Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI Heft:
Nr. 51 (17. Dezember 1898)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.3338#0432
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1898

- JUGEND

Nr. 51

Fr. Fraimiel: Zweifellos doch, weil Sie
sie aufgefangen haben?

Fr. Chene: Nein! — Weil Maxime, der
in diesem Augenblick seinen grossen Roman
„Dreifache Liebe“ in der „Revue mauve“
erscheinen lässt, dabei ist, diesen Roman
zu durchleben. Verstehen Sie, gnädige
Frau? Er hat drei Verhältnisse, die ihn
halten, ihn knebeln, ihm keine freie Stunde
lassen!

Fr. Fraimiel (unwillig): Und er hat Sie
beauftragt, mir . . .

Fr. Chene: Nein, er nicht! — Aber als
er vergangene Woche von der Redaktion
kam, warf er ein Pack Briefe auf seinen
Schreibtisch und sagte zu mir: „Da! Lies
das Zeug, beantworte, was einer Antwort
werth ist, und verbrenne das Uebrige!“
Ach, wenn Sie wüssten, was für Briefe
Schriftsteller von Ruf bekommen! Die
meisten anonym und voll niedriger Schmäh-
ungen, mitunter sogar schmutzig und ge-
mein, so wenige nur schmeichelhaft. Sehen
Sie, auf diesem Misthaufen wuchs eine
Blume — das war Ihr Geständniss! Un-
klug sicherlich, aber doch so rein und so
vornehm im Ausdruck. Schreibweise und
Stil zeigten Sie, sowie Sie wirklich sind:
ganz jung noch, enthusiastisch, verliebt
nicht in den Mann, sondern in den Künst-
ler, den Dichter, den Schöpfer des Werkes,
das die „Revue mauve“ veröffentlicht. Nicht
wahr, ich habe recht geahnt?

Fr. Fraimiel (mit zitternder Stimme): Die
Empfindung, die ich für Herrn Chene
hegte, war in der That Bewunderung, eine
zarte Bewunderung . . . Als ich ihm die
Bitte aussprach, ihn sehen, ihn sprechen
zu dürfen, hatte ich keinen Hintergedanken,
vor dem ich zu erröthen hätte . . .

Fr. Chene: Ichweisses! Ich bin dessen
sicher! Denn ich kam auch zu dem ersten
Rendezvous, das Sie bestimmten. Es war
in der Orangerie. Sie hatten ein kleines
Mädchen bei sich ... ein hübsches, kleines
Mädchen, welches Ihnen ähnlich sah. War
das Ihr Kind?

Fr. Fraimiel: Ja, das ist Mergern. (Zög-
ernd.1 Ich lebe allein mit Mergern. Sie

Idyll

haben sie ja gesehen ... sie ist noch ein
Baby, fünf Jahre alt. Mein Mann ist schon
seit drei Jahren todt . . . ich habe keine
Familie mehr ... ich bin sehr verlassen ...
und da langweile ich mich manchmal . . .
ach, ich langweile mich ... Und ich lese,
lese . . . lese . .. und . . .

Fr. Chene: Ich verstehe . . . ich ver-
stehe! — Ich hoffte, jenes vergebliche
Warten würde Sie vielleicht entmuthigen;
aber Sie schrieben wiederum, und dies-
mal gaben Sie ihm ein Stelldichein in
einem Wagen, einem geschlossenen Wagen!
Was mag nur in Ihrem Kopf vor sich ge-
gangen sein, dass Sie diesmal sich be-
wogen fühlten, ihm eine Unterredung in
der Intimität eines geschlossenen Wagens
anzutragen? Sollte ich Sie wiederum ver-
geblich warten lassen? Damit Ihr Wunsch,
ihn kennen zu lernen, immer heftiger
würde? Ich schwankte, wusste keinen
Rath. Hätte ich Ihnen nur ein Wort zu-
kommen lassen können! Aber Ihr Brief
gibt keine Adresse an .. . Ich wusste wirk-
lich nicht, was ich thun sollte, und doch
fühlte ich, dass unbedingt etwas geschehen
müsse, dass ich, einmal Herrin Ihres Ge-
heimnisses, Sie nicht unnütz hoffen, un-
nütz leiden lassen dürfte. Sehen Sie, da-
rum bin ich gekommen, darum that ich
den bizarren Schritt, hier zu erscheinen ...
(Kurzes Schweigen.) Werden Sie mir ver-
geben, dass ich Ihren Traum zerstörte?

Fr. Fraimiel (sehr bewegt): Ja . .. ja! ...
Sie thaten Recht ... Es war ein thörichter,
ein böser, ein schuldvoller Traum ... aber
ich bin schwer dafür gestraft worden, o
mein Gott! (Sie wendet den Kopf zur Seite
und trocknet verstohlen ihre Thränen.)

Fr. Chene: O, weinen Sie nicht! Ich
bitte Sie um Alles, weinen Sie nicht. Wenn
Sie wüssten, worüber Sie weinen! Hören
Sie mir zu! Glauben Sie mir! Die un-
zuverlässigste Seele der Welt, das schwan-
kendste, das schwächste Herz ... ein Herz
von Sand! Dazu die ungeheuerlichste Eitel-
keit ... so sieht der Mann aus, den Sie
bewundern, so der Mann, dem Sie ge-
schrieben haben. Schauen Sie mich an!

8s i

Rieh. Müller (Dresden).

Ich bin eine alte Frau, nicht wahr? Eine
ganz alte Frau; Sie konnten mich sogar
für seine Mutter halten. Nun, er ist noch
älter als ich. Nur sein grauenhafter Egois-
mus erhält ihn jung und liebenswürdig,
und ich bin unter Leiden — o, unter un-
sagbaren Leiden grau geworden.

(Tief bewegt, hält sie inne.)

Fr.Fraimiel: Meine arme, gnädige Frau!

(Schweigen.)

Fr. Chene: Wollen Sie die Güte haben,
halten zu lassen?

Fr. Fraimiel (zum Kutscher): Kutscher,
halten Sie!

Fr. Chene: Wo sind wir hier? Ich weiss
im Bois nur schlecht Bescheid.

Fr. Fraimiel: Ich glaube, in der Nähe des
Sees. (Zum Kutscher, der eben sein Pferd anhält):
Kutscher! Wird Madame hier einen Wagen
finden, der sie nach Paris zurückbringt?

Der Kutscher: Aber sicher! Um diese
Stunde ist daran kein Mangel. Am Wasser-
fall wird sie welche finden. Soll ich nach
dem Wasserfall fahren?

Fr. Chene: Nein, danke. (Sie steigt aus.)
Adieu, gnädige Frau!

Fr. Fraimiel: Adieu, gnädige Frau! —
(nach kurzem Zaudern): Gnädige Frau!

Fr. Chene: . . . .?

Fr. Fraimiel: Ich möchte Ihnen doch
noch die Hand drücken.

Fr. Chene: Ich möchte Ihnen auch gern
die Hand reichen.

(Sie wechseln einen kurzen und starken Hände-
druck.)

Fr. Chene (auf das Bouquet zeigend, das
an der Fensterscheibe welkt): Geben Sie mir
die Veilchen!

Fr. Fraimiel (erröthend): O nein!

Fr. Chene: Doch! Geben Sie sie mir!

(Frau Fraimiel reicht ihr den Strauss.)

Fr. Chene (den Duft der Blumen einath-
mend, ganz leise): Ich will sie ihm auf den
Schreibtisch stellen... leben Sie wohl!
(Sie entfernt sich. Frau Fraimiel folgt ihr einige Se-
kunden mit den Augen. Dann wirft sie sich in eine
Ecke des Wagens, und weint lang und bitterlich.)
Register
Richard Müller: Idyll
 
Annotationen