie
aus dem Boden gewachsen, der Gendarm zu
ihm .... Wozu denn? Was ist geschehen?"

„Aber Excellenz, wenn auch nichts geschehen
ist, so könnte doch etwas Vorkommen!"

„Das glaube ich nicht. Wenn die Menschen
ruhig und zufrieden bei einander leben — wozu
brauchen sie da den Gendarmen? Wenn sie
ehrbar ihre Bedürfnisse bcsriedigen, an Gott
glauben, die Zarin ehren — da kann doch gar
nichts passiven! Und was kann denn der Gen-
darm dabei thun, kann er etwas dazu beitragen?
Schenkt ihnen Gott eine reichliche Ernte — um
so besser: ist die Ernte mißrathen, so müssen
sie sich wohl oder übel durchschlagen. Was hat
denn der Gendarm damit zu schassen? Kann
er die Garbe etwa um eine Aehre vermehren
oder vermindern? Nein! Er fällt über die
Bauern her, bringt Verwirrung ins Dorf, lärmt
und tobt — und bevor man sich's versieht, hat er
einen in's Loch gesteckt. Das ist seine ganze Kunst."

„Er wird das doch nicht ohne Ursache thun, es
muß doch wohl irgend etwas vorgekommcn scin!"

„Aber meinen Sie nicht, daß, wenn ihn der
Satan nicht herbeigeführt hätte, sich Alles ganz
ruhig entwickelt haben würde, daß ,irgend etwas'
gar nicht passirt wäre?"

„Aber Excellenz, cS gibt doch auch verschiedene
Gendarmen; bei uns zum Beispiel . . ."

„Ach was! Hören Sic mich weiter an: ich
rede nicht vom Einzelnen, und es fällt mir gar
nicht ein, durch Paradoxe zu glänzen. Ich kenne
daS ans Erfahrung und kann Ihnen als Beispiel
sogar mich selbst ansühren. Wenn ich verreise,
— was geschieht da? Kaum bin ich über die
Grenze, da weht im ganzen Gouvernement
plötzlich eine andere Lust; es ist, als ob Allen
ein Stein vom Herzen gefallen wäre. Der Polizci-
meister jagt nicht mehr durch die Straßen, die
unteren Polizeibeamten laufen nicht mehr wie
toll umher, die Gendarmen verhalten sich ruhig.
Sogar der schlichte Mann, der von meiner Existenz
kaum eine Ahnung hatte, fühlt instinktiv, daß
ein gewisses Etwas, das ihm am ganzen Leibe
Schmerzen verursachte, aus seinem Dasein ver-
Register
M. J. Ssaltykow-Schtschedrin: Eine lehrreiche Unterhaltung
Victor Hardung: Aventiure
Ludwig Anton Salomon Fulda: Zweierlei Auffassung
 
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