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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 3.1898, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 52 (24. Dezember 1898)
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Nr. 52

JUGEND

1893

^kaliemsche Msdamien tg

^T\nhonnß in IMicnl

Jn wir viel Hamen ich Din

Fritz Hegenbart (München).

, Onhonna sopra CUincrbn.

(Deich tiefer jSinn in diesem Hamen liegt:
Dir reine Hiebe, die imt Geist besiegt.

begegnet:

Dn IiiJI die Göttin, dir mit Schönheit segnet.

(Dadonna dom (Deinberg:

GM Dacchus flieht. ^r flucht Dir im

Entschweben;

Dein mildes Hücheln qulllf in diesen Heden.
(Dadonna hol siume.

€{g buht der jSfnom der Hirche (Darmorschwelle,
Dud noch im (Deere träumt davon die (Delle.

(Dadouna hol popolo.

Dnd seufzt ein Holzer Hürsi nm Dein Erbarmen,
Die Hrone ab! ^r Knier bei den DHnen

(Dadouna della graste.

Deutsch: Gnadenmutker. schreib' ich also? Hein!
(Dein Glaube läßt Dich doller Grazie sein.

(Dadonna della eampagua.

jSo lieb ich Dich zumeist, Du Holde, (Dilde:

Das Hiud !m Msrm und segnend die Gesilde.

(Dadonna della rosa.

Du liebe Heilige meines glaubenslosen

Dud gläubige» sZeins: es jauchzt und seufzt in Hosen.

(Dadomisu ohne €[nta.

Dud jede reicht mir liebedoll die Haud
Dud leitet mich durch prangende Gelände.

Hugo jäalus.

Das

wintersonnenmärchcn

von Gtto Ernst

.. . Gestern in der Dämmerung vernahm ich
hinter den winterlichen Nebelhüllen ein Licht
und ein Klingen. Es war wie ein blinzelnder
Stern, ein verirrter Klang ...

Denn nun beginnt ja schon die große, heilige
Dichtung, die die Leute „Weihnachten" nennen.

So schöne Dichtungen gibt es nur noch wenige.
Eine heisst: „Entschwundene Kindheit"; eine an-
dere: „Der nächste Frühling." Weiß jemand
noch eine?

Es ist ganz unbestimmt, wie lang die schöne
Dichtung ist, die „Weihnachten" heißt. Es ist
schon eine hübsche Zeit her, daß ich in erster
Frühe aus dem Schlaf geweckt wurde durch ein
eifriges und andauerndes Geplapper. Das Ge-
plapper kam aus der Schlafstube der Kinder.
Es war noch ganz dunkel. Ich horchte.

„Sechsundsechzigmal!"

„Nein,siebenundsechzigmal! Sieh mal: heut'ist
der 18., nicht? Bleiben also noch dreizehn Tage."

„Zwölf!"

„Ach Junge! Oktober hat doch einunddreißig!"

„Na ja: Dreizehn."

„Und November hat Dreißig, macht Dreiund-
vierzig, und dann noch Vierundzwanzig vom
Dezember, macht Siebenundsechzig. Noch sieben-
undsechzigmal schlafen, dann ist Weihnachten."

„Hm-"

So früh schon vernehmen die Kinder aus dem
Winterdunkel das ferne Schimmern und Singen...

Und dann ziehen sie jeden Morgen eins ab:
jetzt noch sechsundsechzigmal schlafen... jetzt noch
jünfundsechzigmal...

Ganz so früh fängt für mich daS Weihnachts-
lied nicht an. Aber doch schon früh. Der erste
hergewehte Hauch eines nahenden Gesanges ist
so schön in seiner geheimen Ahuungsfülle!

Man entfesselt bei Tische oder in der Däm-
merung oder Nachmittags, wenn man sich zu
kurzer Ruhe auf's Faulbett gestreckt hat, ein
Weihnachtsgcspräch unter den Kindern. Mein
Neunjähriger erzählt aus der Schule. Der Lehrer
hat gesagt: „Wenn ihr nicht fleißig seid, kriegt
ihr nichts vom Weihnachtsmann." Da haben
die Jungen gelacht und gerufen: „Es gibt ja
gar keinen Weihnachtsmann!" Da hat der Lehrer
gesagt: „Soo? — Wer glaubt, daß es einen
Weihnachtsmann gibt?" Da hat ein einziger
Junge den Finger gezeigt: meiner. Und da
haben die andern ihn ausgelacht.

Diese Schande! Gerade mein Sohn, der
Sohn eines Menschen, der mit hartnäckiger Bos-
heit für „unbeschränkte Aufklärung" eintritt —
gerade der muß der einzige Gläubige sein in
einer christlichen Schulklasse! Komm, Junge,
ich muß Dir die frommen Augen küssen: ich habe
Dich grenzenlos lieb in Deiner einsamen Schande!

Solange ihr lebt, Kinder, soll es in eurer
Seele blühen, und aus jedem verwelkten Glau-
ben soll euch ein neuer keimen! Das ist mein
Segen. Nur wenn man euch zwingen will
zum Glauben, durch Kerkerstrasen oder Höllen-
pein, dann sollt ihr lachen, lachen aus voller
Brust und beide Fäuste schütteln, zum Zeichen,
daß ihr nöthigen Falls bereit seid, sie zu brauchen!
Auch ihr Mädels! Daß ihr mir nicht feige
duckt, wenn euch einer sagt: „Ihr müßt an
den Weihnachtsmann glauben, sonst leuchtet euch
kein Tannenbaum!"

Wir haben immer unsere stille Freude an
einem Experiment, meine Frau und ich. So um
den September und Oktober herum sind die

älteren unter den Kindern noch fest überzeugt,
daß der Weihnachtsmann nirgends anders exi-
stire als im Portemonnaie des liebenswürdigen
Vaters. Natürlich genießen sie volle Glaubens-
freiheit. Nur gelegentlich fallt ein Wort, daß.
man den Knecht Ruprecht auf der Straße ge-
troffen, sich längere Zeit mit ihm über die dies-
jährige Tannen- und Puppenernte unterhalten
habe, daß gestern Abend sein rauhhaariger Kops
hinter den Eisblumen des Fensters aufgetaucht
sei... Im November etwa werden die rationali-
stischen Ueberzeugungen schwankend; die Nach-
richten vom Weihnachtsmann werden mit einem
merkwürdigen Schivcigen ausgenommen. Wenn
man ganz heimlich um den Lampenschirm hcr-
umschaut, dann sieht man große, stille Augen
mit nachdenklichem Blick in die Flamme gerichtet.
Jn einem Augenblick der Stille hört man ein
tiefes Athmen. Im Dezember erfolgt dann die
Kapitulation. Man nimmt den Glauben an
den allein selig machenden Weihnachtsmann an
und entsagt dem heidnischen Glauben an das-
Portemonnaie. Wer jetzt noch Zweifel äußert,
wird von den andern schon entrüstet zurecht
gewiesen, laut comine chez nous. Wenn dann
der heilige Abend da ist und man hinter der
Thür mit gräßlich verstellter Stimme fragt:
„Seid ihr denn auch artig gewesen?" — dann
kann es allerdings geschehen, daß gerade daS
Jüngste mit pietätloser Unschuld antwortet: „Ja
Papa!" Den anderen sagt ein sicherer Instinkt,,
daß zu viel Gehör in diesem Augenblick inoppor-
tun wäre, daß ein stillschweigendes sacriiizio
dell’ intelletto genau so aussieht wie Frömmig-
keit re. Nachher freilich, wenn sie ihre Geschenke
weg haben und der dunkle Tannenbaum seine
goldenen Augen ausgeschlagcn hat, dann schreien
sie: „Aetsch, ich Hab' wohl gehört, daß Du cs-
warst, Papa, Du hast so ganz tief gesprochen:

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Register
Otto Ernst: Ein Wintersonnenmärchen
Hugo Salus: Italienische Madonnen
Fritz Hegenbarth: Madonna
 
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