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19ÖÖ

• j U GEN D

Nr. i

Daraus erwiderte er: „Nachtwächter dürft

Ihr mich schmähen,

Hab' ich doch noch dieser Tage gesehen,
wie mancher unter Euch sich zum Geheimrath
Und höher hinaufgekrabbelt hat,

„So doch durch alle seine Jahre
Nichts anderes denn ein Nachtwächter wäre
Drum blase ich mit Recht von vorn
Das I.ahrhundertwiegenlLed auf meinem

Tutehorn

„Ueberhaupt hört und laßt Euch sagen,

Ich habe in den letzten Iahren und Tagen,
wo ich mich in Deutschland spukend Herumtrieb,
Gesehen, daß die Welt immer gleich bleibt

und blieb.

„Noch immer dauern die Rathssitzungen lange
Und bringen nichts Vernünftiges zu Gange,
Auch sind noch immer die Examina
Und das hebräische Rübbuz da.

„Zwar thun die jungen Männer und Studenten,
Als ob sie die Welt aus den Angeln heben

könnten;

Zogen sie aber ein durch's Philisterthor,

So zieh'n sie gleich die Nachtmütze übcr's Ohr.

„Die Mädchen lesen die „Gartenlaube,"

Und sind sie glücklich unter die Haube,

So kriegen sie ein, zwei, drei, vier Rind
Und lesen die „Gartenlaube" nicht mind.

„Die Schurken werden nicht gefangen
Und, leider! noch weniger aufgehangen;
Falschspielen und maulgefällig sein bringt weit,
wenigstens für einige Zeit.

„Trotzdem haben Alle Einen Glauben,
Einfältig wie Schlangen und klug wie Tauben,
Bei Skat und Bier und Butterbrot
Leben sie, bis sie bleiben todt.

„In all ihrem Trachten und Dichten
Thun sie sich nach dem Nachbar richten,
Schildburg liegt an jedem Ort,

Glaubt mir das auf mein Nachtwächterwort I

„Gefolglich Hab' ich Euch auch bewiesen,

Und Ihu könnt drauf Gift nehmen oder

Euch erschießen,
Daß noch heute vom Tagelöhner bis zum Ferscht
Der Nachtwächter alle Menschen beherrscht."

Damit griff er wieder nach seinem Tutehoren,
Ich dachte, Gott schütze meine Ohren —

Als plötzlich durch die Lüfte drang
Ein einsamer, schöner Glockenklang.

Der ging mir in's Blut wie feuriger wein,
Eine zweite, dritte Glocke fiel ein,

Und bald in mächtigen Orgelstürmen
Scholl ein Hallelujah von allen Thürmen.

Es brauste und schaukelte wie ein Meer,
Rapellenglöckchen schäumten daher,

Und dumpf, wie von der Parze gezogen,

Der Dombetglocke zitternde wogen.

Dazwischen kamen Schreie, lustig und gell:
„prost Niejohr, prost Niejohrl" tönte es hell,
Die Menschen schwärmten durch die Gaffen,
Sie wußten sich nicht vor Freude zu lassen.

„Prost Heujabr!“

Max Bernath (München)
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Max Bernuth: Prosit Neujahr
 
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