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1899

Nr. 7

. JUGEND .

Türlütütü

Peter Altenberg dargebracht von Bob

/»Sie saß auf dem smaragdgrünen Nasen und unter
ihrem heliotropfarbigen Kleidchen krochen die
levkojenfarbigen Seidenstrümpfchen hervor, in denen
noch gar keine Waden waren. Sie hieß Türlütütü

— es kann freilich nicht jedes Türlütütü heißen!

Sie war so um fünfzehn herum. Sie duftete

nach violette de parme — ganz aus ihren, Wesen
heraus duftete sie nach violette üe parme — sie
wäre eine Lüge gewesen, wenn sie nach was An-
derem geduftet hätte. —

Ich liebe diese individuellen Düste — alle —
einige ausgenommen! Auch die Aschantifrauen
haben das so — aber — anders — wie wenn

— aber das ist ja ganz Wurst!-

Ls war etwas über ihr, wie eine süßlila Mat-
tigkeit — so etwas von zu viel Sonne — oder
meinetwegen von zu viel Lhokoladekrapfen mit
Schlagobers — oder — ich weiß nicht was. Ls
war wie ein ganz, ganz leiser, disharmonischer
Schmerz. Etwas, wie wenn man zuerst Gurken-
salat gegessen und dann Mascagni gehört und
dann Stefan George gelesen hat-

— Ich liebe diese Geschöpfe — so um die Fünf-
zehn herum. Ich liebe diese süßlila Mattigkeit
mit den Märchen-Augen und den langen schlanken
Fidus-Beinen, an denen noch gar keine Waden sind

— oder fast keine — oder doch nur ein ganz leiser

Anflug-

vor ihr stand Peter Neuenthal, der Dichter in
elfenbeinweißen Flanellhosen —

£r sog den individuellen Duft ihrer maigrünen
Jungfräulichkeit ein und erwartete, daß sie reden
würde.

Sie aber dachte:

„Lr hat den Knieschnackler im Herzen!"-

Und dann dachte sie: „Ich glaube immer, ich
roertie-“ Und dann seufzte sie, tief — zart

— aber ganz menschlich! —

Und er lachte: Wenn man sie so nehmen
könnte, so ganz süßlila, und in Spiritus setzen
und immer bei sich haben und nicht älter werden
lassen, als so um fünfzehn —

Aber schließlich werden sie sechzehn, vierund-
zwanzig, dreißig. Und dann bekommen sie Waden,
Liebhaber, Ehemänner, Korsetten aus Paris, Kinder,
Begehrlichkeiten, Verhältnisse — — — es ist

brutal — und es ist auch ärgerlich-

sie seufzte wieder.-

Der Dichter dachte: „Sie liebt Dich — aber
sie weiß es noch nicht. Ls wird ihr gehen wie
Allen — wie Allen. — Ls ist gar keine Frage,
daß ein Schmerz in ihr ist! — Und er fragte
sie, ob sie leide — —

Line ganz blasse Losinfarbe überflog das zarte
Kind. Der ganze süßviolette Ton in diesem Akkord

eines unberührten Daseins'wurde um einen halben
Ton wärmer.

— Sie nickte: „Ja!"

Der Dichter fragte leise und eindringlich:
„Woran leiden Sie?"

— Sie stand auf und es zitterte aus ihrer
Stimmritze: „Das kann ich Ihnen doch nicht
sagen — wenn Sie's nicht ahnen!" — Lin Ent-
schluß zuckte durch ihr Sein. Sie sprang auf
und floh in's Haus.

Der Dichter sagte: „Nun ahne ich Dich!
Und Deine Mattigkeit! Und Deinen Schmerz!
Aber das Alltägliche kann den Nei; nicht tödten,
der im Sonntäglichen ist. Du wirst wieder kommen,
Türlütütü! Und es wird dann ein leuchtendes
Lrlöstsein aus Dir reden."

Der Dichter wartete. Drei Minuten — vier
■— sieben —

Da kam sie wieder!

Ihr wesen strahlte jetzt eine stille Heiterkeit
aus, wie sie jene leuchtenden Abende haben, deren
goldige Farbe zu Süßlila complimentär ist und
die am Schönsten sind, wenn sich ein Gewitter
vorher entladen hat.

Sie sagte — und aus ihr sprach etwas Lnt-
schmerztes, Daseinsfreudiges — — —:

„Wir wollen jetzt auf den Tennisplatz gehen I"

Türlütütü!

DasStfoUf
Höchstes Glück

Dtto Lrnft dargebracht von Gustav Falke
<vgl. „Nesignation" von Dtto Ernst:
„Jugend" >898, No. 43)

Tafelstunde, tiefgeheimes Glück,

Kommst Du wieder mir zurück?

Schmerzenstrunken

War ich in mein dunkles Selbst versunken,
Und in Flächten, nimmer zu erhellen,
Trank ich tief aus meines Busens Buellen,
Aber, brrrr! ist das ein Trank!

Und mein Selbst erst, na, ich dank!

Ueber Stirn und Wangen heiß
Rinne jetzt, mein Zreudenschweiß!
wie die vollen Schüsseln leuchten,
Himmelsglanz l Schon läuft im

wonnefeuchten
Mund das Wasser fröhlich mir zusammen.
Und die sehnsuchtsvollen Augen flammen.

Du, ja Du, kamst mir zurück,

Tafelstunde, höchstes Menschenglück.



R. M. Eichler

Der Rirdorser

Otto Erich dargebracht von Otto Julius

33m ich nicht würdevoll? Seht her, wie ich

skandiere!

Woifgang thats beim Bordraur, ich beim

Pilsener 33iere.

Das Runde ist mein Fall; rund ist die

. liebe Erde;
Drum thut mir s auch mcht weh, dass ich
stets runder werde.

Man reist so hin und her und lernt 33er-
schiedcnes kennen:
D. h.: nimmt man sich Zeit! Denn reifen
ist nicht rennen!

Anneliese

Gustav Falke dargebracht von Dtto Lrnst
svgl. „Liselotte" von Gustav Falke:
„Jugend" 18SS No. 5)

Anneliese, Anneliese, ich mach' ein Gedicht,
paß auf, Anneliese!

Ich mache ganz bestimmt ein Gedicht,
Jawohl, Anneliese.

warum denn mach' ich wohl dies Gedicht,
He, Anneliese?

Anneliese, Anneliese, weißt Du das nicht?
Nein, Anneliese?

Anneliese, weißt Du es wirklich nicht?
wie, Anneliese?

warum ich es mache, dies Gedicht?

Aber, Anneliese!

Der liebe Sott, mein Sohn, läßt sich wohl
, , ,viel gefallen,

Selbst recht 33edeultlrchcs, — indessen nicht

von Alien.

Mich fragst Du, warum ich es mach', dies Gedicht,
Mich, Anneliese?

Ja, ich, ich weiß es doch selber nicht,

Gelt, Anneliese?

Das Nackte ist verrucht, die Sittlichkeit

braucht Kleider,
Oh Menschheit, sieh dich an! — so predigen

die Schneider.

Das hindert mich aber im mind'sten nicht
Nee, Anneliese,

Ls dennoch zu machen, dies Gedicht —
Voilä, Anneliese!
Register
Bob: Türlütütü
Otto Ernst: Aneliese
Otto Julius Bierbaum: Der Rixdorfer
Reinhold Max Eichler: Das Schlafzimmer
Gustav Falke: Höchstes Glück
 
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