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Nr. 28

JUGEND

1898

Gedanken

von Gtto Ernst.

Die Stümper sind neidischer als die Talente,
und die Talente sind neidischer als die Genies.
Ein rechtes Genie weiß, ganz gut, daß sein
Ruhm nur einmal da ist.

In jeder Sturm- und Drangperiodc gibt cs
so gewisse „Stürmer gegen Alles", die auch die
12 Grundtönc vermehren oder vermindern oder
abschaffen möchte». Habt ein 2luge auf sic: das
werden nachher die Rettcnhundc der Reaktion.

VDic sie sich blähen, die „praktischen", die „die
Gegenwart nützen" und „sich nicht mit vagen
Zukunftsidccn abgcbenl" — Fressen sich voll
und grinsen über die, die dafür sorgen, daß
jic auch morgen etwas zu essen vorfindc»!

Oberflächliche und Nüchterlinge leben nur
in der Gegenwart, Schwerblütige nur in der
Vergangenheit, Phantasten nur in der Zukunft.
Der ganze Mensch lebt in allen dreien.

Gertrud Kleinhempel (München).

Auf die Kniee mit ihr!

„Nehmen gnädige Frau Besuch an?"

Die Zofe, die Angst hat, daß ihr die Milch in der Küche anbrennt,
wiederholt die Frage.

„Sagen Sie der gnädigen Frau, ich wäre nicht zu sprechen."

„Wird die gnädige Frau sich nicht wundern, wenn ich ihr gar keinen
näheren Grund angcbe, soll ich nicht sagen, die gnädige Frau wäre bei
der Toilette?"

Die Zofe sragt's — Dienstboten haben oft mehr Takt als die Herr-
schaften — aber stolz antivortet die Kommandeuse: „Ich bin nicht zu
sprechen. Dabei bleibt's. Gehen Sie."

Das Mädchen verschwindet und die Herrin deS Hanfes lehnt sich
glückselig in einen Schankelstuhl. „Hosfemlich, meine liebe Frau von
Sperber, werden Sie die Absicht merken und -verstiuimt ivcrden.

Mein Brief, deil Sie bei nicincr Rückkehr zu Hanse vorfinden,
ivird das Seinige dazu beitragen, Ihre schlechte Laune zu er-
höhen. Sie werden tveinen, die Hände balle», mit den Füßen
stampfen und schwören, heute Nachmittag um vier Uhr nicht
zu mir zu kommen. Sie werden diesen Eid bis um zehn Minuten
vor vier halten, dann aber überfällt sie die Angst, Sie kleiden
sich in fünf Minuten an und treten zehn Minuten später mit ver-
wcintcn Augen, die sie ans Zahnschmerzen zurückführen, zu mir
ins Zimmer. Ich kenne meine Damen, cs ist nicht das erste
'Mid, das; ich eine zu mir bestellt habe, und eS ivird auch nicht
das letzte Mal sein. Ich muß die Zügel etwas straffer an-
ziehen, so geht es nicht weiter, sonst läuft mir mein ganzes
Regiment auseinander — der Fall Sperber zeigt, wohin die
Nachsicht führt Uebcrhanpt ist unter meinen Damen nicht Alles
wie es sein sollte, die Aschcnbach treibt einen unerhörten Luxus
mit Toiletten, sie hat in dieser Saison schon den dritten neuen
Hut. Ich möchte nur lvissen, lute die Frau das macht, und
die Reitzenstcin soll ihrer Köchin schon wieder gekündigt haben.

Auch bei Benenfels ist nicht alles so wie cs sein sollte; das; sie
hie und da eine Cigarette raucht, will ich noch durchgehen lassen,
obgleich ich es lieber sähe, wenn die Damen meines Regiments
nicht rauchten, aber das; sic Reformbcinbleider trägt, ivie ich
neulich durch Zufall entdeckte, finde ich unerhört, das ist denn
doch zu wenig chic. Und die Hempel erwartet
schon wieder ein Kind, das ist nun schon das
sechste, und er ist immer noch zweiter Klasse,
wohin soll das führen? Die arme Frau thut
mir leid, aber sie hat geivissermaßen ja auch
Schuld. Ich halte es für meine Pflicht, ein-
mal ernstlich mit meinen Dame» zu sprechen
— ach tvciln es doch erst Vier wäre."

Und es wird vier Uhr, der Himmel hat
ei» Einsehen, es wird sogar ein halb fünf Uhr
und die Sperber ist immer noch nicht da.

Die Kommandeuse geht in ihrem Zimmer auf und ab tute Herzog Alba
da er Oranien envartete, der klug genug >var, nicht zu kommen.

Sollte auch die Sperber so klug sein? Fast scheint cs so.

Da össnct sich die Thür, und gleich hinter dem Mädchen tritt die
Sperber iit den Salon.

Die Kommandeuse ist ganz Vorgesetzte: Gehorsam heischende Strenge
spricht aus ihren Zügen, sie reicht dem Besuch nicht die Hand, sie blickt
ihn nur strafend an; selbst ein Wüstenlöwe würde sich vor diesem Blick
schaudernd das eigene Fell über das Gesicht ziehen.

Aber die Sperber schlägt nicht einmal die Augen nieder — mit Ge-
nugthnnng bemerkt die Kommandeuse, das; sic verweint sind, also ganz
verdorben ist die Sperber doch noch nicht.

Die Kommandeuse ivill eben mit der wohlpräparirtcn Rede beginnen,
da ergreift, jeder Subordination und jeder Disziplin zum Hohn,
Fra» von Sperber das Wort:

„Gnädige Frau, es ist zic UcbenSioürdig von Ihnen, das;
Sie die erste sein wollten, die mir die freudige Mittheilung
machte. Aber vor einer Stunde haben wir von einem Be-
kannten aus Berlin das Telegramm bekommen. — Es ivird
ttns ja sehr schwer, aus dem Regiment zu scheiden, aber es ist
doch für meinen Man» eine große Auszeichnung und darum
weis; ich mich vor Freude gar nicht zu fassen, ich muß in
einem fort weinen."

lind ein neuer Thrünenstrom cnlquillt den schönen Augen.
Die Kommandeuse ist starr, — die Frau Sperber hat vor
Freude geweint! Was ist geschehen? Sie ahnt es nicht und
doch darf sie ihre Uuwisjenheit nicht vcrrathcn, sie muß Alles
lvissen, was im Regiment vorgeht, denn dafür ist sie Kom
mandense!

„Gnädige Frau, Sie werden mir nicht zürnen, wenn ich nicht
zu Ihrem Kaffee bleibe, ich habe soviel zu thnn, morgen Mit-
t.;g wollen mir schon reisen, um eine Wohnung zu miethen.
. Natürlich kehren mir nochmals hierher zurück, um Adieu zu
sagen" — und ehe die Kommandeuse weiß, >vie ihr geschieht,
steht sie allein in ihrem Zimmer.

Gleich darauf erscheinen die Walküren zu dein befohlenen
Kaffee, immer streng nach der Anciennelät, zuerst die jugend-
liche Braut des noch jugendlicheren Lieute-
nants und zuletzt die Etntsmttßige.

Und nun ivird die große Neuigkeit stunden-
lang besprochen; Herr von Sperber ist unter
Versetzung in ein anderes Regiment und unter
gleichzeitiger Vcrpatentirnng ans drei Jahr
zur Kriegsakademie einberufen.

Keine der Damen gönnt ihm und ihr diese
Auszeichnung, die Konnnendeuse am aller-
wenigsten. Sie hat auch tvahrlich Grund zu
grollen: die glänzendste Gelegenheit, als

P. Tllegner
(Hanau).

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Index
Gertrud Kleinhempel: Zierrahmen
P. Fliegner: Vignette
Otto Ernst: Gedanken
 
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