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Nr. 2

JUGEND

1900

Der Kindergarten

von

Theodor Andersen (Kopenhagen)

Wenn ich in meinem Zimmer auf dem Sofa
liege und blaue Rauchringeln in die Luft
blase oder wenn ich auf einer grünen Wiese
liege und den weißen Wolken nachsehe, die
am Himmel dahinsegeln — dann geschieht
immer eins von beidem: entweder verfalle ich

in Gedanken oder — in Schlaf.--

Vor einiger Zeit ging mir solch ein Gedanke
durch den Kopf, der Gedanke zu einer kleinen
Geschichte, es war vielleicht der originellste Ge-
danke, den ich je gehabt — er hatte nur den
einen Fehler, daß er zu flüchtig war, denn als
ich ihn schließlich niederschreiben wollte, war
er davongeflogen, und ich konnte ihn nicht mehr
erwischen.

Ich war einige Tage lang sehr nachdenklich,
ganze Schaaren von Gedanken stürmten auf
mich ein, aber jener eine Gedanke, der ent-
flogene, der war nicht darunter, und es war
ärgerlich, auf solche Weise einen Gedanken zu
verlieren, der seine paar tausend Kronen werth
war. — Und doch bin ich sicher, daß er in
meinem Gedächtnißkasten war, ich konnte ihn
\nx nicht finden, aber eines schönen Tages,
wenn ich vielleicht gar nicht an ihn denke,
wird er zum Vorschein kommen. Ereignisse
und Gedanken werden zu Erinnerungen; sobald
sie geboren sind, schlüpfen sie in den Erinnerungs-
kästen, und wenn sie stark sind, so drängen sie
sich von Zeit zu Zeit hervor, gerade wie ein
Fisch, der seine Schnauze zum Wasser hinaus-
streckt. Wie solch ein Kasten eingerichtet ist,
habe ich nie verstehen können, und ich glaube,
auch die Gelehrten können es mir nicht erklären.

Man sollte meinen, es sei ein Kasten voll
bunter Lappen; die Lappen sind die alten,
Hellen und dunkeln Erinnerungen; wenn man
darin herumkramt, kommen sie hervor, verstecken
sich wieder, kommen zum zweiten Mal, oft kann
man das, wonach man sucht, nicht finden, gerade
wie ich meine Idee nicht finden konnte; aber
ein anderes Mal kommt es von selbst, ohne
daß man sucht. Woran das liegt, wissen weder
die Gelehrten, noch ich — aber soviel ist sicher,
daß es nun einmal so ist.

Ich fand ihn nicht mehr, meinen Gedanken.
Und deshalb flüchtete ich mich eines Tages
verzweifelt aus dem Lärm der Stadt, auf's
Land hinaus. Dort kam ich an einem Bauern-
hof vorbei, wo eine ältere Frau mit fünf
kleinen Kindern, die aussahen, als seien sie
alle gleich alt, Ringel-Ringelreihen spielte. —

— Das sind doch nicht etwa Geschwister —
Fünflinge? — Rein, das sind sie nicht. —
Dann halten Sie vielleicht einen Kindergarten?

— Na ja — so kann man's am Ende nennen.

— — Die Frau war entschieden nicht sehr
mittheilsam.

Aber nebenan wohnte der Schenkwirth und
während wir beisammen saßen und einige
Gläser Bayrisches miteinander tranken, er-
zählte er mir die Geschichte.

— Kindergarten — sagte der Wirth — ja
wohl, das paßt wie der Spund in's Faß,
denn vor drei, vier Jahren, da wuchsen dort
die Kinder empor, wie des Teufels Milch-
bottiche an einem Grabenrand. Die Leute
hatten drei Töchter, drei lange, hochaufgeschossene
Mädels, und alle drei kamen in Dienst nach

Kopenhagen. Das sind nun so vier, fünf
Jahre her. Aber etwa ein Jahr darauf, nach-
dem sie fortgegangen, wurden den Alten im
Verlauf von wenigen Wochen drei kleine
Krabben zugeschickt. Na, die Mutter meinte,
sie hätten schon so viel Milch, wie die drei
kleinen Vielfraße tränken, sogar ein bischen
mehr noch. Aber der Vater setzte seinen großen
Hut auf. spannte die Fuchsen vor, fuhr nach
Kopenhagen und sagte sehr ernsthast zu seinen
Mädels, daß sie sich diese Mode abgewöhnen
müßten. Sie versprachen es ihm auch, alle drei,
und der Vater fuhr wieder heim. Aber kaum
ein halbes Jahr war vorüber, da wurde den
Alten wieder ein Kleines zugeschickt, und drei
Wochen später nochmal eines. — Na, du lieber
Gott, wir haben ja Milch genug — sagte die
Mutter. — Ja, aber ich will, daß die Mädels
sich das abgewöhnen — sagte der Vater —
setzte wieder seinen großen Hut auf, spannte
die Fuchsen vor und fuhr nach Kopenhagen.
Aber die Töchter versicherten ihm einstimmig,
das sie dies Mal vollständig unschuldig wären
— das könne der Vater sich übrigens an den
Fingern abzählen. Das müßten zwei von
ihren Freundinnen sein, die die Kinder auf
ihre Kosten heimgeschickt. Und das sei eine
Frechheit ohne Gleichen. Das meinte der Vater
auch. Aber die Mutter meinte, da die Kinder
nun einmal da seien, könne man sie auch be-
halten, die armen Würmer könnten ja nichts
dafür, daß ihre Mütter so durchtriebene Ge-
schöpfe seien. — Wer die Mutter von dem
einen der fremden Kinder war, ist nie auf-
geklärt worden, aber beim andern hatte ich
einen leisen Verdacht auf ein Mädchen aus
hiesiger Gegend, und da ich zwei Jahre lang
Gemeindevogt gewesen, besaß ich auch einige
Uebung, ein Verhör anzustellen. Wie ich dann
mal nach Kopenhagen kam, ging ich hin zu


J


ihr — sie ist Ladenmamsell im Vesterbro, nub
da ich die Sache gleich richtig anpackte, erfuhr
ich denn auch sofort, daß sie es gewesen, die
den Bauersleuten das Kind zugeschickt. Sie
meinte, es sei ja gleichgültig, ob diese drei odel:
vier Kinder bei sich hätten. Und zudem habe
sie drei Väter für dasselbe, drei ordentliche
Burschen, von denen ein jeder, ohne zu wissen,
daß es ihrer drei seien, eine anständige Summe
zahle. Na, Moral zu predigen ist eines Schenk-
wirths Sache nicht, sonst wär's hier schon am
Platze gewesen. Aber nach Hause ging ich und
sagte zu unserm Bauersmann: So und so
steht's. Es ist Christinens Kind, das Ihr bei
Euch habt, so eine Art gemeinschaftliches Kind,
das drei Väter hat. — Ein gutes Geschäft für
Christine, denn um dem Einen nicht auf Kosten
des andern Unrecht zu thun, läßt sie alle drei
bezahlen. Die Mutter meinte wie gewöhnlich,
es sei trotz alledem das Beste, das Kind zu
behalten, da sie es jetzt so gut kennten
und keinen Mangel an Milch hätten. Aber
der Vater setzte seinen großen, grauen Hut aus,
spannte die Fuchsen vor, fuhr nach Kopenhagen
und sagte zu Christine, das müsse sie sich ab-
gewöhnen. Sie versprach es und hat's bisher
auch gehalten.-Sie müssen diese Ge-

schichte jedoch nicht weiter erzählen — sagte der
Schenkwirth — sonst könnten noch mehr Pflänz-
chen dieser Art in der Bauersleute Kindergarten

kommen. (Deutsch von Anna Jürgens)

Partei

Vivat oder pereat —

Eines mußt Du schreien;

Denn kein Handel findet statt
Zwischen den Parteien.

Schwarz und weiß vermenge nicht,
Nenn' sie nicht gesprenkelt!

Ist doch nur der Bösewicht
Skeptisch angekränkelt.

Hier der Zreund und dort der Zeind,
Beide leicht erkenntlich:

Hüben alles wohlgemeint,

Drüben alles schändlich.

Dort ist tttem und hier ist ja;

Kannst Du das Dir merken,

Gleich sind tausend Brüder da,

Dich im Kampf zu stärken.

Doch wenn zwischen ja und Nein
Du Dein Oieich gegründet,

Hilflos stehst Du dann allein,

Ewig unverbündet.

Nimmermehr in Neih' und Glied
wirst Du kämpfen, siegen;

Nur auf eigenem Gebiet
Herrschest Du verschwiegen.

Fritz Erler (München)

So im Borübergehn wird angebändelt;

Der Mensch ist glücklich, nimmt Papier und reimt.
Schriftlich und mündlich wird so sortgetändelt,

Bis man sich lebenslänglich sestgeleimt.

jn des Krieges Sturm und Brand
Kann Dein Thron nicht wanken;
Bist ein König ohne Land,

Doch auch ohne Schranken.

Ludwig Fulda

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Register
Fritz Erler: So im Vorübergehen
Theodor Andersen: Der Kindergarten
Ludwig Anton Salomon Fulda: Die Partei
 
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