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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 47 (18. November 1899)
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J UGEND

Nr. 47

1899

Der aber schneidet Grimassen.

Und der Pianist dreht sich um,

Guckt mürrisch in's Publikum.

Das harrt voll Begier
Aus den Vortrag der Vier',

Die sich sollen nun hören lassen. —

Da fällt ein Handschuh, höchst gewandt
Geworfen von schöner Hand,

Mitten hinein, wo blühend Lacteen
Und Rosen stehen,

Und zu dem Leutnant von Strippesitz
Wendet sich Zräulein Melanie:

„Herr Leutnant," so flüstert sie
Kühl und spitz:

„wenn Ihnen das Herz so feurig wallt,
wie Sie mir schwuren im Grunewald,

Li, holen Sie, bitte, den Handschuh mir!"

Und ein Leutnant war' kein (Offizier!

Schlug klirrend zusammen sein Sporenpaar,
Suchte die Kreuz und (Quere,

Beugte sich tief und griff auf Lhre
Hinein, wo's stachlich und dornig war.

Und lächelnd bringt er den Handschuh retour.
Sie säuselt: „Jetzt glaub' ich dem Schwur,"
Und reicht ihm die Karte zum Tanz.

Und während sie Komplimente wechseln,
Ueberreicht er mit Lleganz
Den Handschuh und spricht:

„Tanzen seht vor der Hand noch nicht,"

Und eilt nach Hause — erst Hose wechseln!

Ri Li

R. Wilke

Tagebuchblätter

eines unverbesserlichen Optimisten

witgetheilt von Fritz v. Ostini

Die Natur hat Alles so weise eingerichtet.
Da ist z. B. das Zahnweh! Gäbe cs das
nicht, was wüßte unsereiner von dem un-
säglichen Vergnügen, das man empfindet,
wenn's wieder aufhört I

Und noch eins! Daß man nichts beißen
kann, das hilft Einem so prächtig über den
Umstand weg, daß man nichts zu beißen hat!

wie schön, daß mir immer das Geld
ausgeht in der zweiten Hälfte des Monats!
wie freue ich mich dann auf den Ersten!

Mit dem Hunger ist es gerade so. Es
ist ein göttliches Gefühl, wenn Einem der
Magen knurrt und man stellt sich vor, wie
man sich übermorgen satt essen wird!

Und dann erst mit dem Durst....!

Das Pfund Spargel kostet jetzt sechs
Mark. Ich habe eine dämonische Freude
an dem Gedanken, wie thcuer reiche Lcure
die guten Sachen bezahlen müssen, die ich
nicht haben kann!

Heute hat mich ein flotter Velocipedist
mit einer pikfeinen englischen Maschine
niedergefahren. Bis ich mich mühsam auf-
gerafft hatte, war er schon über alle Berge.
— Es ist doch was Herrliches um den Sport!

Wenn der gute, dicke Gerichtsvollzieher
jede Woche wicdcrkommt, unter allen
Schränken umherkriecht und nichts findet —
es ist rein zum Todtlachen!

Morgen schwöre ich den fünfundzwanzig-
sten Manifestationseid — vielleicht sorgen
sie doch für eine kleine Jubiläumsfeier.

Von meinem Lammerfenster aus genieße
ich die Aussicht auf eine hellblau bemalte
Fcuermauer, auf der in weißen Riesenbuch-
ftaben angekündigt ist, was das Beste für
die Zähne sei. Sicht man mit zwinkernden
Augen hin, so sieht's beinahe aus, wie ein
Himmel mit Lämmerwölkchen. Und von
unten ragt ein hellgrün gestrichenes Tauben

H. Fritsch

haus in diesen Himmel hinein, beinahe wie
ein Baum. So habe ich vor meinem Fen-
ster den ewigen Frühling!

2lls ich neulich meinen winterrock ver-
setzen wollte, war er dem Pfandleiher zu
schäbig. Und heute schneit's wieder — ich
Glückspilz!

Nun hat mir gar Einer den alten Pa-
letot gestohlen. Ich bin ordentlich stolz da-
rauf, daß er ihn so hoch tapirt hat. Eigent-
lich ist das eine glänzende Rehabilitation
auf die schnöde Geringschätzung des Pfand-
leihers!

Heute fuhr der dicke Meier, der in der
Schule immer seine Aufgaben von den mei-
nen abschrieb, in einer schönen Equipage
an mir vorbei. Der hat's zu was gebracht!
— Ja, wir sind Rerlel

Zu drollig! Mir ist überwacht das Was-
ser in der Waschschüssel gefroren! wenn ich
jetzt eine Flasche wein besäße, das Eis zum
Rühlen hätte ich umsonst!

Jetzt haben sie mir meine Hilfs-Schrei-
b er-Gehilfen-Stelle gekündigt. Thräncn
könnte ich lachen bei dem Gedanken, nun
nicht mehr um scchse herauszumüssen aus
dem Bett — beinahe hätte ich geschrieben
„aus den Federn" — und hinaus in die
Rältc und Finsternis; l
Register
Hans Fritsch: Vignette
Fritz Frh. v. Ostini: Tagebuchblätter eines unverbesserlichen Optimisten
Rudolf Wilke: Illustration zum Gedicht "Der Handschuh"
 
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