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Nr. 26

JUGEND

1899

Prestidigitateur Bülow

„Die Herrschaften seh’n : Nichts da!“

„Hocus pocus!“

Der neue ZZlutarA

13r. Daller wurde im Freundeskreise
wegen seiner wohlbclcibtheit geneckt.

„Du hast ja den reinsten prälatcnbauchl"
sagte Einer. „Du kannst cs noch weit
bringen I"

„Ja," erwiderte der Gelehrte, indem er
sich liebkosend den Bauch streichelte, „die
Hauptbedingung ist erfüllt, der Prälat wird
wohl bald Nachkommen."

Nack kurzer Zeit hatte seine Sehergabe
sich glänzend bewährt.

Sommernachtsträume

politisch lyrisches Capriccio

Fm Sterngeflimmer kommt auf leifcn Sohlen
Und stiehlt sich in die Brust der Schläfer facht.

Um zur Verwirklichung hervorzuholen

Den Herzenswunsch der Traum der Sommernacht.

Dem Leutnant träumt, daß unter allen Frauen
Die Schönste ihn zum Seelenfreund erkor.

Dem Grafen Thun, den iiber's Ghr gehauen
Die Ungarn, träumt, er hau' jic iiber's Ghr.

von „allen Neunen" träumt der Kegelschieber,
vom Frieden träumt die Friedenskonferenz,

Und selig lächelnd träumt Derr Dr. Lieber —

Er träumt von seiner eig'nen Eloquenz.

Mac Kinley träumt, daß cr die Philippinen
Nun endlich hätt' verdaut. lG holder Wahn!)

Der Pfarrersköchin ist im Traum erschienen
Statt des Deren Pfarrers oh!- deroerruaplan.

Graf pücklcr träumt, cs würd' ein Nud geschunden,
Darüber freut sich ungemein der Gras.

Die Ballerina träumt von Schäferstunden,
wobei ein dicker Millionär das Schaf.

Dem Spekulanten träumt von großem Nutzen,
Und daß cr schlau dem Strafgericht entschlüpf',
vom Nordpol träumt dem verzog der Abruzzen,
Und daß ihm dort Andrer entgegenhüpf'.

Dem lieben Nachbar senicits der Vogesen
Träumt vom Futurum, träumt von der Gloire,
Und vom perfectum träumen die Lhinese»,

Da China exklusiv chinesisch war.

Der Wenzel träumt, daß Alles rings auf Erden
8um neuerftandnen wenzelsreich gehör'.

Der Lavalier, der träumt von edlen Pferden,
von Witzen träumt der Witzblattredakteur.

Dem Blumenthal, dem träumt von vollen Däusern,
worin zur Erd' kein Apfel fallen kann.

Und Frauen von verführerischem Acußcrn
Erblickt im Traum der keusche Grdensmann.

Derrn Dcrzl träumt vom Sieg des Zionismus,
Er lächelt träumend äußerst angenehm,
weil künftig er als König ganz gewiß muß
Der Huden thronen in Jerusalem.

von Stern und Kreuzen träumt der Grdensjägcr,
Der Knabe vom zukünftigen weihnachtsbaum....
Mir hat geträumt von einem Geldbriefträger
Es war ein Traum! Bohcmund

cvfßo

In einer schweizerischen, römisch-
katholischen Erzichungsan statt . für
arme, verlassene Waisenkinder wurden wieder
Knaben und Mädchen mit 20—50 Streichen
ans den nackten Körper bestraft, 2 Tage lang
in einen Keller gesperrt und gezwungen, mit
am Halse angebundenen Nachtgeschirren im
Hofe zu stehen, wenn sie das Bett genäßt hatten.
Die zu züchtigenden Kinder wurden von zwei
Frauen festgehalten und von einer dritten ge-
gcschlagen. Eine der Frauen zählte mit Ruhe
und Gewissenhaftigkeit.

Solche Frauen nennt man „barmherzige
Schwestern." Man findet sie schon bei den
alten Griechen, wo sie den Namen „Erinnyen"

* führten.

Das horazische Feigenblatt

Ein ästhetischer Briefwechsel

Liebe Jugend I Bei Deiner immer deutlicher
hervortretenden Neigung, an den sozialen und
politischen, an den literarischen und künstlerischen
Tagesfragen Dein deutsches Müt ki-
chert zu kühlen, wirst Du es Dir doch ivohl
nicht entgehen lassen, auch den neuesten Münchner
Bilderstreit — ich meine die Verbannung der
Slevogt'schcn „Danas" ans der „Sezession"
— in den Kreis Deiner lieblichen Betracht-
ungen zu ziehen. Hic Khodus, hic salta -
hier kann Dein superkluger Kunstpastor mit
seiner jugendlichen Schwungkraft einen kühnen
Sprung über einen Kultusminister und hun-
dert andere Kunstphilister machen; hier kann
er zeigen, ob Du wirklich „jung" bist. Also los
und keine Ausflüchte, Du — Harmlose!

Achtungsvoll Dein Th er fites.

Lieber Thersites! Mit Vergnügen!
Nicht weil, sondern obschon Du mich so miß-
trauisch angerempelt hast. An dem Slevogt-
schen Bilde, das wegen seiner rein malerischen
Qualitäten von der Jury der Sezession auf-
genoinmen ward, habe ich trotz eigener Ge-
danken über Verkürzungen u. dgl. nur das
Eine ansznsetzen, daß eben die Dame keine
Danas und der Goldregen — zu thener ist.
„Urschi und der Kupferregen" würde es besser
heißen. Ueberhnnpt, warum hier „regnen"
lassen? Die Mythologie ist ein boshaftes
Ding; schon Manchen, der sie ans seine Weise
frisiren ivollte, hat sie vom Regen in die
Traufe geschickt. Und frivol ist sie auch, denn
sie läßt sich zwar Offenbach und Snppü ge-
fallen , aber wehe dem, der ihre Göttinnen
und Nymphen, ihre Euridiken >md Gala-
theen, ihre Leben und Danaön der letzten
Reste von „einladenden" Reizen beraubt!
Ihre Ganz- und Halbwelt läßt sie sich ver-
ulken, aber nicht verekeln. Dabei ist sie sehr-
liberal: das Schlanke und das Breitspurige,
das Schwarze und das Rothblonde, das feurig
Strahlende und das schattenhaft Ersterbende,
Olymp und Orkus, — alles ist ihr touts
insms Wurscht; die fetten Grazien eines Ru-
bens oder Rembrandt sind ihr gerade so lieb
wie die mageren eines Botticelli oder die üppigen
eines Tizian. Sie liebt die weitestgehenden
Entkleidungen, aber nicht ätout prix, »ich»
die Entkleidung von jenem höheren Feigen-
blatt, das wir nicht hinwegnehmen können,
ohne unsere noch so vielseitige, noch so routi-
nirtc oder entsagungsvolle Begehrlichkeit vor
das gähnende Nichts — wo nicht vor etwas
Schlimmeres — gestellt zu sehen. Ein Feigen-
blatt, das wohl auch der Herr Minister des
Kultus im ?luge oder vielmehr vermißt hatte,
als cr den Wunsch aussprach, daß die Danas
des Herrn Slevogt ans dem Olymp des sezession-
istischen Griechentempels Abschied nehmen möge.

Aus dem Olymp! Hätte Herr S. sein
Bild als „Studie" oder „Anatomie" bezeichnet,
statt der Alten einen Prosektor, statt des Gold-
regens (der übrigens zu dem Bestgemalten des
Bildes zählt) Sezirmesser und Ncrvenzangcn
angebracht, — kein Kultusminister der Welt
hätte daran Anstoß genommen. Denn die
Anatomie gehört zum Unterricht, der Unterricht
zur Wissenschaft und diese zum Kultus. Zum
Kultus gehört aber auch der alte Horaz,
der irgendwo (06. III, 16) in seiner Schwatz-
haftigkeit cs erzählt: „Jener Danas Reiz hatte
ein eherner Thurm, starker Pforten Ver-
schluß und ungesättigter Doggen wachsame
Hut sicher genug verwahrt vor der Liebhaber
Besuch." Also eine Art von Juwel unter
den Evastöchtern! Wir wissen auch, daß cs
nur einem Tausendkünstler wie dem alten Jupi-
ter möglich war, sich als Goldregen verkleidet
in den Schooß der Einzigen fallen zu lassen.

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Register
Monogrammist Frosch: Prestidigitateur Bülow
Pastor: Das horazische Feigenblatt
Bohemund: Sommernachtsträume
Arpad Schmidhammer: Zeichnung zum Text "Der neue Plutarch"
Plutarch [Pseud.]: Der neue Plutarch
[nicht signierter Beitrag]: In einer schweizerischen...
 
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