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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 51 (17. Dezember 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0429
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Nr. 51 • JUGEND 1898

WärZen

(C?s war einmal ein kleiner Junge.
*<§2 Sein Vater war der liebe Gott.

Als der kleine Junge am 2lbcnd zu Lette
lag, und der liebe Gott und feine Frau
bei der Lampe faßen und er mit feiner
Zeitung fertig war, sagte er: „Ach Gott
— aus dem Jungen wird nie was — er
wird nie was leisten, was reelles — —"

„Aber er har so viel Phantasie; er
macht manchmal zu nette Sachen —"

„wird auch was Rechtes fein!" sagte
der Vater.

„wart' mal 'n Augenblick;" damit ging
die Mutter hinaus.

Gleich darauf kam sie wieder, mit einer
großen Pappschachtel. Darin lag allerlei
Spielzeug vom Meinen: Große und kleine
Sterne, mit rorhen und blauen Längs- und
Breitengraden — manche waren auch sonst
noch sehr niedlich angemalt. Aber die mochte
der Kleine nicht gerne.

Nun hatte er aber was andres gemacht:
von der Erde hatte er die geographischen
Zeichnungen abgcwischt und hatte alles mög-
liche darauf gefetzt: Bäume und Häuser, ja,
ganze Dörfer und Städte — mit Liechen
und Rathhäusern, und ganz kleine Mensch-
chcn, lauter ganz junge Mcnfchchen, und
allerlei Thicrc — wirklich — reizend hatte er
sich das alles ausgcdacht, und auch sehr
sauber und niedlich gemacht und ausgestellt.

„Na, was sagst Du nun?" fragte den
lieben Gott seine Frau.

„Gar nicht so übel!" sagte der liebe
Gott, „der Junge macht sich!"

Aber das sagte er nur, weil er ganz
gerührt war von den Sachen, die sein
kleiner Junge sich ausgedachr harte — und
beinahe hätte er geweint vor Freude, so
entzückend war das 2lllcs! Er konnte sick-
gar nicht satt daran sehen.

„Von mir har er das nicht gelernt,"
sagte er und drückte seiner Frau die Hand,
und sah ihr so recht in die 2lugcn.

Und dann gingen sic zu Bett. —

Am nächsten Tage wachte der Kleine
früh auf, und als er dem Vater den Gutcn-
Morgcn-Kuß gab, sagte der: „Du darfst
Dir was wünschen, mein Junge; was Du
da gestern gemacht hast, die Erde mit den
Wäldern und Menschen und Thicrcn: das
ist ganz wunderhübsch!"

Das sagte er ein bischen traurig, denn
er dachte: cs hat mehr Seele, was der
Junge macht.

„Ja, Du darfst Dir was wünschen, ganz
was Großes, Alles, was Du willst;" und
damit küßte er seinen lieben kleinen Jungen.

„Ach, Papa, zieh' sic auf, daß sie geht!"
sagte er recht bescheiden und dringend.

„Das will ich thunl" Und dann holten
sie die Mutter.

Das war gerade ein sehr schöner Tag.
Als der "Kleine seine Sachen auf der Erde
ausgestellt hatte und alles fertig war, sagte
der liebe Gott: „Nun will ich Dir noch
etwas dazu schenken." Da nahm er eine
große goldene Kugel und warf sie weit —
weit weg, und im Fliegen wurde die goldene
Rugcl ganz warm und fing an, wunder-
voll zu glanzen. „Nun paßt mal auf,"
sagte er dann: und da — nein — nicht zu
glauben! — da fing die Erde ganz lang-
sam — langsam an, sich zu drehen, wie
ein müdes, kleines, rundes Tischchen, und
dann fingen die Bäume an, ihre Blätter
zu bewegen, und rauschten ganz leise —
leise, und die Bächelchc» liefen um die Erde
herum und in die kleinen Meerchen, und
die wogten hin und her und die Sonne
glitzerte darauf; das war eine Pracht! —
Der 'Kleine jauchzte nur immer vor Freude!
— Aber dann — —: schlug ein Menschchen
nach dem andern die Augen auf-und

sahen sich ganz verwundert um, und dann
liefen sic ganz schnell und emsig hin und
her; und wie sie so liefen, und die Erde
sich immer drehte, da kamen sie plötzlich
in den Schatten. Da legten sic sich unter
die grünen Bäume und schliefen ein.

Nur Zweie gingen noch immer in der
Dunkelheit, recht dicht beisammen, und
hatten sich fest umschlungen-.

Da sagte die liebe Mutter: „Nun will
ich Dir für Deine Menschen auch was
schenken" und: schnipp, flog eine silberne
Kugel aus ihrer weißen zarten Hand. Zu-
erst hätten sich die Zwei, die da unten noch
im Finstern gingen, beinahe erschrocken;
aber bald gewöhnten sich ihre Augen an
den milden Glanz — und nun sahen die
Drei, wie sich die Beiden da unten küßten

— ganz lange — und — nein — da —

stand die Erde einen Augenblick stille, und
die Bäume rauschten nicht mehr, und Alles
lauschte nur. — —-

.Wie das der liebe Gott sah, sagte er:
„Das ist zu schön, was Besseres kann ich
nun auch nicht mehr machen; nun kann ich
wohl gehen." — „Und ich geh' mit," sagte
die Mutter. „Leb' wohl, mein Junge, und
paß auf Deine Menschen auf!"

Und wie sie gingen, fielen zwei Thränen
aus ihren Augen, die zerstoben in Millionen
kleine Tröpfchen und fielen auf die Erde,
daß sic wieder frisch wurde, da die liebe
Sonne doch 'n bischen gar zu warm ge-
schienen hatte.

Und der Kleine, der sah immer noch
zu der Erde, wie sie sich drehte; und er
kann sich noch immer nicht satt daran sehen!

— Aber am meisten freut er sich, wenn er

so Zwei sicht, die allein im Mondcnschein
spazieren gehen und sich recht lieb haben. —
Und er ist auch gar nicht traurig, daß er so
allein ist! — Aber sein Vater war auch der
liebe Gott! Markus Bchnicr.
Index
Markus Behmer: Märchen
Reinhold Max Eichler: Papa als St. Nikolaus
 
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