Nr. 50
JUGEND
1898
Sslrtss gttJßttcr
/fi?r brauchte Anregung, daruin fing er mit
W- ihr ein Verhältnis; an. Das brachte ihn
in Stimmung, deren er nothwendig bedurfte,
um seinen Roman beendigen zu können.
Fast täglich kam sie des Abends zu ihm,
setzte sich ihm gegenüber in einen Fauteuil und
sah still und aufmerksam zu, wie er schrieb.
Manchmal, wenn er über die Fortsetzung eines
Satzes Nachdenken mußte, hob er den Kopf
und lächelte ihr zu; dann lächelte sie wieder,
ein feines, etwas wehmüthiges Lächeln. Er
aber nickte befriedigt, daß sie da war, und
schrieb eifrig weiter, beruhigt durch ihre Nähe.
Tann wurde sic krank. „Schwindsucht"
sagte der Arzt. Er bot ihr au, sic nach dem
Süden zu schicken, aber sie weigerte sich, sie
wollte bei ihm bleiben. Anfangs kam sie noch
zu ihm, später durfte sie nicht mehr ausgeheu
und er besuchte sie fast täglich. Eine Stunde
saß er an ihrem Bette, unterhielt sich mit ihr,
versicherte ihr, das; sie bald wieder gesund
werden würde. Daun ging er schnell nach
Hause, um die trübe Stimmung fest zu halten
und schrieb an einem Schauspiele. Diese
Krankenbesuche, die ihm erst unbequem gewesen
waren, wurden ihnr jetzt zum Bediirfniß. Er
kam sich so edel vor, und dieses Gefühl förderte
ihn entschieden bei der Arbeit.
Als sie nicht mehr sprechen durfte und
konnte, nahm sie seine Hand und drückte sie
während der Ruhepausen, die ihr der Husten
ließ, lauge an ihre feuchten Lippen. Ihm
kamen die Thränen in die Augen, und im
Geiste machte er Gedichte, die er zu Hause
niederschrieb.
Endlich starb sie. Die Todesstunde ergriff
ihn furchtbar. Tagelang fühlte er ihren letzten
Blick auf sich geheftet, in dem Liebe und Dank-
barkeit mit dem Schauer des Todes gekämpft
hatten. Diesen erschütternden Eindruck konnte
er nur wieder los werden, indem er eine kleine
Novelle schrieb: Der Tod. Er schluchzte laut,
als er sie vor der Absendung noch einmal
überlas. Tie Zeitschrift, welche die Novelle
brachte, schickte ihm 300 Mark. Damit bezahlte
er die geringen Kosten des Begräbnisses und
machte einen Ausflug in's Gebirge, um sich
selbst, wie er sagte, der Lebensfreude wieder-
zugeben. Denn zum Gelingen seines nächsten
Werkes war eine gehobene Stimmung die
Hauptbedingung.
Die Leute aber, die sein Schauspiel sahen,
seinen Roman, seine Novelle, seine Gedichte
lasen — die sagten: „Welche Beobachtungs-
gabe, welche Tiefe, welch' Gefühlt Das ist
einmal ein wirklicher Dichter."
Und der berühmte Dichter hatte sich doch
all' seine tiefen Gefühle, seine Liebe, seine Weh-
muth, seine Freude, seinen Schmerz und seine
Leidenschaft von einem kleinen, unbedeutenden
Ladenmädchen borgen müssen.
Heinrich Steinitzer.
Grundregel
So wie die ^Menschen sind, so nimm sie hiq,
Sie anders wünschen, das ist Chorenbrauch,
Ünd wer sie ändern will nach seinem Sinn,
Jjat nicht nur Schaden, er verdient ihn auch.
K. T.
Zoologia heraldica
Don*A. Mo.,
mit Zeichnungen von ckulius Diez
Ein braves, ein solides Thier
Von echtem Schrote ist der Stier;
Er lebt vom Acker, den er düngt,
Strebt nicht in's weite, sondern bringt
Sein tbeben biblisch einfach zu:
Er zeuget Rinder mit der Ruh.
Sein Schädel ist unglaublich dick,
Sein Nacken stark, brutal sein Blick,
Durch Rraft ersetzet er den Witz.
Im schönen Mecklenburg-Strelitz,
Gleichwie in Mecklenburg-Schwerin
Führt man im Landcswappcn ihn.
Der Uhu
Der Uhu hat im tiefen Wald
Am liebsten seinen Aufenthalt;
Er ist das gleiche stnst're Wesen
Von hinten wie von vorn gelesen.
Die Fcderbüschel an den Ohren
Sind von Natur ihm angeboren,
Desgleichen große Böllcraugcn,
Die aber nur bei Nacht was taugen;
Am Hellen Tage ist er blind,
wie eben viele Räuzc sind.
Er sieht gelehrt und würdig aus,
Hält trotzdcnr viel auf guten Schmaus,
wildprct, Geflügel, Ribiycice,
Forellen sind ihm nicht zu thcuer;
Nur, wenn nichts anderes zu kriegen,
Dann frißt er, wie der Teufel, Fliegen.
Es gibt bei uns wohl auch zuweilen
Noch eine klcin're Gattung Eulen,
Allein sic werden so zu sagen
Fortwährend nach Athen getragen.
Der größ'rc Uhu bleibt zum Glück
Für die Gelchrten-Republik;
Sie hätte sonst, was traurig wär',
Gar kein Symbol und Wappen mehr.
Das Pferd
Das Pferd, durchwegs von noblem Blute,
wird cingcrheilt in Hengst eurd Stute,
In Roß, i» Rlepper und Araber,
Nährt sich von Heu und etwas Haber
Und diente in vcrgang'ncn Zeiten
Sowohl zum Fahren, als zum Reiten.
Seit wir das Bicycle erworben,
Ist cs fast gänzlich ausgcstorbcn,
Nur selten zieht am Tramwaycar
Noch ein vcrkomm'ncs Exemplar.
Schon ist als Geist auf allen Bühnen
Ein „Weißes Rößl" jüngst erschienen.
Das Nilpferd und der Pegasus
Gedeihen noch im Ucbcrfluß,
Allein dein wappenthicr der Welfen
Ist schlechterdings nicht mehr zu helfen.
Der Drache
Der Drache ist seit alter Zeit
Ein Ungcthüm, das Feuer speit;
Er halt in seiner Höhle wacht
Und pfaucht und geifert Tag und Nacht.
Die schliminste Art, die uns bekannt,
— Draco domesticus genannt —
Hat manchen Eh'- und Rittersmann
Mit Gift und Realien abgcthan.
Doch gibt cs auch harmlose Drachen,
Die kcincin Menschen etwas machen;
Sic lasten sich am Schnürchen führen,
Von jedem wind, der weht, regieren.
Am Schwanz, der einem Zopfe gleicht,
Erkennt man diese Gattung leicht.
Als Wappen dient dies Fabelwesen
Dem großen Raiscr der Chinesen.
Uebersetzungskiliist
Socii contione erniltebarmir.
(Die Bundesgenossen wurden durch Der'
sammlungrbeschluß entlassen.)
Die Sozi wurden aus der Versammlung hin-
ansgeworfen. d.
8;8
JUGEND
1898
Sslrtss gttJßttcr
/fi?r brauchte Anregung, daruin fing er mit
W- ihr ein Verhältnis; an. Das brachte ihn
in Stimmung, deren er nothwendig bedurfte,
um seinen Roman beendigen zu können.
Fast täglich kam sie des Abends zu ihm,
setzte sich ihm gegenüber in einen Fauteuil und
sah still und aufmerksam zu, wie er schrieb.
Manchmal, wenn er über die Fortsetzung eines
Satzes Nachdenken mußte, hob er den Kopf
und lächelte ihr zu; dann lächelte sie wieder,
ein feines, etwas wehmüthiges Lächeln. Er
aber nickte befriedigt, daß sie da war, und
schrieb eifrig weiter, beruhigt durch ihre Nähe.
Tann wurde sic krank. „Schwindsucht"
sagte der Arzt. Er bot ihr au, sic nach dem
Süden zu schicken, aber sie weigerte sich, sie
wollte bei ihm bleiben. Anfangs kam sie noch
zu ihm, später durfte sie nicht mehr ausgeheu
und er besuchte sie fast täglich. Eine Stunde
saß er an ihrem Bette, unterhielt sich mit ihr,
versicherte ihr, das; sie bald wieder gesund
werden würde. Daun ging er schnell nach
Hause, um die trübe Stimmung fest zu halten
und schrieb an einem Schauspiele. Diese
Krankenbesuche, die ihm erst unbequem gewesen
waren, wurden ihnr jetzt zum Bediirfniß. Er
kam sich so edel vor, und dieses Gefühl förderte
ihn entschieden bei der Arbeit.
Als sie nicht mehr sprechen durfte und
konnte, nahm sie seine Hand und drückte sie
während der Ruhepausen, die ihr der Husten
ließ, lauge an ihre feuchten Lippen. Ihm
kamen die Thränen in die Augen, und im
Geiste machte er Gedichte, die er zu Hause
niederschrieb.
Endlich starb sie. Die Todesstunde ergriff
ihn furchtbar. Tagelang fühlte er ihren letzten
Blick auf sich geheftet, in dem Liebe und Dank-
barkeit mit dem Schauer des Todes gekämpft
hatten. Diesen erschütternden Eindruck konnte
er nur wieder los werden, indem er eine kleine
Novelle schrieb: Der Tod. Er schluchzte laut,
als er sie vor der Absendung noch einmal
überlas. Tie Zeitschrift, welche die Novelle
brachte, schickte ihm 300 Mark. Damit bezahlte
er die geringen Kosten des Begräbnisses und
machte einen Ausflug in's Gebirge, um sich
selbst, wie er sagte, der Lebensfreude wieder-
zugeben. Denn zum Gelingen seines nächsten
Werkes war eine gehobene Stimmung die
Hauptbedingung.
Die Leute aber, die sein Schauspiel sahen,
seinen Roman, seine Novelle, seine Gedichte
lasen — die sagten: „Welche Beobachtungs-
gabe, welche Tiefe, welch' Gefühlt Das ist
einmal ein wirklicher Dichter."
Und der berühmte Dichter hatte sich doch
all' seine tiefen Gefühle, seine Liebe, seine Weh-
muth, seine Freude, seinen Schmerz und seine
Leidenschaft von einem kleinen, unbedeutenden
Ladenmädchen borgen müssen.
Heinrich Steinitzer.
Grundregel
So wie die ^Menschen sind, so nimm sie hiq,
Sie anders wünschen, das ist Chorenbrauch,
Ünd wer sie ändern will nach seinem Sinn,
Jjat nicht nur Schaden, er verdient ihn auch.
K. T.
Zoologia heraldica
Don*A. Mo.,
mit Zeichnungen von ckulius Diez
Ein braves, ein solides Thier
Von echtem Schrote ist der Stier;
Er lebt vom Acker, den er düngt,
Strebt nicht in's weite, sondern bringt
Sein tbeben biblisch einfach zu:
Er zeuget Rinder mit der Ruh.
Sein Schädel ist unglaublich dick,
Sein Nacken stark, brutal sein Blick,
Durch Rraft ersetzet er den Witz.
Im schönen Mecklenburg-Strelitz,
Gleichwie in Mecklenburg-Schwerin
Führt man im Landcswappcn ihn.
Der Uhu
Der Uhu hat im tiefen Wald
Am liebsten seinen Aufenthalt;
Er ist das gleiche stnst're Wesen
Von hinten wie von vorn gelesen.
Die Fcderbüschel an den Ohren
Sind von Natur ihm angeboren,
Desgleichen große Böllcraugcn,
Die aber nur bei Nacht was taugen;
Am Hellen Tage ist er blind,
wie eben viele Räuzc sind.
Er sieht gelehrt und würdig aus,
Hält trotzdcnr viel auf guten Schmaus,
wildprct, Geflügel, Ribiycice,
Forellen sind ihm nicht zu thcuer;
Nur, wenn nichts anderes zu kriegen,
Dann frißt er, wie der Teufel, Fliegen.
Es gibt bei uns wohl auch zuweilen
Noch eine klcin're Gattung Eulen,
Allein sic werden so zu sagen
Fortwährend nach Athen getragen.
Der größ'rc Uhu bleibt zum Glück
Für die Gelchrten-Republik;
Sie hätte sonst, was traurig wär',
Gar kein Symbol und Wappen mehr.
Das Pferd
Das Pferd, durchwegs von noblem Blute,
wird cingcrheilt in Hengst eurd Stute,
In Roß, i» Rlepper und Araber,
Nährt sich von Heu und etwas Haber
Und diente in vcrgang'ncn Zeiten
Sowohl zum Fahren, als zum Reiten.
Seit wir das Bicycle erworben,
Ist cs fast gänzlich ausgcstorbcn,
Nur selten zieht am Tramwaycar
Noch ein vcrkomm'ncs Exemplar.
Schon ist als Geist auf allen Bühnen
Ein „Weißes Rößl" jüngst erschienen.
Das Nilpferd und der Pegasus
Gedeihen noch im Ucbcrfluß,
Allein dein wappenthicr der Welfen
Ist schlechterdings nicht mehr zu helfen.
Der Drache
Der Drache ist seit alter Zeit
Ein Ungcthüm, das Feuer speit;
Er halt in seiner Höhle wacht
Und pfaucht und geifert Tag und Nacht.
Die schliminste Art, die uns bekannt,
— Draco domesticus genannt —
Hat manchen Eh'- und Rittersmann
Mit Gift und Realien abgcthan.
Doch gibt cs auch harmlose Drachen,
Die kcincin Menschen etwas machen;
Sic lasten sich am Schnürchen führen,
Von jedem wind, der weht, regieren.
Am Schwanz, der einem Zopfe gleicht,
Erkennt man diese Gattung leicht.
Als Wappen dient dies Fabelwesen
Dem großen Raiscr der Chinesen.
Uebersetzungskiliist
Socii contione erniltebarmir.
(Die Bundesgenossen wurden durch Der'
sammlungrbeschluß entlassen.)
Die Sozi wurden aus der Versammlung hin-
ansgeworfen. d.
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