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Nr. 5

JUGEND

1899


jSintfluth Alfred Zimmermann (München).

so wissen sie mehr als er selbst; denn er hat
keine Ahnung, wie er dazu kam. Kurzum, eines
heißen Augustabends war er verlobt. Er glaubte,
der erste zu sein. Ich freue mich immer, wenn
der Verlobte Rense's sich einbildet, der Erste
zu sein. Und da Doktor Dalberg ein Jugend-
bekannter von mir ist, freute ich mich doppelt.

Aber nachdem die erste Freude vorüber war,
legte ich mir die Frage vor: „Wovon werden
sie leben?" Die meisten Menschen legen sich
diese Frage vor, wenn andere Leute sich ver-
loben. Ich gehöre zu den meisten. Ich fand
keine genügende Antwort. Doktor Dalberg be-
kleidete eine kleine Stellung im Ministerium,
die ihm allenfalls so viel freie Zeit ließ, seinen
Lebensunterhalt auf andere Weise zu verdienen.
Sein kleines Vermögen mochte nach meiner Be-
rechnung gerade hinreichen, seine Schulden zu
bezahlen. Daß Reuse keine Mitgift besaß, wußte
nur ich. Aber daß sie große Ansprüche machte,
wußte alle Welt. Je länger ich nachdachte, desto
unerklärlicher wurde^es mir, wie Renee dazu
kam, sich mit einem Staatsbeamten zu verloben.
Und doch, es mußte ein Grund sich senden lassen.
Wenn Rense sich mit Jemandem verlobt, weiß
sie immer warum. Drei Tage ging ich in
schweren Sorgen herum. Am vierten Tage fiel
es mir ein, und ich ivurde heiter. So war es:
Doktor Dalberg hatte keine Stellung, kern Ein-
kommen, kein nennenswerthes Vermögen. Aber
er hatte etwas, was nicht Jeder hat,, was nur
die Sonntagskinder haben. Er besaß einen
Onkel, und der war Sectionschef im Ministerium
des Innern. Sie wissen vielleicht, was das
heißt, ein junger Jurisdoktor sein und euren
Onkel zu haben, der Sectionschef ist. Wenn
Sie aber das wissen, daun werden Sie auch be-
greifen, was Renee dazu bewog, Doktor Dalberg
u erhören, und daß es in diesem Falle eigent-
ich der Onkel des Geliebten war, mit dem sich
die Braut verlobte.

Eine halbe Stunde, nachdem mir dies klar
geworden, war ich bei Renee.

Mama tänzelte mir entgegen wie ein Faß,
das in's Rollen kommt.

„Warum komnien Sie nicht öfter?" fragte

sie und streckte mir den Rücken ihrer fettglänzen-
den Hand unter die Augen.

„Meine Gnädige," erwiderte ich bewegt, „ich
habe leider nicht viel freie Zeit. Aber fo viel
freie Zeit habe ich doch imnier, daß ich qratu-
tiren komme, wenn etwas Freudiges bei Ihnen
vorgeht."

„Sie sind wirklich ein lieber Mensch!" sagte
die Dame voll Wärme.

Und Papa kam dazu und schüttelte mir, ohne
viel Phrasen zu drehen, die Hände mit einer
Herzlichkeit, die an Verzweiflung grenzte.

Nun setzte ich mich behaglich in einen Schaukel-
stuhl, streckte die Beine aus und fragte:

„Also, wie ist es denn zugegangen. ...?"

„Mein Gott," meinte Papa, „wie es eben
imnier zugeht. Er hat sie zufällig kennen ge-
lernt ...."

„Ganz zufällig," schaltete Mama ein.

Ich weiß: Er hat sie immer zufällig kennen
gelernt.

„Und hat sich in sie verliebt. Auf den ersten
Blick. Und sie in ihn," schloß Papa.

„Nun," ergänzte Mama bedächtig, „aus den
ersten Blick verliebt Renee sich nichl. Er hat
schon um sie werben müssen."

Das gibt Mama nie zu, daß Renee sich auf
den ersten Blick verliebte. Sie besteht darauf,
daß er um sie erst werben mußte.

„Aber wie er geworben hat!" fuhr sie nun
fort, und ihre Augen wurden feucht. „Jeden
Morgen hat er ihr ein Bouquet geschickt und
wden Abend eine Bonbonniere. In der Zwischen-
zeit ging er vor ihrem Fenster aus und ab. Und
als er seine AntrittSvisile bei uns machte, war
er so aufgeregt, so schüchtern...."

Ich lächelte nur , als ich hörte, daß Doktor
Dalberg schüchtern war. Ich sagte: „Er ist eben
em unverdorbener Mensch."

... »Das ist er," bekräftigte Papa. „Kennen Sie
chn denn?"

»Er ist ein alter Schulkamerad von mir."

„Sie kennen ihn?" jubelte Mama. „Nun, was
sagen Sie, ist er nicht ein entzückender Mensch?"

Verlobte sind immer entzückende Menschen.

„Er und Rense," sprach ich sehr ernst, „sind
einander werth."

Mama machte Mondscheinangen: „Und ein
hübscher Mensch, nicht ivahr?"

Das sind Verlobte fast immer. Ich erwiderte:

„Sehr hübsch. Etwas klein allerdings."

„Aber zierlich."

„Zart," sagte ich, „nicht stark!"

„Was wollen Sie?" meinte Papa und zog.
das Gilet über den Bauch: „Schlank muß ein
Mann sein."

„Und die Augen, die er hat!" rief seine Frau
weinerlich. „So treu, so ehrlich, nicht wahr?"

Ich fügte auf eigene Gefahr hinzu: „Hübsche
Zähne hat er!"

Haben Sie schon einmal einen Verlobten
gesunden, der keine hübschen Zähne hatte? Ich
nicht.

„Wie eine Maus," sagte Renöe.

Verlobte haben immer Zähne wie eine Maus.

„Haben Sie ihn schon einmal singen gehört?"
fragte der Herr des Hauses.

„Nein," bedauerte ich.

„Und wie er Klavier spielt!" jauchzte Mama.

Ich sagte „Ah!" aber gar nicht erstaunt. Es
hätte mich sehr gewundert, wenn er nicht auch
musikalisch gclvefen wäre.

„Das ist ja alles nichts," nahm Papa das
Gespräch auf, „aber ein tüchtiger Jurist ist er.
Carrisre wird er machen. Ich glaube, dieser
junge Mann wird Minister iverden."

Verlobte werden immer Minister.

„Er hat bis jetzt noch keinen großen Gehalt,"
fuhr der Vater fort, „1800 fl., aber_"

Darauf hatte ich nur gelauert. Leichthin,
sagte ich: „Er hat einen Onkel im Ministerium?"

„Ja—a—a, wissen Sie das?" sagte Papa,
und schwoll. „Ein Sectionschef. Einer von
Denen, die noch von sich reden machen werden.
Warten Sie nur bis zur nächsten Ministerkrise!"

Warum nicht? Ich werde warten. Solange
warte ich ganz gerne.

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Alfred Zimmermann: Sintfluth
 
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