Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI Heft:
Nr. 28 (9. Juli 1898)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0035
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 23

JUGEND

1898

sarkastisches Lächeln ob solcher Novellen-
und Dramenfüllsel, ob der pathologisch-wicli-
tigthuenden Feuilletons mit den, aus wer weiss
welchen medizinischen Werken entliehenen,
terminis technicis.

Aus seinen Fenstern ging der Blick über die
Stadt gen Osten hin. Und die ersten Sonnen-
strahlen, die ihn oft schon am Arbeitstische
fanden, kamen zu ihm über die nahen weissen
Iläusermauern und die braunen Barackenfirste
des Krankenhauses her. Das ist eine Stadt
für sich, in der der Tod schnellere Ernte hält,
ob in Sommertagen, wenn Wipfelgrün sich
über ihre sonnigen Dächer drängt, ob in trüber
Winterzeit, wenn Nebel und Rauchschleier sich
grau darüber senken.

Seinen Titel hatte „der Alte“ hingenom-
men, wie ein ceremonielles Ehrenkleid, das
man seiner drückenden Nähte wegen nur ge-
zwungen aus einem Schrankwinkel vorsucht.
Der Arbeitsrock, der weisse Operationskittel,
hing ihm eher zur Hand und war ihm be-
quemer und vertrauter. Gegen alles Ceremo-
niell der grossen Gesellschaft erfüllte ihn ein
eingefleischter Hass, der sich oft in heissen-
dem Spotte, in göttlicher Grobheit äusserte.

So stand er einst vor einem Jubiläum. Das
war ihm äusserst unbehaglich, und die bevor-
stehende unvermeidliche Feier ihm zu Ehren
störte ihm seine Zirkel.

Da muss ihm auch noch zu guter Stunde
der „Burgfloh“ ins Haus kommen.

Der „Burgfloh,“ auch die. Wanze genannt,
war ein sehr kleiner Herr Dr. phil., der stets
einen tiefschwarzen Anzug mit langem Geh-
rock, einen feingebügelten Cylinder und einen
riesigen Höcker trug. So ausstaffirt, flatterte
er, mit überlangen Armen pendelnd, durch
die Stadt, immer auf der Fährte nach Stoffen
und Daten und biographischen Notizen für Ju-
biläen und Dekorationen und Ehescheidungs-
prozesse und Nekrologe und sonstige Ge-
meinde- und Familienfestlichkeiten. Die be-
schrieb er dann in einem äusserst lehrsamen,
eigenartigen Chronistenstyle im Tageblatte.

So rückte er auch zu erwähnter guter
Stunde, mit Bleistift und Notizpapier bewaff-
net , dem Alten auf die Bude. Aber aus
dem war nichts herauszubringen. Vergeblich
schwang der Burgfloh die Wünschelruthe sei-
ner Beredsamkeit gegen diesen gigantischen
Felsen. Da endlich, als alle Mittel erschöpft
waren, warf der gnomenhafte Interviewer das
Haupt in den Nacken, dass sein schwarzer
Vollbart wie eine Lanze aufstarrte und rief
mit erhobener Stimme: „Bedenken Sie, Herr
Geheimrath, auch die Presse ist eine Macht!“
— Aber freundlich lächelnd, und mit aller
Schalkslist um die Augenfalten, erhob sich der
Hüne aus dem ächzenden Lehnstuhle und
sagte, dem Zwerge die Schulter klopfend:

„Ach, gehn Sie naus. Sie Macht!“ .-

»Es war ein heller, warmer Sommertag, als
die reichgeschirrten Galawagen des Fürsten
am Portale des städtischen Krankenhauses
vorfuhren. Sonst sah man hier meist Mieth-
gefährte, oder dicht am Aufgange hielten die
Krankenwagen, aus denen man verhüllte Ge-
stalten, jammernde Menschen in den Siech-
körben vorsichtig hinauftrug. Aber die Stein-
stufen, die sonst unter den gleichmässigen
Tritten der Krankenträger hallten, waren heute
mit blumenbestreuten Teppichen belegt. An
den Eckpfeilern der Auffahrt verkauften zu
den vorgeschriebenen Besuchstagen alte Frauen
und Kinder arme, kleine Blumensträusse und
Orangen; heute hatte man Oleander- und Lor-
beerbäume in schweren Kübeln da hinauf-
gebaut, eine umgrünte Bahn in das Haus der
Schmerzen hinein. Die barmherzigen Schwe-
stern trugen ihre Weissesten Hauben, und die

Dienstboten, die in den Fenstern lungerten,
hatten blendende Latzschürzen vorgebunden.
Ein alter Diener war noch beschäftigt, die
Klingelgriffe am Schiebfenster des Portiers
blank zu putzen; er verschwand erschrocken
mit seinem Putzhader, als der Königswagen
heranfuhr.

In den langgestreckten, einförmig-weissen
Corridoron, durch die man den fürstlichen
Besuch und das ordengeschmückte Gefolge
geleitete, waren die Fenster weit geöffnet und
schattende Kastanien neigten ihre Zweige
gegen die Rahmen. Die Gärten waren still
und leer; die eifrige Verwaltung hatte den
Kranken anbefohlen, sich während des Königs-
besuches in den Krankensälen aufzuhalten.

Der „Alte“ traf im Operationssale seine
letzten Vorbereitungen zu einer unaufschieb-
baren Bein-Amputation, und der Fürst, der
seinen Geheimrath hoch verehrte, äusserte so-
fort den Wunsch, dieser Operation anwohnen
zu dürfen. Man führte ihn und sein Gefolge
auf die vorderen Sitzreihen des Auditoriums
Der Kranke, der schon in der Narkose lag,
wurde hereingefahren. Ein Erdarbeiter, dem
eine hereinbrechende Wand den rechten Ober-
Schenkel zerschlagen hatte.

Es war ein hartes Stück Arbeit, unter der
die Sekunden schwer und langsam wie Tage
durch’s Stundenglas fielen.

Schnell und schweigend gingen die Hand-
reichungen der Assistenten und Schwestern,
und nur selten fiel ein leises, hastiges Wort.
Aber die Knochensäge knirschte scharfen To-
nes, und die Messer und Scheeren klangen, und
dazwischen rauschten die spülenden Wasser-
strähne über den Tisch des Martyriums hin.
Der Alte stand gebückt über dem Menschen-
leben, das wie ein flackerndes Licht unter
seiner Hand war, und ein schwerer Schatten
lag in tiefen Falten auf seiner Stirn, darüber
die Schweisstroplen perlten. Um ihn her war
nichts, als der hohe, heilige Dienst, in den
er alle seine Kräfte gestellt hatte. Jede schnelle
Erläuterung, die er seinen jungen Gehilfen
gab, jedes kurze befehlende Wort, war eine
eiserne Stufe, auf der er, keuchend im Ringen
mit dem Unerbittlichen, einen armen, gefolter-
ten Leib der Erlösung entgegentrug.

Und als er die schwere Last auf der Höhe
niederlegen konnte, als er die letzte Binde
sich über der furchtbaren Wunde sehliessen
sah, da stand er eine Weile mit gesenktem
Kopfe regungslos am Bett des Gemarterten,
der noch in den Vorhallen des Todes schlief,
und legte seine Hand ermattet auf die weisse
Decke des Schmerzenlagers.

Dann blickte er wie erwachend um sich.
Da sah er die glänzenden Uniformen und
Ordenssterne auf jener ersten Sitzreihe, und
es war ein weher Zorn in seinem gefurchten
Antlitz. Die Knochensäge ergreifend trat er
in seinem blutbeschmutzten Kittel vor den
Fürsten hin, senkte wie salutierend das In-
strument und sagte mit einer zornig-traurigen
StiTnme: „Befehlen Majestät auch das andere

Ppii-1 QU

Franz Langheinrich.

Merkwürdige Rad- und THatsachen

AMon allen Menschen auf der Welt sind die Nad-
fahret diejenigen, denen die merkwürdigsten
Dinge pnssiren. Darüber läßt sich gar nicht streiten.

Da ist z. B. mein Freund Willy, der eine kindliche
Freude an allen Flüssigkeiten hat, in ivelchen der
Alkohol in Mengen von mehr als 15 Prozent ent-
halten ist. Ich kaufte ihm sein Fnlminant-Cyele ab,
weil er sich partout eine „Ketkenlvse" einbildete.
Und was er sich einbildet, must er haben. So ist er
einmal. Und hinterher schimpft er über Alles.

476
Register
Philipp Heinrich Hoffmann (Hoffmann-Saarlouis): Die Arbeiter
Bob: Merkwürdige Rad- und Thatsachen
 
Annotationen