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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 50 (10. Dezember 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0417
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1898

JUGEND

Nr. 50

Line rothe Blume

von Mathicu Schwann.

or ein paar Tagen entdeckte ich sie. Drüben
am Rande des Weizenfeldes wiegt sie ihr
Haupt im Winde — die eine rothe Blume.

Wenn ich nun aufsehe vom Schreibtisch, so sehe
ich sie wieder. Sie winkt und lockt, und meine
Freude zieht hin zu ihr und umwebt sie, wie ihr
eigener Duft. Als ob meine Seele dort blühte, so
ist es mir, sehe ich die eine rothe Blume.

Dhne eine Spur von Blumen trieb das große
Weizenfeld empor. Und als die Aehren kamen
und in Blüthe gingen, da war es ein herrlicher
Anblick, leuchtete die Sonne über das Feld, und
strich der Abendwind leise über die wellende Fläche.

Aber die Winde kamen und der Regen, und
sie wirbelten in den Aehren herum, daß sie sich
senkten. Weit — weit liegen nun die Halme dar-
nieder. Rur wie Inseln noch ziehen sich Streifen
von aufrecht gebliebenen Aehren durch das Feld
der Verwüstung. Ls ist ein Anblick des Jammers.
Und ich wende mein Auge weg und suche nach
der einen, der einen rothen Blume.

Wie da mein Blick am Rande des Feldes ent-
lang streicht, sie zu suchen, bemerke ich, daß hier
nirgendwo ein Halm geknickt ward. Der ganze
Rand des Feldes steht unzerftärt. Wie kommt denn
das? Lange besann ich mich, und endlich kam
eine Antwort.

vom ersten Keimen ab waren diese Halme am
Rande des Feldes dem unmittelbaren Einfluß von
Wind und Wetter ausgesetzt, wollten sie gedeihen
und sich behaupten, mußten sie kämpfen, sich stählen,
festwerden, kämpfen auch mit den Blumen und
Gräsern der anstoßenden Wiese um die Rährsäfte
des Bodens. Und siehe da, sie gediehen, sie wurden
fest und hart und standen dem Sturm und dem
Wetter. Aber die Kraft, welche sie den Halmen
zuführten, verloren sie an der Aehre; diese wurde
kleiner und etwas dünner, als die Aehren der
Halme weiter draußen im Felde. Run aber lagen
diese starken Aehren da, faulend schon, ehe die
Reife kam, während die schwächeren Aehren am
Rande luftig gediehen. Außerhalb des Kampfes
gestellt, beschützt von den außenstehenden Rand-
ähren, verbrauchten die Halme des inneren Feldes
fast alle ihre Kraft zur Entwicklung der Aehren.
Die aber wurden den schwachen Halmen zu schwer,
und als der Sturmwind kam, warf er sie nieder.
Was hat nun der Landmann davon, daß er den
Samen so rein und dicht säte?

Richts als den Schmerz um den Verlust einer
halben Weizenernte. Denn in Schaaren sind Vögel
und Mäuse am werk, die gefallenen Aehren ihrer
Körner zu berauben.

Als ich des Landmanns gedachte, fiel mir das
Gleichniß vom Sämann ein. Auch er säte reinen,
guten Samen. Aber derweil die Leute schliefen,
kam sein Feind und säte Unkraut unter den weizen.

Unkraut?! — Und war es wohl der Feind,
der das „Unkraut" säte?

Ich glaube nicht. Denn ein anderes Gleichniß
fällt mir ein, und ich will es erzählen.

Lin Mann ging aus, seinen Samen zu säen.
Begierig nach tausendfältiger Frucht wählte er guten
Samen und streute ihn aus auf dem Felde. Und
siehe, der Samen ging auf und gedieh in üppiger
Fülle. Da aber kamen die Stürme und Wetter
und warfen die Halme zu Boden. Dicht hatte der
Mann den Samen gesät, damit kein Unkraut
zwischen ihm zu gedeihen vermöchte. Und aus

A. Martini.

reich gedüngtem Boden waren die Halme hoch
emporgetrieben. Als nun die Ieit der Blüthe vor-
über war, und die Aehren schwer und schwerer
wurden, vermochten die weichen Halme die Last
nicht mehr zu tragen, beraubte der Wind sie ihres
ängstlichen Gleichgewichts. Run lagen sie da, und
der Landmann weinte um den Verlust seiner Hoffnung.

Da trat sein Freund zu ihm und forschte nach
der Ursache seines Kummers.

„Sieh nur hin auf mein Unglück! Alles habe
ich gethan, den Boden geackert und gedüngt, den
Samen gereinigt, daß kein Staubkorn mehr an
ihm haftete. Richts war mir zuviel. Keine Mühe,
kein Geld habe ich gespart, und nun: da liegt die
Frucht und fault auf dem Halme."

Und der Freund erwiderte auf diese Klage:
„Hättest Du Deine Begierde gezähmt, so wäre das
Unglück nicht gekommen. Denn wer zu gut düngt,
macht der Frucht das Wachsen zu leicht. In Uep-
pigkeit schießt sie empor, äußerlich anzuschauen als
wohlgediehcn, aber innerlich ohne Kern und festen
Halt. Die Pflanze treibt die Wurzeln nicht mehr
in die Tiefe, da sic an der lockern (Oberfläche schon
alle, überreicheRahrung findet. So haftet die Pflanze

mit gütiger Erlaubniss der Felicien RopS.

Madame Rops.

SPHINX

nicht, und kommt der Sturm, so fällt sie. Und
wer zu dicht sät, hält die Sonnenwärme von den
Halmen ab. (Oben reift die schwere Aehre schon,
während unten der Halm noch grün und zart ist.
Er bedenkt nicht, daß der Halm zäh werden muß,
soll er die schwere Aehre tragen. Hättest Du ein
wenig Unkraut unter den Weizen gesät, die Sonne
wäre hinabgedrungen zu den Halmen, zugleich aber
hättest Du den Weizen gezwungen, zu kämpfen
um sein Gedeihen. Was so emporgekommen wäre
von Deinem Weizen, wäre stark und kräftig ge-
wesen, und außer in sich selbst hätte es an den
festen Sehnen des Unkrauts einen Halt gefunden
gegen übergroße Gewalt der Stürme und Wetter.
Dir wäre geblieben, was Du sätest, während nun
die Hälfte Deiner Saat zu Grunde ging. Wer ein
Feld dem Unkraut gänzlich entzieht, wird es damit
der Frucht noch lange nicht gewinnen, denn schwäch-
lich und krankhaft wächst empor, was ohne Wider-
stand wächst. Und nicht der Feind war es, der
jenem Sämann im Gleichniß Unkraut unter den
Weizen säte, sondern sein bester Freund, die Ratur,
die ihre Sache bester versteht, als wir Alle. Sie
weiß es doch, daß sie nicht blos Weizen zum Ge-
deihen zu bringen, sondern auch Stürme wehen
zu lasten hat. Und damit eines ihrer Werke das
andere nicht verpfusche und zu Grunde richte, bildete
sie die Ratur der Pflanzen nach sich selbst. Richt
sie ist Dein Feind, sondern Deine eigene Begierde
ist es, Dein ungezügeltes verlangen, mehr Früchte
zu ernten, als ein Feld zu tragen vermag. Willst
Du eine gute Ernte, so bedenke schon bei der Aus-
saat die kommenden Wetter. Und Du wirst Deinen
Weizen so zu schützen lernen, wie die Ratur es Dich
lehrt. Am Willen des Unkrauts stählt sich der
Wille des Weizens, denn nur der im Widerstand
gegen fremdes Wesen erwachsene Wille wird auch
im Sturme, fest wurzelnd in sich selbst, bestehen.
Betrügst Du die Pflanze um ihre Art — und die
Art des Weizens ist nicht nur die von Dir begehrte
volle Aehre, sondern für die Aehre auch der ge-
sunde und starke Halm — so betrügt sie Dich und
sinkt mit Deiner Hoffnung welkend zu Boden." —

Da ich nun so fort und fort an „Unkraut"
dachte, hoben sich meine Augen wieder und grüßten
die eine rothe Blume.

„Unkraut nennt man Dich," sagte ich leise.
„Unkraut!"

CD, die sonderbare Sprache der Menschen! Die
still leuchtende Verkörperung eines Sonnenstrahls
erscheint diesen Rüylichkeitskrämern als Unkraut.
Wo Du blühst und gedeihst, da weilte ein Licht-
strahl und koste die Erde. Und wo ein Lichtstrahl
nicht weilt, wo er nicht mehr hinab kann, was
gedeiht, was blüht denn da noch? Seht doch hin
auf das verwüstete Weizenfeld!

Und ich fühle es wieder: zu ihr, zu ihr weht
meine Freude hinüber und umschwebt sie, wie ihr
eigener Duft.

Als ob meine Seele dort blühte, ist es mir,
sehe ich die eine rothe Blume.

jVleirt Glück

Ver weiss von meinem Glück? Schweigende Mehle,
"Wenn alles um mich sorglos schlummert, sehn
Mch wohl mit offnem Herren davor stehn,

Sehn, wie mit meinem tjlut ich s liebend tränke,
Qnd Schmerz, klagloser Schmerz mich glüh

durchzuckt

ßei jedem Cropfen, den es durstig schluckt.

GUSTAV FALKE.

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Register
Félicien Rops: Fotografie der Skulptur "Sphinx"
Gustav Falke: Mein Glück
Albrecht Martini: Vignette
Mathieu Schwann: Eine rothe Blume
 
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