Nr 8
1898
* JUGEND »
Der VuDstaöe „A“ am Vrorkgaus-Denkmal
von 25 Zacken, die je einem andern Buchstaben
des Alphabets entsprechen. Alle Artikel des
Konversationslexikons werden durch passende
allegorische Gestalten symbolisirt. Ich lege Ihnen
die Skizze zu dem Zacken bei, welcher dem
Buchstaben A gewidmet ist: Abraham, Alaun,
Aphrodite, Aron u. s. w. Ein grandioses Werk!
Nun zur Literatur! In der Belletristik
sind leichte Stoffe namentlich solche in pikan-
ten Farben beliebt, mit durchsichtigem psycho-
logischem Flitterwerk dekorirt. Alles ist tief
ausgeschnitten, und wird bei den Sachen weni-
ger auf solide. Arbeit, als auf eleganten Sitz
gesehen. Ein gewisser demimondärer Chic
ist ihnen nicht abzusprechen. Falscher Mau-
passant und ä jour Stickereien ä la Marcel
Prevost dienen als Ausputz. Im Thiergarten-
viertel wählen die Herren gerne Manchester,
während für die Abendtoiletten der Heldinnen
geschmeidige Sarah Bernhardroben, welche die
freiesten Bewegungen gestatten, immer mehr
die Oberhand gewinnen. Ich sah in der Hof-
buchhandlung von Gerson einige entzückende
Sachen,. Fagon „Froufrou“, „Marguerite Gau-
tier“, „Fedora“ etc. Weit gediegener im Ge-
schmack allerdings fand ich ein literarisches
Negligö von Otto Emil Weichleben: ein farbiger
Grund mit Hopfenblüthen bestickt und kleinen
goldenen Schellen ; ein graziöser Aufputz von
fleurs du mal gibt dem Ganzen einen eigenartigen
Reiz. Schade, dass dieses Atelier auch seinen
getreuesten Kunden nur selten und vielfach ge-
treten eines seiner prächtigen Erzeugnisse ab-
liefert. Leichter sind kleinere Putzsachen in
point d’esprit und Eisvogel zu bekommen.
Am Originellsten wird unbestritten in der
Lyrik gearbeitet. Man hat vielfach beinahe
ganz leere, mit Gedankenstrichen und Semiko-
lons hübsch gemusterte Blätter, Andere gehen
wieder sehr stark in’s Coloristische. Die Ar-
beiten zeichnen sich weniger durch klares
Arrangement und verständliche Motive aus,
als durch Brillanz und Eigenartigkeit der Ortho-
graphie. In der leistungsfähigen Manufaktur
von Richard Memel, die fast allwöchentlich
einen Band Unsterblichkeit fertig stellt, werden
jetzt vielfach alte Kirchenstoffe in durchaus
neuer Weise verarbeitet und namentlich die
dickaufgetragenen Haut-gout-Stickereien, welche
dort stellenweise angewandt werden, haben dem
Etablissement selbst aus richterlichen Kreisen
Kundschaft zugebracht. Vermöge der colossalen
Geringschätzung, welche diese Firmen der Con-
currenz und Kritik entgegenbringen, sind sie in
der Lage, lächerlich billigzu produziren. Trotzdem
soll sich das Anlagekapital schlecht verzinsen.
Auch im Drama sind alte Stoffe jetzt
stark in der Mode: Sudermann hat fortwähr-
enden Ausverkauf im Deutschen Theater, des-
sen Prokurist Kainz mit der Direktrice Sor-
ma allerdings starken Antheil am glänzenden
Geschäftsgang haben. Das Haus von Haupt-
mann ist lange mit keiner Neuheit mehr her-
ausgerückt, und seine Weber arbeiten, nachdem
der etwas sehr bunte, aber kräftig wirkende Re-
naissancebrokat, Marke „Florian Geyer,“ sich
als wenig dauerhaft erwies, immer noch
schillernde Changeant-Seide ä la Rautendelein,
obwohl die daraus gemachten Glockenröcke
auch schon nicht mehr haute nouveautö sind.
Das k. Schauspielhaus hat im Umarbeiten ge-
tragener Sachen viel Eifer gezeigt und sogar
aus einem unvollendeten Stück Sr. Excellenz
des Herrn Ministers Wolfgang v. Goethe, wirkl.
Geheimrath (nicht zu verwechseln mit dem
Dichter gleichen Namens), eine Art von Um-
sturzmantel gegen die Nörgler und Aufgeregten
geflickt. Auch Blumenthal verkauft die ältesten
Sachen, die er geschickt aufputzt, für neu.
Der geistvolle Lustspielkonfektionist schneidert
aus einem Stoff, der für eine Anekdote zu knapp
wäre, mit Leichtigkeit eine abendfüllende Co-
mödie und ist so mit Aufträgen überhäuft, dass
er mit mehreren Compagnons arbeiten muss.
In der Musik sind im Allgemeinen be-
stimmte Direktiven für den, der darauf hält,
wirklich modern zu sein, schwer anzugeben.
Man schwankt noch stark zwischen Johann
und Richard Strauss hin und her und man
wird gut thun, zwischen Beiden mehr nach in-
dividuellem Geschmack zu wählen. Die jetzige
Saison verleiht allerdings dem Ersteren ein
gewisses Uebergewicht, aber mit Beginn der
Fastenzeit dürften die dunklen Stoffe und kom-
plizirten Tongewebe des Letzteren wieder mehr
in Schwung kommen. Thatsache ist, dass auf
keiner der grösseren Redouten, sei es im Lin-
dentheater oder in den Reichshallen, bis jetzt
sein „Zarathustra“ gespielt wurde. Kurze Opern
hat man noch immer gern, doch gibt es wenig
Novitäten. „Cavalleria rusticana“ ist gleich-
zeitig mit den Schinkenärmeln aus der Mode
gekommen und Drehorgeln, die das Intermezzo
auf der Walze haben, kann ein Kunstverständ-
iger jetzt um halben Preis kaufen.
Vom Komponisten des „Sang an
Aegir“ ist lange keine Neuheit mehr
erschienen; das Gerücht,ein „Hym-
nus an Buddha“ sei in Vorbereitung,
hat sich bis jetzt nicht bestätigt.
0X9
Vai-hei-Vai!
•Gin Warnungsru/ an mein Volk
Wie ist mir armem Xi-Tjung-ZTsang
pas Tjerz schon lang im pusen bang,
Seh' ich von Vesten das Gedräng’ —
pald wird uns unser Xand zu engl
Cultur ist ja ein schönes ping,
poch überseht nicht, wer sie bring':
Vohin ich an der leiste gong,
Hört' ich den belang von english song,
jWh peutsch und Russisch gibt’s genung
Ünd auch französisch kommt in Schwung!
i?o
1898
* JUGEND »
Der VuDstaöe „A“ am Vrorkgaus-Denkmal
von 25 Zacken, die je einem andern Buchstaben
des Alphabets entsprechen. Alle Artikel des
Konversationslexikons werden durch passende
allegorische Gestalten symbolisirt. Ich lege Ihnen
die Skizze zu dem Zacken bei, welcher dem
Buchstaben A gewidmet ist: Abraham, Alaun,
Aphrodite, Aron u. s. w. Ein grandioses Werk!
Nun zur Literatur! In der Belletristik
sind leichte Stoffe namentlich solche in pikan-
ten Farben beliebt, mit durchsichtigem psycho-
logischem Flitterwerk dekorirt. Alles ist tief
ausgeschnitten, und wird bei den Sachen weni-
ger auf solide. Arbeit, als auf eleganten Sitz
gesehen. Ein gewisser demimondärer Chic
ist ihnen nicht abzusprechen. Falscher Mau-
passant und ä jour Stickereien ä la Marcel
Prevost dienen als Ausputz. Im Thiergarten-
viertel wählen die Herren gerne Manchester,
während für die Abendtoiletten der Heldinnen
geschmeidige Sarah Bernhardroben, welche die
freiesten Bewegungen gestatten, immer mehr
die Oberhand gewinnen. Ich sah in der Hof-
buchhandlung von Gerson einige entzückende
Sachen,. Fagon „Froufrou“, „Marguerite Gau-
tier“, „Fedora“ etc. Weit gediegener im Ge-
schmack allerdings fand ich ein literarisches
Negligö von Otto Emil Weichleben: ein farbiger
Grund mit Hopfenblüthen bestickt und kleinen
goldenen Schellen ; ein graziöser Aufputz von
fleurs du mal gibt dem Ganzen einen eigenartigen
Reiz. Schade, dass dieses Atelier auch seinen
getreuesten Kunden nur selten und vielfach ge-
treten eines seiner prächtigen Erzeugnisse ab-
liefert. Leichter sind kleinere Putzsachen in
point d’esprit und Eisvogel zu bekommen.
Am Originellsten wird unbestritten in der
Lyrik gearbeitet. Man hat vielfach beinahe
ganz leere, mit Gedankenstrichen und Semiko-
lons hübsch gemusterte Blätter, Andere gehen
wieder sehr stark in’s Coloristische. Die Ar-
beiten zeichnen sich weniger durch klares
Arrangement und verständliche Motive aus,
als durch Brillanz und Eigenartigkeit der Ortho-
graphie. In der leistungsfähigen Manufaktur
von Richard Memel, die fast allwöchentlich
einen Band Unsterblichkeit fertig stellt, werden
jetzt vielfach alte Kirchenstoffe in durchaus
neuer Weise verarbeitet und namentlich die
dickaufgetragenen Haut-gout-Stickereien, welche
dort stellenweise angewandt werden, haben dem
Etablissement selbst aus richterlichen Kreisen
Kundschaft zugebracht. Vermöge der colossalen
Geringschätzung, welche diese Firmen der Con-
currenz und Kritik entgegenbringen, sind sie in
der Lage, lächerlich billigzu produziren. Trotzdem
soll sich das Anlagekapital schlecht verzinsen.
Auch im Drama sind alte Stoffe jetzt
stark in der Mode: Sudermann hat fortwähr-
enden Ausverkauf im Deutschen Theater, des-
sen Prokurist Kainz mit der Direktrice Sor-
ma allerdings starken Antheil am glänzenden
Geschäftsgang haben. Das Haus von Haupt-
mann ist lange mit keiner Neuheit mehr her-
ausgerückt, und seine Weber arbeiten, nachdem
der etwas sehr bunte, aber kräftig wirkende Re-
naissancebrokat, Marke „Florian Geyer,“ sich
als wenig dauerhaft erwies, immer noch
schillernde Changeant-Seide ä la Rautendelein,
obwohl die daraus gemachten Glockenröcke
auch schon nicht mehr haute nouveautö sind.
Das k. Schauspielhaus hat im Umarbeiten ge-
tragener Sachen viel Eifer gezeigt und sogar
aus einem unvollendeten Stück Sr. Excellenz
des Herrn Ministers Wolfgang v. Goethe, wirkl.
Geheimrath (nicht zu verwechseln mit dem
Dichter gleichen Namens), eine Art von Um-
sturzmantel gegen die Nörgler und Aufgeregten
geflickt. Auch Blumenthal verkauft die ältesten
Sachen, die er geschickt aufputzt, für neu.
Der geistvolle Lustspielkonfektionist schneidert
aus einem Stoff, der für eine Anekdote zu knapp
wäre, mit Leichtigkeit eine abendfüllende Co-
mödie und ist so mit Aufträgen überhäuft, dass
er mit mehreren Compagnons arbeiten muss.
In der Musik sind im Allgemeinen be-
stimmte Direktiven für den, der darauf hält,
wirklich modern zu sein, schwer anzugeben.
Man schwankt noch stark zwischen Johann
und Richard Strauss hin und her und man
wird gut thun, zwischen Beiden mehr nach in-
dividuellem Geschmack zu wählen. Die jetzige
Saison verleiht allerdings dem Ersteren ein
gewisses Uebergewicht, aber mit Beginn der
Fastenzeit dürften die dunklen Stoffe und kom-
plizirten Tongewebe des Letzteren wieder mehr
in Schwung kommen. Thatsache ist, dass auf
keiner der grösseren Redouten, sei es im Lin-
dentheater oder in den Reichshallen, bis jetzt
sein „Zarathustra“ gespielt wurde. Kurze Opern
hat man noch immer gern, doch gibt es wenig
Novitäten. „Cavalleria rusticana“ ist gleich-
zeitig mit den Schinkenärmeln aus der Mode
gekommen und Drehorgeln, die das Intermezzo
auf der Walze haben, kann ein Kunstverständ-
iger jetzt um halben Preis kaufen.
Vom Komponisten des „Sang an
Aegir“ ist lange keine Neuheit mehr
erschienen; das Gerücht,ein „Hym-
nus an Buddha“ sei in Vorbereitung,
hat sich bis jetzt nicht bestätigt.
0X9
Vai-hei-Vai!
•Gin Warnungsru/ an mein Volk
Wie ist mir armem Xi-Tjung-ZTsang
pas Tjerz schon lang im pusen bang,
Seh' ich von Vesten das Gedräng’ —
pald wird uns unser Xand zu engl
Cultur ist ja ein schönes ping,
poch überseht nicht, wer sie bring':
Vohin ich an der leiste gong,
Hört' ich den belang von english song,
jWh peutsch und Russisch gibt’s genung
Ünd auch französisch kommt in Schwung!
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