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Nr. 2

JUGEND

1900

«

Am Mühlenteiche stehe ich.

Im Schlamme hockt ein Schwan.
Das hat die Stadtverschönerung
Dir, Aermster, angethan!

Mit seiner Pfeife Rentner Klöhn,
Den Zipfel im Genick,

Beschaut sein Kohl- und Erbsenland
Mit langem, strengem Blick.

Enteilend wende ick mich fort,

Und sieh, ich bin schon „rum."

Beim Bahnhof treff' ich endlich auch
Das Bürgerpublikum.

Den Stadtrath Dröhn, den Rektor Stumpf,
Den dicken Brauer Witt.

In einem Kreise edler Frau'::

Den Landwehrleutnant Schmidt.

Es faucht der Zug. hinein, hinein!
Du kleine Stadt, ade —

Es rinnt manch' Wässerchen zu Thal,
Eh' ich Dich wiederseh'.

Marimilian Fuhrmann

Ä

von Mar von Seydel

Das einzige Geschenk, das die
Götter nie zurücknehmen, ist die

Dummheit. _

*

Dynastisches Gefühl ist wie ab- Herr
soluter Waldboden. Es kann nicht
wieder aufgeforstet werden.

Im Besitze des
n H. Rossner, Zeitz

Die Natur gewährt keinen Stcuernach-
laß. Sie treibt alle Forderungen bei Heller
und Pfennig ein.

Er trägt sein wissen, wie.cker/Esel den
Mehlsack.

■s-

Es gibt eine Deferenz von oben herab,
wie sie z. B. Damen und Geistlichen er-
wiesen wird.

Dieser Historienmaler kennt die Welt-
geschichte nur vom Standpunkte eines
Schneiders.

*

wir hatten neulich ein lebhaft bewegtes
Gespräch philosophischen Inhalts. L., ein
beschränkter Mensch, der zufällig in unsere
Gesellschaft gerathen war, gcberdete sich
wie ein Hund, der zum ersten Male auf
der Eisenbahn fährt. Anfangs bellte er
heftig und störend in die Unterhaltung
hinein, dann ward ihm wirbelig im Ropf
und er war ganz still.

Die Geburt der Aphrodite läßt sich
künstlerisch darstellen, die Geburt der Pallas
nicht.

Dieser Minister hat das Bischen Rlein-
geld an Gedanken, das er hatte, langst aus-
gegeben und klappert jetzt nur noch mit
den ministeriellen Hausschlüsseln.

*

Das Beste, was der Mensch sein geistiges
Eigen nennt, lernt er nicht, sondern er hat
es. was er lernt, wird nur insofern sein,
als er cs in sich aufnimmt, es verdaut und
zum Bestandtheil seiner geistigen Persön-
lichkeit macht, wogegen die meisten Herren
Gelehrten ihren Lernstoff zum breiten Maul
hineinschicben, worauf dann am andern
Ende der Lehrstoff glücklich wieder entleert
wird; ein Prozeß, bei dem sie ungeheuer
ernsthaft drcinschauen.

Beim Repetitor

„Die Exantensfragen theilen wir ein in
solche erster, zweiter und dritter Ordnung. Die
Fragen erster Ordnung müssen Sie unbedingt
wisset:; die Fragen zweiter Ordnung sind
fakultativ, d. h. es schadet gerade nichts, wenn
Sie auf eine solche Frage Antwort geben können;
doch besteht in diesem Falle die Gefahr, daß
Sie von den perren Examinatoren als wunder-
thier angestaunt und mit entsprechend schwereren
Fragen daraufhin bedacht werden.

Die Fragen dritter Ordnung scheiden
wir aus unserer Betrachtung von vornherein
aus; wenn Sie eine solche beantworten
könnten, würde es Ihnen direkt übelgenommen
werden: das sind nämlich Fragen, über welche
die Herren selbst noch nicht im Klaren sind!
Ich will Ihnen Beispiele geben:
welches Buch der Institutionen haben Sie
an: liebsten gelesen?"

Kandidat (nach langem Besinnen): „Das

erste!"

„Erlauben Sie!
nein, Sie haben das
vierte am liebsten
gelesen! Dies ist
eineExamensfrage
erster Ordnung,
und ich würde Ih-
nen nicht rathen,
die Frage anders
zu beantwortet:!
Eine Frage zwei-
ter Ordnung ist
z. B. die nach den:
Datum der Reichs-
verfassung. (Eine
richtige Antwort
hierauf, und Sie
haben eine Ver-
schärfung der wei-
teren Fragen zu
erwartet:.

Eine Frage drit-
ter Ordnung wäre
die: was ist der
Staat? — Darüber
liegen sich die per-

G. Wrba (München) relt W «och M

den paaren und
haben Sie nun das
Pech und bringen eit:em Gegner von Seydel
die Seydel'sche Definition, so sit:d Sie schon
per se gerasselt. Pier müssen Sie dem perrn
Examinator Gelegetcheit geben, sein Licht leuch-
ten zu lasset: vor versammelter Eommission,
und er wird Sie mit einer längeren Ausein-
andersetzung seiner Ansichten beglücket:, ohne
daß Sie mehr als beistimmend mit dein Kopf
zu nicken brauchen!" K. Sp.


Sinnige Betracbtuno

Ein Mädchenherz und ein Bärenzwinger,
Ein Wiedehopf und ein Tintenfinger,

Die Weisheit und das Bächlein im Thal,
Ein Leutnant und der heilige Gral,

Ein Schnaps und meine Tante Röschen,
P-'inz Hamlet und ein Spitzenhöschen,
Syrakus und das Graphophon,

Die Influenza und 2lbfolon,

Der Durst und eines Nackens Blöße,

Der Nachruhm und die Petrolöse,

Der Ruhschwanz und ein Busentuch,

Ein Grasaff' und des Sängers Fluch,

Ein Brautbett und eine Löwentatze,

Ein Glühstrumpf und des Hahnrei's Glatze,
Bismarck und das Lochinchinahuhn,

Die haben nicht viel miteinander zu thun.

Malter Darlan

Nut: trinke ich ein schales Bier
Am Markt vorm gold'nen Stern.
Da drinnen brüllt der Sängerbund:
Das ist der Tag des perrn.

Z2
Index
K. Sp.: Beim Repetitor
Max v. Seydel: Gedanken
Walter Harlan: Sinnige Betrachtung
Georg Wrba: Fotografie der Plastik "Europa"
 
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